Zum Martinstag: Kleingeld in der Tasche, Pfandflaschen für andere ...
Benannt nach Martin, einem römischen Soldaten, der um das Jahr 316 nach Christus geboren worden sein soll, hat der am 11. November begangene Martinstag den Gedanken des Teilens als Grundlage. Der Legende nach ritt der – später heilig gesprochene – Martin an einem kalten Wintertag an einem hungernden und frierenden Bettler vorbei. Der Mann tat ihm so leid, dass Martin mit dem Schwert seinen warmen Mantel teilte und dem Bettler eine Hälfte schenkte. Aus dieser Geste heraus ist der Teilen-Gedanken zu St. Martin entstanden. Martinshörnchen zum Beispiel sind ein Gebäck, das in der Mitte gebrochen und mit einem anderen Menschen geteilt wird.
Viele Menschen in Berlin sind darauf angewiesen, zu betteln. Wer in den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, wird oft gebeten, zu geben. Das kann funktionieren, nerven, abstoßen und nachdenklich machen. Wie reagieren Sie?
Pfandflaschen für die alte FrauDie alte Flaschensammlerin ist einer der emsigsten Menschen, die ich kenne. Nachbarn treffe ich nicht so oft wie sie. Unermüdlich sucht sie nach Flaschen und vielleicht auch anderen brauchbaren Gegenständen. Irgendwann habe ich angefangen, meine Pfandflaschen für sie zu sammeln. Sie bedankt sich jedes Mal strahlend dafür mit den Worten „Herzlichen Dank!“ Als ich sie längere Zeit nicht getroffen habe und fragte, wo sie gewesen sei, sagte sie: „Bei meiner Tochter in West-Deutschland“. Verblüfft hat mich ihre Antwort, als ich sie mal fragte, woher sie ursprünglich komme: „Aus der Türkei“. Das hätte ich nicht geraten.
Sie ist definitiv nicht der Typ einer Bettlerin, wie es so viele und immer mehr gibt. Sie hat auch noch nie nach Geld gefragt. Ihr Fleiß beeindruckt mich. Und ich möchte ihr einfach Erfolgserlebnisse schenken. Klappt aber nicht immer, weil ich es manchmal auch eilig habe, wenn ich sie sehe. Wenn dann aber doch wieder ein Sack voll und zur Hand ist, scheint ihre Freude darüber ungetrübt. (Elisabeth Binder)
Eine Münze mit SilberrandIch gebe tatsächlich immer dem ersten, der mich aktiv nach Geld fragt, eine Münze mit Silberrand (ein oder zwei Euro) und versuche schon, das auch immer dabeizuhaben. Und sonst, wenn niemand fragt, suche ich mir eine:n aus, der/die mit Tasse oder Schüssel auf der Straße sitzt und mir irgendwie sympathisch ist. Und manchmal frage ich noch, ob jemand einen Schokoriegel oder Bonbons möchte und – wenn ja – lege ich das dazu. Dann ist für diesen Tag Schluss. Aber mir blutet das Herz dabei und das ist einer der Gründe, warum ich nicht in Berlin leben könnte, weil ich das sichtbare Elend nicht gut aushalte. (Antje Scherer)
Regelmäßig spenden wir auch Kleidung, bei der Stadtmission in der Lehrter Straße. Aber immer denke ich: alles zu wenig.
Claudia Seiring hat von ihrer Mutter gelernt, dass es selbstverständlich ist, zu geben.
Dass es selbstverständlich ist, zu geben, habe ich von meiner Mutter gelernt. Seit ich mich erinnern kann, hatte sie immer ein paar Münzen in der Tasche und wer fragte, bekam etwas. Das waren, als ich Kind war, oft Versehrte. Wie nah ich Anfang der sechziger Jahre Geborene dem Kriegsende war, ist mir erst als Erwachsene klar geworden. Ich gebe meist dem oder der Ersten des Tages, mindestens einen Euro. Immer denke ich: Wie ist dieser Mensch in diese Situation gekommen? Besonders berührt mich, wenn die um Geld Bittenden sehr gewählt sprechen und so freundlich sind. Regelmäßig spenden wir auch Kleidung, bei der Stadtmission in der Lehrter Straße. Aber immer denke ich: alles zu wenig. (Claudia Seiring)
Ein Herz und viele Flaschen: Seit einem Jahr stellt unsere Autorin ihr Leergut auf die Straße, um damit anderen zu helfen.© Tagesspiegel/Kitty Kleist Heinrich
Tüte mit Flaschen und ein ZettelAuf die Idee bin ich gekommen, als mir immer öfter Menschen auffielen, die in Papierkörben nach Pfandflaschen suchten. Etwa seit einem Jahr gebe ich unsere nicht mehr an den Pfandautomaten der Supermärkte ab, sondern sammle sie. Wenn einige zusammen gekommen sind, packe ich sie in eine Tüte – meist liegt der Wert so bei acht oder neun Euro. Eine schöne Tüte, die man gerne anfasst. Die stelle ich dann unter den Papierkorb vor unserer Tür, mit einem Zettel „Zu verschenken“. Dazu male ich ein Herz. Meist sind die Tüten sehr schnell weg, das freut mich. (Kitty Kleist-Heinrich)
Ein Glas voller MünzenEines der ersten Dinge, die mir als Neu-Brandenburger, mit Job in Berlin, beim Pendeln in der S-Bahn aufgefallen sind, war das so extrem sichtbare soziale Gefälle. Bis zu fünfmal kommen auf der halbstündigen S-Bahnfahrt Menschen ins Abteil, die versuchen, mit dem Verkauf von Zeitungen ihr Überleben zu sichern. Von Anfang an war mir auf eindringliche Weise bewusst, wie viel Überwindung es diese Menschen kosten muss, sich in einem vollen S-Bahn-Abteil zu offenbaren und um Kleingeld zu bitten.
Ich beschloss, dass ich jedem, dem ich auf diese Weise in der S-Bahn begegne, etwas geben möchte. Da ich selten Kleingeld in der Tasche hatte, habe ich angefangen ein Glas in den Flur zu stellen, in dem ich jegliches Münzgeld sammle. Nun bin ich meistens gut versorgt und habe festgestellt: mehr noch als nur über Geld freuen sich diese Menschen über ein freundliches Wort und ein Lächeln. (Bernd Wilhelm)
Geld für Menschen in der BahnIch war zehn oder elf Jahre alt, als ich mit meinem Vater in der Stadt unterwegs war. Ein Mann kam uns in der Fußgängerzone entgegen und bot uns die Straßenzeitung an. Mein Vater kaufte eine. „Man soll immer Menschen geben, die weniger haben“, sagte er zu mir. Das hat sich eingebrannt. Ich kaufte dann schon während der Schulzeit immer die Zeitung, wenn sie mir jemand anbot. Das zieht sich bis heute durch. Ich gebe auch regelmäßig Menschen in der S- und U-Bahn Geld. Oft wurde ich schon von Freundinnen und Freunden dafür belächelt.
Einige Male blieben die Menschen, denen ich Geld gab, kurz bei mir stehen und bedankten sich, erzählten mir von ihrem Leben, manchmal weinten sie. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ein paar Euro hier und da keinen Unterschied machen – für diese Menschen macht es aber einen großen Unterschied. Wäre ich in so einer Situation, würde ich mich über jegliche Art der Hilfe freuen.
Natürlich hat das auch alles Grenzen. Auf meinem Weg zur Arbeit kam ich eine Weile täglich an den gleichen zwei Menschen vorbei, die mich nach Geld fragten. Eine Weile gab ich ihnen jeden Tag etwas. Ich war noch Studentin, das wurde zu viel. Irgendwann sagte ich: „Ich hab euch gestern erst etwas gegeben, in ein paar Tagen wieder.“ Sie nickten und bedankten sich. Eines Tages waren sie fort. Ich wüsste gerne, was aus ihnen geworden ist. (Melanie Berger)