Wie Mario Draghi die europäische Wirtschaft retten will

7 Tage vor
Mario Draghi

Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi schlägt der EU in einem von der Kommission beauftragten Bericht eine massive Investitionsinitiative vor. Es brauche jährliche Investitionen von 750 bis 800 Milliarden Euro - verhältnismäßig mehr als im Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg - und raschere Entscheidungen.

Die Europäische Union (EU) laufe Gefahr, wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten, vor allem im Vergleich zu China und den USA. Davor warnt der Ex-EZB-Chef Mario Draghi in seinem Bericht zur EU-Wettbewerbsfähigkeit, der am Montag in Brüssel vorgestellt wird. Als Hauptproblem wird eine mangelnde Produktivität in Europa ausgemacht.

Als Beispiel führt Draghi einen zunehmenden Unterschied bei der Wirtschaftsleistung pro Kopf zwischen den USA und der EU in den vergangenen Jahren an. Rund 70 Prozent des Unterschieds gingen auf Produktivitätsunterschiede zurück, steht in einem Teil des Berichts, den die EU-Kommission kurz vor der Präsentation heute in Brüssel an Journalisten verteilte.

Investitionen von bis zu 800 Milliarden Euro jährlich

Draghi fordert von der EU Reformschritte in historischem Ausmaß, um wirtschaftlich mit Wettbewerbern wie den USA und China Schritt halten zu können. Dazu brauch es einen Dreiklang aus einer koordinierten Industriepolitik, schnelleren Entscheidungswegen und massiven Investitionen. In dem Bericht beziffert Draghi für die EU einen Bedarf von zusätzlichen Investitionen in Höhe von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr. Dies entspricht bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Das sei weit mehr als die ein bis zwei Prozent, die im Marshallplan zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg vorgesehen waren.

Ein Teil der erforderlichen enormen Investitionen werde durch bestehende nationale oder EU-Finanzierungsquellen abgedeckt. Doch seien möglicherweise neue gemeinsame Quellen erforderlich, heißt es in dem Bericht, der als Beispiele Investitionen in die Verteidigung und das Energienetz nennt. Die Entscheidungsprozesse der EU seien überdies komplex und träge. Es bestehe Reformbedarf: „Dazu wird es erforderlich sein, die Arbeit der EU auf die dringendsten Probleme zu konzentrieren, eine effiziente politische Koordinierung hinter gemeinsamen Zielen sicherzustellen und bestehende Governance-Verfahren auf eine neue Art und Weise zu nutzen, die es den Mitgliedsstaaten, die schneller vorankommen möchten, ermöglicht, dies zu tun“, heißt es in dem Bericht.

Darin wurde vorgeschlagen, die sogenannte qualifizierte Mehrheitsentscheidung - bei der es nicht notwendig ist, dass eine absolute Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür stimmt - auf mehr Bereiche auszuweiten und als letztes Mittel gleichgesinnten Ländern zu gestatten, bei manchen Projekten eigene Wege zu gehen.

Abhängigkeiten verringern

Laut Draghi hat die EU nach dem Verlust des Zugangs zu billigem russischem Gas mit höheren Energiepreisen zu kämpfen und kann sich nicht länger auf offene ausländische Märkte verlassen. Der frühere italienische Regierungschef erklärte, die EU müsse Innovationen ankurbeln, die Energiepreise senken und gleichzeitig die grüne Transformation vorantreiben. Zudem gelte es, die Abhängigkeit von anderen Ländern, insbesondere von China bei wichtigen Mineralien, zu verringern und die Investitionen in die Verteidigung zu erhöhen.

„Die Vorschläge von Mario Draghi geben wichtige Impulse, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken“, erklärte DIHK-Präsident Peter Adrian. Der Wirtschaft sei besonders dann geholfen, wenn hohe Energiepreise, überbordende Bürokratie und eine schleppende digitale Transformation als Hindernisse der Wettbewerbsfähigkeit konsequent abgebaut würden.

Vorteile der internationalen Arbeitsteilung nicht außer Acht lassen

Bei Initiativen zur Verringerung strategischer Abhängigkeiten müsse die EU allerdings darauf achten, dass sie nicht über das Ziel hinausschieße – wie zum Beispiel durch Vorgaben für eine Mindestproduktion in der EU: „Unternehmen passen ihre Lieferketten ohnehin fortlaufend an, um Risiken zu managen und ihre Resilienz zu stärken. Sie müssen aber gerade dazu die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung auch jenseits der EU-Grenzen nutzen können“, forderte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).

Das Wirtschaftswachstum in der EU war in den letzten beiden Jahrzehnten durchweg langsamer als in den USA, und China vollzog einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg. Der Rückstand Europas war zum großen Teil auf die geringere Produktivität zurückzuführen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte Draghi als ökonomischen Vordenker mit der Aufgabe betraut, das Wettbewerbsprofil der Länder-Gemeinschaft auf dem Weg zur grünen Transformation zu schärfen. Die EU müsse auf dem Weg in die Zukunft klären, wie sie die Inflation drücken, den Fachkräftemangel bekämpfen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln könne, forderte sie im September vorigen Jahres.

ÖVP wünscht Fokus auf Forschung, SPÖ will Wertschöpfungsabgabe

Für die EU-Abgeordnete der ÖVP, Angelika Winzig, liefert der Draghi-Bericht einen wichtigen Beitrag. „Wenn wir unseren Wohlstand sichern und weiter ausbauen wollen, müssen wir dafür sorgen, dass unsere Industriebetriebe und KMUs weiter in Europa erfolgreich wirtschaften können. Dazu braucht es einen klaren Fokus auf Forschung, Entwicklung und Innovation sowie einen verbesserten Zugang zu Finanzierungen.“ Darüber hinaus mahnt die Politikerin weniger „Überregulierung“ an.

„Ich erwarte von unserer EU-Kommissionspräsidentin, dass sie sich die Vorschläge Draghis zu Herzen nimmt und eine Investitionsoffensive startet“, reagierte dann die SPÖ-Politikerin und EU-Abgeordnete Evelyn Regner auf den Bericht. „Die notwendige Gegenfinanzierung liegt auf der Hand - die erforderlichen öffentlichen Mittel können nicht nur durch die von Mario Draghi angedeuteten Eurobonds finanziert werden, sondern auch durch eine Wertschöpfungsabgabe, eine Vermögensabgabe oder eine Steuer auf Unternehmensanleihen finanziert werden.“ (Reuters/APA)

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