Rechtsextremist Martin Sellner ist trotz Widerstand in die Schweiz ...

Der prominente Rechtsextremist Martin Sellner ist im Aargau von der Polizei mitgenommen worden – nun mischt sich Elon Musk ein

Martin Sellner - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Der durch das Treffen von Potsdam bekannt gewordene Österreicher wollte am Abend im aargauischen Tegerfelden eine Rede halten. Dazu kam es nicht.

Er will am Samstagabend vor Schweizer Publikum auftreten: Martin Sellner, hier bei einer Rede in Wien 2019.

Lisi Niesner / Reuters

«Auf gehts in die Schweiz», sagte Martin Sellner am Samstagmorgen, während er im Auto losfährt. Zu dem Zeitpunkt wusste der 35-jährige österreichische Rechtsextremist laut eigenen Angaben nicht, ob gegen ihn ein Einreiseverbot in die Schweiz bestand.

Später ging die Selbstinszenierung auf den sozialen Netzwerken weiter: Sellner liess sich im Schlauchboot auf dem Bodensee bei seinem angeblichen Grenzübertritt filmen – und mokierte sich dabei nicht nur über Flüchtlinge im Mittelmeer, sondern auch über die Schweizer Sicherheitsbehörden.

An einer Veranstaltung, die im aargauischen Tegerfelden stattfinden sollte, wollte der Mann, dessen Aktionen Deutschland und Österreich in Aufruhr versetzen, am Abend einen Vortrag über «Ethnische Wahl und Remigration» halten. Eingeladen wurde Sellner von der rechten Gruppierung aus dem Raum Zürich, «Junge Tat».

Sellner selber zeigte sich auch noch feixend auf Telegram, wie er in einem Lokal auf seinen Auftritt wartet. Auf dem Video waren bereits Polizisten beim Eingang zum Lokal zu sehen.

Kurz nach 18 Uhr machten am Samstag Meldungen die Runde, wonach Sellner von der Polizei abgeführt worden sei. Vor Ort im aargauischen Tegerfelden bestätigte sich der Polizeieinsatz. Mehrere Einsatzwagen der Kantonspolizei Aargau hatten das Aargauisch Kantonale Weinbau-Museum umstellt, wo die Veranstaltung hätte stattfinden sollen. Die Polizei bestätigte vor Ort, dass Sellner mitgenommen worden sei.

Es handelt sich nicht um eine Festnahme, sondern um eine Anhaltung, sagte Corina Winkler, Sprecherin der Kantonspolizei Aargau. Diese habe zum Ziel, die Veranstaltung zu unterbinden. In der Regel dauere eine solche Massnahme zwei bis drei Stunden, danach werde voraussichtlich eine Wegweisung ausgesprochen.

Ein Sprecher der «Jungen Tat» sagte vor Ort, die Polizei sei in den Saal «hineingestürmt». Als Grund für die Intervention habe sie angegeben, die Veranstaltung mit Sellner sei politisch nicht geduldet. Die Sprecherin der Polizei dementierte dies und sagte, die Intervention sei nicht aus politischen Gründen geschehen. Die Veranstaltung sei als Gefahr für die öffentliche Sicherheit beurteilt worden. Der Grund war die Befürchtung, dass durch Sellners Auftritt Konfrontationen provoziert würden.

In einer Mitteilung vom Sonntag bestätigte die Polizei dies noch einmal. Sellner sei «zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung von Konfrontationen mit Personen der Gegenseite» angehalten und vom Kantonsgebiet weggewiesen worden. Die Veranstaltung sei aufgelöst worden, nachdem die Organisatoren diese nicht selbst beenden wollten. Gleichzeitig habe man eine Anreise politischer Gegner verhindern können, so die Polizei weiter. Trotz den Spannungen auf allen Seiten sei beim gesamten Einsatz niemand verletzt worden.

Um 19 Uhr hatten sich noch immer ein gutes Dutzend Polizisten in dem Lokal befunden. Die rechtsextremen Aktivisten erklärten, man habe den Betreibern des Aargauisch Kantonalen Weinbau-Museums «mit Klarnamen» kommuniziert, wer man sei, und dass an dem Abend zu «Migrationsthemen» gesprochen werden solle. Es seien rund 100 Personen anwesend gewesen.

Die Betreiber des Museums, ein privater Verein, wurden von der Art des Anlasses jedoch überrascht, wie sie vor Ort sagen. Angemeldet gewesen sei ein «Podiumsgespräch zu Entwicklungshilfe und Migration». Von einem Zusammenhang mit Sellner und der «Jungen Tat» habe man nichts gewusst. Die Anfrage sei kurzfristig eingetroffen.

Hätte man mehr gewusst, hätte man das Lokal nicht vermietet, so die Betreiber des Museums. Darauf aufmerksam gemacht worden seien sie am Samstag von der Polizei, wie deren Sprecherin sagte. Die Betreiber des Museums haben daraufhin den Mietvertrag aufgelöst. Darum habe die Polizei der «Jungen Tat» klargemacht, dass sie den Vortrag abblasen müssten. Weil die «Junge Tat» dem nicht Folge leistete, habe man Sellner dann mitgenommen. Weil: ohne Redner keine Veranstaltung.

Sellner teilte später am Abend auf Telegram mit, dass er den Polizeiposten wieder habe verlassen dürfen und nun von der Polizei aus dem Kanton Aargau nach Zürich eskortiert werde.

Am Sonntagnachmittag postete er auf X ein Video, in dem er heisst, er befinde sich nun wieder in Österreich.

Elon Musk mischt sich ein und kritisiert Vorgehen der Polizei

Dennoch sorgte der Vorfall auch international für Aufsehen. So äusserte sich der Tech-Unternehmer Elon Musk auf seinem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) unter dem Video von Sellner. Musk stellte dort die Frage «Ist das legal?» und kritisierte so implizit das Vorgehen der Polizei.

Is this legal?

— Elon Musk (@elonmusk) March 16, 2024

Auch die Junge SVP Aargau solidarisierte sich mit dem Rechtsextremen und sprach auf X von einem «schwarzen Tag für Demokratie und Meinungsfreiheit».

Gegen den geplanten Vortrag hatte sich im Vorfeld bereits Widerstand geregt. Die Kantonspolizei Zürich forderte vom Bund, eine Einreisesperre für Sellner zu verfügen. Über die Sperre entscheidet die Bundespolizei Fedpol. Die Gründe, weshalb die Kantonspolizei zu dieser Massnahme gegriffen hatte, kommunizierte sie nicht.

Grundsätzlich kann das Fedpol Einreisesperren zum Schutz der inneren oder äusseren Sicherheit verfügen. Ob dies in dem Fall geschehen ist, beantwortete das Fedpol nicht. Bei der Kantonspolizei Aargau war dies am Samstag kein Thema.

Hintergrund der Aufregung rund um Sellner ist die Veröffentlichung des Recherchenetzwerks Correctiv. Anfang Januar wurde bekannt, dass Sellner im November in Potsdam vor Unternehmern und Mitgliedern der AfD und der CDU über «Remigration» gesprochen hatte.

Der Begriff steht für die Massenausschaffung von Ausländern mit Integrationsschwierigkeiten – ein Konzept, über das der neurechte Aktivist bereits ausführlich publiziert hat. Nach der Veröffentlichung der Recherche kam es zu bundesweiten Demonstrationen «gegen rechts».

Dass der Österreicher seine Einreise als Show für sein Publikum inszeniert, gehört zu seiner Masche. So hatte er es schon getan, als er nach Deutschland einreisen wollte. In Deutschland wird derzeit ein Einreiseverbot für Sellner erwogen. Auch dort ist bisher ist nicht öffentlich bekannt, ob ein solches tatsächlich verfügt worden ist.

Sellners Gastgeber von der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat» sagten am Freitag gegenüber der NZZ, sie seien bis zuletzt nicht über ein mögliches Einreiseverbot informiert worden.

Weil nicht nur Widerstand der Behörden zu erwarten war, sondern auch solcher aus antifaschistischen Kreisen, versuchten sie den genauen Veranstaltungsort geheim zu halten. Sie gaben auf ihren Kanälen nur zwei Sammelpunkte im Aargau an, von wo der Transport dann ausschliesslich für willkommene Gäste weitergehen sollte.

Für den Nachrichtendienst fehlt bei Sellner ein Gewaltbezug

Bern verhängte in der Vergangenheit immer wieder Einreisesperren, die sich auf das Ausländer- und Integrationsgesetz stützen. Die entscheidende Richtschnur dabei ist, ob von der betreffenden Person ein Sicherheitsrisiko ausgeht. Bei ausreichend handfesten Annahmen können Fernhaltemassnahmen verfügt werden, konkret eine Einreisesperre, oder bei Personen ohne Schweizer Bürgerrecht die Ausweisung. Diese Verfügungen können angefochten werden.

Daneben gibt es auch die Möglichkeit, dass das Staatssekretariat für Migration Massnahmen ergreift. In diesen Fällen ist nicht die Gefährdung der Sicherheit die Richtschnur, sondern die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Ein Beispiel für Letzteres sind Personen, von denen man annimmt, dass sie an einer Veranstaltung randalieren: Dadurch wird nicht die Sicherheit der Schweiz, aber sehr wohl die öffentliche Sicherheit gefährdet.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder Fälle von Einreisesperren. Oftmals betrafen sie Personen mit einem islamistischen Hintergrund.

Der Schweizer Nachrichtendienst NDB sieht sich im Fall Sellner nicht zuständig. Personen, die sich ideologisch oder politisch radikalisieren, fielen erst dann in sein Aufgabengebiet, wenn ein konkreter Gewaltbezug feststellbar sei, teilt er auf Anfrage mit. Allein die Tatsache, dass jemand Neonazi oder Anarchist sei, genüge mithin nicht, damit der NDB mit Blick auf anstehende Ereignisse präventiv tätig werde.

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