Chronische Erschöpfung: Keine Anlaufstellen für ME/CFS-Erkrankte
Chronische Erschöpfung
Wegen der Ähnlichkeiten mit Long Covid ist ME/CFS durch die CoV-Pandemie stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt: eine schwere chronische Erkrankung, die unter anderem durch große Müdigkeit gekennzeichnet ist. Für Betroffene gibt es bisher keine eigenen Anlaufstellen. Am heutigen internationalen ME/CFS-Aktionstag fordern Erkrankte eine bessere Versorgung und mehr Forschung.
Online seit heute, 8.10 Uhr
Man fühlt sich, wie wenn man nach einer schweren Grippe schwach und außer Gefecht ist – nur: Dieser Zustand bessert sich nicht, sagt Astrid Hainzl, stellvertretende Obfrau der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS. Sie ist selbst seit zwölf Jahren von ME/CFS betroffen.
ME steht für Myalgische Enzephalomyelitis: Der Name bedeutet eine Entzündung des Gehirns und Rückenmarks, auch die Muskulatur kann betroffen sein. Auch wenn einige Studien auf eine Entzündung im Zentralnervensystem hindeuten, eindeutig bewiesen ist das bisher noch nicht. CFS steht für das Chronische Fatigue-Syndrom: also anhaltende schwere Müdigkeit. Astrid Hainzl beschreibt die Symptome so: Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, Kreislaufprobleme und Konzentrationsstörungen; es können erhöhte Reiz-Empfindlichkeiten auftreten, wie etwa, dass man Licht oder laute Geräusche nicht mehr verträgt. Je mehr man versucht, aktiv zu sein, desto schlimmer werden die Symptome.
Der lange Weg zur DiagnoseDas Problem: Das Krankheitsbild wird oft nicht erkannt, Betroffene – oft sind es junge Menschen – berichten von einer jahrelangen Odyssee von einem Arzt zum nächsten. Etwa sechzig Prozent der Patientinnen und Patienten erkranken so schwer, dass sie nicht mehr arbeiten können. Ein Viertel der Betroffenen kann das Haus oder sogar das Bett nicht mehr verlassen, sagt Astrid Hainzl.
Die schwersten Fälle können nicht mehr sprechen, oder nicht mehr selbständig essen, sie seien auf Vollzeitpflege angewiesen. Trotzdem gibt es in Österreich nach wie vor keine einzige Ambulanz, keine Anlaufstelle und keine strukturelle Pflegeunterstützung für Betroffene. Nur wenige Fachärztinnen und -ärzte beschäftigen sich mit dieser Erkrankung, die meisten von ihnen haben aktuell einen Aufnahmestopp verhängt – wegen der großen Zahl an Betroffenen.
Überanstrengung unbedingt vermeidenME/CFS wird meist durch einen Virusinfekt ausgelöst. Die genauen Mechanismen der Erkrankung sind bisher noch ungeklärt, sagt Jennifer Blauensteiner, Dozentin und Forscherin an der FH Joanneum in Graz. Das Immunsystem ist gestört, das autonome Nervensystem ebenso, das alles habe Folgesymptome für die Patienten und Patientinnen.
Neuere Studien deuten darauf hin, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handeln könnte, bei der es zu einer schweren Stoffwechselstörung kommt. Außerdem wurde ein erhöhter Natrium-Gehalt in der Muskulatur festgestellt: Dieser könnte dazu führen, dass die Muskeln stark geschwächt sind. Besonders wichtig für Betroffene ist das sogenannte Pacing: Das bedeutet, man muss innerhalb des eigenen Energieniveaus bleiben. Geht man darüber hinaus, kommt es zu einem sogenannten „Crash“, zu einer extremen Zustandsverschlechterung. In der Regel trete diese zwölf bis 48 Stunden ein, nachdem man sich überanstrengt hat. Doch genau das sollte man unbedingt vermeiden, da sich die Krankheit dadurch meist weiter verschlechtert.
Am heutigen ME/CFS-Aktionstag wollen Betroffene auf ihre Situation aufmerksam machen: etwa durch eine Protestaktion auf dem Wiener Heldenplatz und durch Lesungen. Sie wünschen sich vor allem, dass sich die Versorgungslage bessert – in medizinischer aber vor allem auch in sozialer Hinsicht – nämlich durch Unterstützung bei der Finanzierung von Pflege.