Das unbeschriebene Blatt von morgen
Rock-CDMilliarden: „Lotto“
Das neue Album „Lotto“ der Rockband Milliarden ist frei von krachenden Rabauken-Gitarren und feiert vielmehr die Sehnsucht nach dem Ungewissen.
Ben Hartmann und Johannes Raue sind die Protagonisten der Rockband "Milliarden". Foto: Christoph Voy
15:20
Auf dem vierten Studioalbum der Rockband Milliarden geht es um Naivität und die gespannte Erwartung. Ben Hartmann und Johannes Raue, die Platzhalter der Band, machen im Transitbereich zwischen Weggehen und Ankommen Chancen aus. Das leuchtet ein: Musikmachen ist seit jeher ein Glücksspiel. Manche Protagonisten der Pop-Historie ließen gar regelrechte Spielsucht erkennen.
Milliarden: „Lotto“ (PIAS) Foto: PIAS
Hartmann und Raue gibt das unbeschriebene Blatt von morgen ein gutes Gefühl. Der Albumtitel „Lotto“ beschreibt entsprechend vielmehr die Sehnsucht nach dem Ungewissen als das eigentliche Glücksspiel. Sie wissen: Der wirkliche Hauptgewinn kann nie Geld sein. Es ist ein Abfallprodukt von Arbeit oder besser noch von Leidenschaft. Offenherzig, beinahe eingängig steht der Song „Das erste Mal“ am Anfang des „Lotto“-Wegs.
Frei von den krachenden Rabauken-Gitarren des Vorgängeralbums und doch drückt das Stück radikal den Wunsch nach Ausdehnen von Zeit aus. Die Lust darauf, Fristen- und Termindiktaten zu entkommen, mag arglos erscheinen. Die Vorstellung, kein Sklave von Aktiengesellschaften zu sein, denen die Zwangsdigitalisierung jedes einzelnen Menschen zur Gewinnmaximierung dient, wirkt jedoch reizvoll. „Lotto“ reißt digital-monochrome Oberflächen mit der Lust auf, mal draußen zu schlafen, so als wär‘s „Das erste Mal“.
Weiter hinten in der Platte ergeben „Fürchte dich nicht“ und „Sternenflimmern“ eine Einheit. Der Übergang zwischen den beiden Liedern ist klug arrangiert. Worte, die mit einem Gedicht Jörg Fausers umgehen, gibts nur im vorderen Teil des ersten Songs zu hören, den großen Rest erzählt die Musik. Plötzlich entstehen riesige Panoramen des unausgesprochenen Selbstwahrnehmungsaustauschs zwischen Songmachern und Zuhörern.
Das zweite Stück des Liedpaars beginnt, wie das vorherige endet: zunächst wortlos. Der später einsetzende Text der Sternennummer will weg von weltlicher Kakofonie hin zum lyrischen Ausdruck. Wäre „Lotto“ ein reales Wesen, hätte dieses keine Lust mehr auf vergewaltigte und bis zur Unkenntlichkeit verbrauchte Begriffe wie „Solidarität“. Es zöge ihn hin zur Sensibilität.