Serie „Masters of the Air“: Sie starben den Tod der Maschinen

Zehn Männer, die meisten blutjung, klettern in eine zweiundzwanzig Meter lange Röhre aus Leichtmetall mit vier Neunzylinder-Propellermotoren, die an zwei seitlichen Tragflächen angebracht sind. Sie fliegen fünf Stunden bei eisigen Temperaturen in 8000 Meter Höhe, um in achthundert Kilometer Entfernung zwei Tonnen Spreng- und Brandbomben abzuwerfen. Die Hälfte der Flugzeit verläuft ohne Zwischenfälle. In der übrigen Hälfte werden sie von Hunderten Flugabwehrgeschützen mit 8,8- und 10,5-Zentimeter-Granaten mit Höhenzündern und von Jagdflugzeugen mit Salven aus 2-Zentimeter-Maschinenkanonen beschossen. Bomber, die Volltreffer abbekommen, zerbrechen in der Luft. Andere, von den Salven der Jäger zersiebt, fallen als brennende Fackeln vom Himmel. Zerstörte Flugzeuge kollidieren mit unbeschädigten, Verwundete baumeln an Fallschirmen, Wrackteile stürzen in das Inferno, das die Bomben am Boden angerichtet haben.

Der strategische Bombenkrieg der Westalliierten gegen das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg war schon Thema vieler Filme und Fernsehserien, von William Wylers Dokumentation „Memphis Belle“, die noch während der ersten Phase der amerikanischen Luftoffensive im Frühjahr 1943 entstand, bis zu George Clooneys Sechsteiler „Catch-22“ von 2019 nach dem Roman von Joseph Heller. Keine dieser Bilderzählungen, ob fiktiv oder nicht, vermochte die Erlebnisse der Bom­ber­be­sat­zun­gen und ih­rer Gegner auch nur an­nä­hernd realistisch wiederzugeben. Auch die von Steven Spielberg, Tom Hanks und Gary Goetzman produzierte neunteilige Serie „Masters of the Air“ vermag das nicht. Aber sie kommt der Wirklichkeit des Bombenkriegs näher als jeder andere filmische Versuch vor ihr, und darin liegt ihre überragende Qualität.

Allerdings kann man fragen, wem damit geholfen ist. Die Ereignisse, von denen die Serie erzählt, liegen achtzig Jahre zurück, die realen Vorbilder ihrer Hauptfiguren, deren Lebensläufe am Ende der letzten Folge geschildert werden, sind inzwischen alle tot. Drohnen und Marsch­flug­kör­per haben in heutigen Kriegen die Rolle der Fernbomber übernommen, und die neuesten Ego-Shooter-Spiele bieten fiktive Luftkampfszenarien auf ei­nem visuellen Niveau, das in den Cockpits der Fliegenden Festungen undenkbar gewesen wäre. Eine Serie über den alliierten Luftkrieg kann deshalb nur retrospektiv wirken. Sie füllt eine Lücke der Vorstellungskraft. Dennoch durchlebt man die neun Stunden von „Masters of the Air“ nicht allein aus historischem Interesse. Man spürt, dass hier etwas gezeigt wird, was den Erfahrungshorizont der Menschheit und die Grenze des zerstörungstechnisch Machbaren für immer verschoben hat.

Die Handlung dreht sich um zwei Offiziere der 8. US-Luftflotte, deren Einheit, die 100th Bomb Group, ab Mai 1943 auf dem Flugplatz Thorpe Abbotts im ostenglischen Norfolk stationiert war. Als John „Bucky“ Egan und Gale „Buck“ Cleven dort eintreffen, ist die Luftschlacht über Westeuropa bereits in vollem Gange. Von Juni bis September nehmen beide an Tagangriffen auf die Bremer U-Boot-Werften, das deutsch besetzte Norwegen und die Messerschmitt-Werke in Regensburg teil. Im September wird Cleven bei einem Einsatz abgeschossen, und am 10. Oktober erwischt es auch Egan bei jenem Angriff auf Münster, bei dem von den dreizehn eingesetzten Maschinen der 100th Bomb Group nur eine einzige nach Norfolk zurückkehrte. Von da an spielt die Serie an zwei Hauptschauplätzen gleichzeitig, in Thorpe Abbotts und im deutschen Internierungslager Stalag Luft III, das kurz vor Kriegsende aus dem schlesischen Sagan nach Moosburg an der Isar verlegt wird.

Im Moment der Todesgefahr denkt jeder an sich selbst

Spielberg, Hanks und Goetzman haben 2001 den Zehnteiler „Band of Brothers“ und neun Jahre später die Nachfolgeserie „The Pacific“ produziert. In beiden Serien ging es um amerikanische Infanteristen, die sich, hier auf dem europäischen, dort auf dem fernöstlichen Kriegsschauplatz, gemeinsam durchschlagen, bis der Gegner kapituliert. Dass sie „wie Brüder“ waren, gehört trotz der Gegenbeweise in den Filmen von Sam Fuller zur Folklore amerikanischer Kriegsveteranen und -historiker, und auch „Masters of the Air“ rollt mit dieser These aufs Flugfeld. Aber man sieht etwas anderes.

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