Entgegen aller Bedenken: EU und Mercosur einig über Abkommen
Entgegen aller Bedenken
Nach rund 25 Jahren der Verhandlungen hat sich die EU-Kommission am Freitag auf ein Freihandelsabkommen mit den vier südamerikanischen Mercosur-Staaten verständigt. So soll bald ein gigantischer Freihandelsraum zwischen der EU und Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay entstehen. Die Bedenken etlicher EU-Staaten wie Frankreich, Italien und Österreich aber konnten vorab nicht ausgeräumt werden – weiterer Widerstand ist programmiert.
Online seit heute, 14.02 Uhr
Mit einem Verfahrenstrick im Gepäck war EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Donnerstag nach Uruguay gereist, um den Sack nach vieljährigen Verhandlungen zuzumachen. Sie werde nicht extra hinfliegen, „um dann zurückzukehren, ohne Erfolge vorweisen zu können“, hieß es vorab von Insidern. So war es dann auch: Am Freitag präsentierte sie die politische Grundsatzeinigung der Kommission mit den Verhandlern und sprach von einem „historischen Meilenstein“.
„Dieses Abkommen ist ein Gewinn für Europa“, sagte sie. Es werde für Menschen und Unternehmen funktionieren und mehr Arbeitsplätze, mehr Auswahl und Wohlstand schaffen. „Unternehmen profitieren von niedrigeren Zöllen und vereinfachten Verfahren“, so von der Leyen.
Zölle sollen fallenMit dem Deal soll eine Freihandelszone mit über 700 Millionen Menschen entstehen. Derzeit ist der Handel der EU mit den vier Mercosur-Staaten noch begrenzt. Aus dem Abbau von Zöllen und Handelsschranken sollen beide Seiten Profit schlagen, die Mercosur-Staaten vor allem mit dem Export von Lebensmitteln und Rohstoffen, die EU mit Autos und Industriegütern. Nicht zuletzt die vom designierten US-Präsidenten Donald Trump angedrohten weitreichenden Zölle waren ein zusätzlicher Faktor für den nun raschen Abschluss des Deals. Auch gab es in Brüssel die Sorge, die Mercosur-Staaten könnten sich noch stärker China zuwenden, sollte der Deal scheitern.
Verhandelt wird das Abkommen seit mittlerweile 25 Jahren, der Abschluss scheiterte bisher jedoch, und auch im Jahr 2024 gab es gewichtige Gegenstimmen. So äußerten sich zuletzt Polen und Italien ablehnend, auch Österreichs zuständiger ÖVP-Minister Martin Kocher ist durch einen Beschluss von 2019 zumindest vorerst noch zur Ablehnung verpflichtet.
Paris verschnupftInnerhalb der EU ist Frankreich der lautstärkste Kritiker eines Deals. Nicht nur Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, auch der gestürzte Premier Michel Barnier und die rechtspopulistische Partei Rassemblement National gelten als Mercosur-Kritiker. Doch Macron ist wegen der innenpolitischen Krise politisch stark geschwächt, während von der Leyen aus der EU-Wahl gestärkt hervorging.
Am Freitag reagierte Paris verschnupft auf die Einigung in Uruguay: „Was in Montevideo passiert, ist keine Unterzeichnung des Abkommens, sondern lediglich der politische Abschluss von Verhandlungen“, erklärte die Außenhandelsministerin Sophie Primas. „Dieser verpflichtet nur die Kommission, nicht die Mitgliedstaaten.“
„EU only“-Option angestrebtDie nicht weniger wichtigen EU-Staaten Spanien und Deutschland waren hingegen für das Abkommen. Berlin drängte am Freitag auch noch einmal auf einen Abschluss. Man werde sich einem „EU only“-Abkommen „nicht verschließen, wenn sich abzeichnet, dass ein Abschluss anders nicht möglich ist“, sagte eine Regierungssprecherin.
Deutschland setzt dabei darauf, dass der handelspolitische Teil im Rat der Mitgliedsstaaten per Mehrheitsentscheidung beschlossen werden könnte. Ein Vetorecht hätten Mitgliedsstaaten dann nur noch bei den geplanten Vereinbarungen zum politischen Dialog und zur Kooperation. Ob eine solche Lösung rechtlich möglich ist, ist derzeit ebenso offen wie der genaue Inhalt des Handelsdeals.
Nun müssen jedenfalls die Texte für das Abkommen noch juristisch geprüft und in die Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt werden. Dann muss die EU-Kommission eine Entscheidung darüber treffen, ob es den Mitgliedsstaaten als Ganzes oder in zwei Teile gesplittet zur Abstimmung vorgelegt wird. Auf jeden Fall zustimmen müsste das Europäische Parlament. Eine Entscheidung wird frühestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres erwartet.
Landwirtschaft sieht sich bedrohtKritiker befürchten, dass Europas Landwirtschaft künftig in einen Preiskampf gezwungen und gleichzeitig die Regenwaldzerstörung in Südamerika befeuert wird.
Mercosur wurde 1991 von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gegründet. Venezuela trat 2012 bei, seine Mitgliedschaft wurde 2017 ausgesetzt. Bolivien unterzeichnete ein Beitrittsprotokoll. Die Verhandlungen zwischen EU und Mercosur begannen 1999. Eine politische Einigung wurde in der EU bisher nicht umgesetzt.
Die EU-Kommission verweist hingegen unter anderem darauf, dass das Abkommen Unternehmen in der EU schätzungsweise jährlich mehrere Milliarden Euro an Zöllen ersparen und die Exporte ankurbeln könnte. Eine Existenzgefährdung für europäische Bauern sieht die EU nicht. Betont wurde stattdessen, dass weiter nur Produkte, die den umfangreichen europäischen Vorschriften entsprechen, in die EU eingeführt werden dürften.
In Österreich bleibt die Sorge hingegen sehr wohl aufrecht. Dementsprechend „kampfbereit“ zeigte sich am Freitag der ÖVP-Bauernbund. Auch SPÖ, FPÖ, Grüne, die Landwirtschaftskammer, der Gewerkschaftsbund und die Arbeiterkammer zeigten sich erneut kritisch, ebenso globalisierungskritische und Umweltschutz-NGOs wie ATTAC und Greenpeace.
Die vom ÖVP-Wirtschaftsbund beherrschte Wirtschaftskammer sowie die Industriellenvereinigung verwiesen hingegen auf die Chancen durch den Deal. NEOS ist dafür.
Abwarten im MinisteriumDas Wirtschaftsministerium zeigte sich abwartend: „Erst wenn eine politische Einigung der Europäischen Kommission mit den Mercosur-Staaten erfolgt ist und den Mitgliedsstaaten ein Vertragstext vorgelegt wurde, kann eine handelspolitische Beurteilung des Abkommensinhalts und aller damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen vorgenommen werden“, hieß es am Donnerstag.
Wichtig sei, dass die Mercosur-Staaten ihren Verpflichtungen im Bereich Umweltschutz nachkommen. Außerdem dürfe es zu keinen Verzerrungen auf den Märkten für landwirtschaftliche Produkte in der EU durch das Abkommen kommen.