„Österreichisches Literaturtheater“: Marie Rötzer über ihre Pläne für ...

4 Tage vor

Ab der Spielzeit 2026/27 leitet Marie Rötzer, derzeit Direktorin des Landestheaters Niederösterreich, das Wiener Theater in der Josefstadt, gemeinsam mit Stefan Mehrens, der die kaufmännische Geschäftsführung übernimmt. Sie wird sich auf österreichische Literatur konzentrieren. Die Kammerspiele aber will sie zum „Broadway-Theater Wiens“ machen.

Marie Rötzer, erfolgreiche Direktorin des Landestheaters Niederösterreich, übernimmt ab der Spielzeit 2026/27 die künstlerische Leitung des Theaters in der Josefstadt. Damit warten auf das Wiener Theaterpublikum im Jahrestakt Führungswechsel an den drei größten Sprechtheatern der Stadt: Jan Philipp Gloger, derzeit am Staatstheater Nürnberg, übernimmt im Herbst 2025 das Volkstheater, Stefan Bachmann beginnt bereits im heurigen September am Burgtheater.

Nun also ist Marie Rötzer dazugekommen. Sie hatte sich auch schon fürs Burgtheater und fürs Volkstheater beworben. Dabei schien besonders dieses eine logische Wahl. Schließlich hat Rötzer das Theater in St. Pölten quasi zur guten Alternative fürs Volkstheater gemacht, das Kay Voges seit 2020 mit einem Programm bespielt, das eher für kleinere Häuser, etwa das Schauspielhaus Wien, passen würde. Tatsächlich entdeckten viele Theaterfreunde die günstige abendliche Zugverbindung nach St. Pölten.

Auch das Theater in der Josefstadt, wo Direktor Herbert Föttinger etwa konsequent Turrini spielen ließ, aber auch etwa mit „Leben und Sterben in Wien“ ein stark politisches Stück über die Zwischenkriegszeit ansetzte, das man früher eher dem sozialdemokratisch punzierten Volkstheater zugerechnet hätte, hat in dieser Zeit wohl etliche vom Volkstheater-Kurs enttäuschte Theatergeher übernommen. Nun fragt sich natürlich: Wie werden sich die beiden Häuser das – in der Coronazeit weiter geschrumpfte – Theaterpublikum aufteilen? Werden sie sich auch mit dem Burgtheater arrangieren– und wenn ja, wie?

„Nicht drei Fäuste zugleich“

„Wir werden sicher nicht das Wiener Publikum mit drei Fäusten zugleich quälen“, versprach Rötzer bei ihrer Vorstellung auf der Probebühne der Josefstadt. Sie sehe kein Problem darin, das Publikum zu teilen, und gewiss werde man sich absprechen. „Das Gute ist, dass ich die Kollegen kenne.“ Mit Gloger habe sie sogar in Mainz zusammengearbeitet. Auch Kulturstaatsekretärin Andrea Mayer glaubt an eine gute Kooperation Bachmann/Gloger/Rötzer, schließlich seien alle drei „Führungspersönlichkeiten in einem modernen Sinn“. (Wenn sie so etwas sagt, schwingt natürlich das Wissen mit, dass etwa der unwillig verabschiedete Burgtheaterdirektor Martin Kušej vergleichsweise monomanisch wirkte.)

Zur Profilierung des Theaters in der Josefstadt bezeichnete Rötzer dieses als „das österreichische Literaturtheater“, nannte die Namen Raimund, Nestroy, Schnitzler und Hofmannsthal. Sie setze auf „österreichisches Erzähltheater“, werde aber auch über die Landesgrenzen hinausblicken, explizit nannte sie „Länder mit Beziehung zur k. k. Vergangenheit“. Als Kuratorin für die Theaterbiennale „Neue Stücke aus Europa“ habe sie da Erfahrung gesammelt. Wie in St. Pölten will sie in der Josefstadt internationale Gastspiele bringen. Staatssekretärin Mayer versah diese Öffnung mit dem Adjektiv „behutsam“ und betonte die „starke österreichische und wienerische Tradition“, die es in der Josefstadt hochzuhalten gelte. Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler sprach von einem „besonderen Blick auf das literarische Material“ und davon, den Text in den Mittelpunkt zu stellen.

 David Payr

„Referenzen an die wilden 1920er-Jahre“

Die von Föttinger, den Rötzer mehrmals respektvoll erwähnte, etablierte Tradition der Erst- und Uraufführungen will sie beibehalten. Eine Wende plant sie dagegen für die Kammerspiele, die Föttinger mit Stücken von Ionecso, Brecht etc. vom Geruch der Boulevardkomödie befreit hat. Sie will das kleine Haus in der City zum „Broadway-Theater Wiens“ machen, sprach von Komödie, Revue, Kabarett, „Referenzen an die wilden 1920er-Jahre“ und „beschwingtem Nachhausegehen“ durch die Innenstadt. Dass sie dabei das „Londoner Nachtleben“ als Vorbild anführte, will man nicht so wörtlich nehmen: Schließlich sind in London, selbst in Soho, die Sperrstunden deutlich strenger als in Wien oder sogar in St. Pölten…

Josefstadt-Direktoren: Von Max Reinhardt zu Marie Rötzer

Das Theater in der Josefstadt kann auf eine über 200-jährige Geschichte zurückblicken. 1788 errichtete Karl Mayer, Schwiegersohn des Wirten „Bey den goldenen Straussen“ in der Kaisergasse (heute: Josefstädter Straße) im Garten der Gastwirtschaft das erste Theatergebäude – heute die älteste noch bestehende ständig bespielte theatralische Institution auf Wiener Boden.

1822 leitete der bekannte Biedermeierarchitekt Josef Kornhäusl den Neubau des zu klein gewordenen Theaters. 1834 wurde der „Sträußel Saal“ als Ballsaal eröffnet, in dem Johann Strauß Vater und Lanner regelmäßig zum Tanz aufspielten.

Von 1899 bis 1923 war Josef Jarno Direktor des Hauses. Mit Goldonis „Diener zweier Herren“ begann am 1. April 1924 die Ära Max Reinhardt im Theater in der Josefstadt, der hier ein glänzendes Künstlerensemble u.a. mit der Familie Thimig, Gustaf Gründgens oder Hans Moser versammelte. Zu den späteren Josefstadt-Direktoren zählen Otto Schenk (von 1988 bis 1997) und Helmuth Lohner (mit Unterbrechung von 1997 bis 2006). Herbert Föttinger übernahm die Leitung 2006; 2026 tritt er nach zwanzig Jahren ab.

Herbert Föttinger hatte in seiner jüngsten Pressekonferenz die geringere öffentliche Dotierung der Josefstadt im Vergleich zum Volkstheater als „absolute Frechheit“ bezeichnet. Dem wollten sich naturgemäß weder die frisch ernannte Rötzer noch der Stiftungsratvorsitzende Thomas Drozda anschließen, der freilich eingangs seufzte: „Es war schon einmal leichter und selbstverständlicher, Theater zu machen.“ Umso ehrlicher wirkte die Freude über die Bestellung Rötzers bei ihm sowie bei Kulturstadträtin Kaup-Hasler und Staatsekretärin Andrea Mayer, die die beiden Subventionsgeber Stadt und Bund repräsentieren.

Die Findungskommission – mit den Stiftungsvorständen Drozda, Johanna Rachinger (Nationalbibliothek) und Eva Schiessl-Foggensteiner (BFI) sowie Karin Bergmann (Festwochen Gmunden) und Lotte de Beer (Volksoper) – hat sich einstimmig für Rötzer entschieden. Einstimmig fiel auch die Entscheidung für Stefan Mehrens, der ebenfalls im September 2026 als kaufmännischer Geschäftsführer beginnen wird.

Die von Herbert Föttinger geplante dritte Spielstätte („Josefstadt-Box“) wird Mehrens nicht in sein Budget einrechnen müssen. Sie sei „mit den zwei Bühnen sehr glücklich“, erklärte Rötzer. Und sie freue sich auf „intensive Gespräche“ mit Föttinger.

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