Loïc Meillard gewinnt den Riesenslalom von Schladming

«So, dass es tanzt» – wie es der Schönfahrer Loïc Meillard geschafft hat, in Schladming schneller als alle anderen zu sein

Kaum jemand hätte gedacht, dass Loïc Meillard erst mit 26 Jahren erstmals ein vollwertiges Weltcup-Rennen gewinnen würde. Am Mittwochabend hat es der Walliser endlich geschafft. Von einem, der Marco Odermatt einst voraus war.

Loïc Meillard und sein Schrei der Erleichterung nach dem Sieg im Riesenslalom von Schladming.

Loïc Meillard und sein Schrei der Erleichterung nach dem Sieg im Riesenslalom von Schladming.

Christian Bruna / EPA

Im vergangenen Oktober, zwei Tage vor dem ersten Saisonrennen in Sölden, sass Loïc Meillard im Teamhotel und sagte: «Niemand gewinnt im Skilehrer-Stil. Ich finde selber, dass ich manchmal zu schön, zu sauber fahre, aber es ist nicht so einfach, das zu ändern.»

Meillard, der Mann mit der edlen Technik, der Sonderbegabte, der keine Rennen gewinnt, also in Schönheit stirbt – das war mittlerweile sein Image, nachdem er als Junior noch im Ruf gestanden war, er könnte die nächste Riesenfigur des Schweizer Skirennsports werden. Diesen Ruf hatte sich Loïc Meillard noch vor dem ein Jahr jüngeren Marco Odermatt erworben, der bis zu seinem ersten Junioren-WM-Titel im Jahr 2016 eine weniger auffällige Nachwuchskarriere hingelegt hatte.

«Im Weltcup meinen Platz zu finden, war schwieriger»

Vor dem Slalom und dem Riesenslalom unter Flutlicht in Schladming sagte Meillard gegenüber den Tamedia-Zeitungen: «Während andere im Wettkampf zusätzlich Gas geben, fahre ich wie im Training. Dafür habe ich mehr Stabilität und Sicherheit auf den Ski, bin konstant, das hilft mir.» Im Slalom am Dienstag wurde Meillard Fünfter. Im Riesenslalom am Mittwoch fuhr der 26-jährige Walliser skilehrbuchmässig schön und sauber wie fast immer, doch diesmal war er blitzschneller als jeder andere. Deutliche Bestzeit im ersten Lauf, souveräner Sieger nach dem zweiten.

Videocall mit Meillard am Vormittag danach, es geht um den weiten Weg zu diesem triumphalen Erfolg, um die Geduld, die ihn dieser Weg gelehrt hat. «Auf den Nachwuchsstufen ging alles sehr schnell und einfach», sagt Meillard. «Im Weltcup meinen Platz zu finden, war schwieriger.» Aber mit den Jahren habe er gelernt, «dass es nicht immer kommt, wie wir es uns wünschen, wie wir es uns in den Kopf setzen.» Das habe ihm geholfen, ruhig zu bleiben, seinem Potenzial stets zu vertrauen, sich nicht unter Druck zu setzen.

Niemand gewinnt im Skilehrer-Stil, klar, aber Meillard ist eben doch auch ein Sieg- und nicht nur ein Schönfahrer. Er hatte schon einmal – oder eben: erst einmal – gewonnen im Weltcup, vor bald drei Jahren in Chamonix, doch das war ein Parallelrennen, nur ein Parallelrennen. Auch Meillard selber hat das nie so hoch eingestuft wie einen Sieg in einer vollwertigen Disziplin. Ein besonderer Tag war es natürlich trotzdem, damals in Chamonix. Meillard belohnte sich mit dem Kauf einer Uhr, Baujahr 1996, sein Jahrgang.

Schon vor drei Jahren stand Meillard, der dreifache Juniorenweltmeister, im Schatten von Odermatt, dem fünffachen Juniorenweltmeister. Odermatt war der erste Weltcup-Sieg im Dezember 2019 gelungen, auf spektakuläre Weise in einem Super-G, nicht in einem Parallelrennen. Er hatte Meillard leistungsmässig zuerst eingeholt und dann überholt.

Am Mittwochmorgen hatte Odermatt auf der Reiteralm ein erstes Skitraining absolviert seit dem Malheur in Kitzbühel, wo er in der ersten Abfahrt beinahe gestürzt war und eine leichte Meniskusverletzung erlitten hatte. Auf den Riesenslalom in Schladming verzichtete Odermatt. Er hofft nun auf die Teilnahme an den beiden Super-G am Wochenende in Cortina d’Ampezzo. Odermatt liess es sich aber nicht nehmen, den ersten Riesenslalom-Lauf im Zielraum zu verfolgen.

Erster und Zweiter, und das ohne Odermatt

Dass die Schweizer Equipe ohne Odermatt die ersten beiden Plätze belegen würde, hatte wohl niemand erwartet. Doch genau so kam es, denn 0,59 Sekunden hinter Loïc Meillard wurde Gino Caviezel Zweiter. Im ersten Riesenslalom seit dem Rücktritt seines älteren Bruders Mauro, der im Familienkreis im Publikum war, erreichte Caviezel bis dato das beste Weltcup-Resultat seiner Karriere, nach je einem dritten Platz in den vergangenen beiden Wintern. Er verspüre grosse Genugtuung, sagte er, denn die vorherigen Saisonresultate im Riesenslalom waren mässig gewesen.

Erfolge wie der Sieg von Meillard vor Caviezel in Schladming sowie die Bilanz von Odermatt, der zuvor inklusive der Olympischen Winterspiele in vierzehn Riesenslaloms in Folge unter die ersten drei gefahren war und zehn der Rennen gewonnen hatte, zeigen: Das Schweizer Riesenslalomteam scheint sich der Maximalstärke anzunähern. Wobei: Strenggenommen gehört Meillard seit dieser Saison dem Slalomteam an. Er hatte im vergangenen Frühling die Trainingsgruppe gewechselt, weil man dort besser auf seine Bedürfnisse eingehen konnte.

Mit Julien Vuignier gibt es neuerdings einen Trainer, der Meillard überallhin begleitet. Vuignier coachte Meillard schon als Neun- oder Zehnjährigen im Walliser Skiverband, im Weltcup haben sie seit einigen Jahren miteinander zu tun, aber jetzt springen sie miteinander von Disziplin zu Disziplin. Meillard deckt als einziger Schweizer das Spektrum Slalom, Riesenslalom und Super-G ab. Und er schafft als derzeit einziger Weltcup-Fahrer überhaupt das Kunststück, in diesen drei Sparten zu den Allerbesten zu gehören. Meillard hat in diesem Winter bereits je zwei Podestplätze im Riesenslalom und im Slalom erreicht und sich zudem in Bormio erstmals unter den ersten drei eines Super-G klassiert.

Meillard hatte keine Kapazitäten für ein Super-G-Training vor dem Einsatz in Bormio, das ist mehr Regel als Ausnahme wegen seines Programms. Vor den drei Rennen innert vier Tagen in Kitzbühel und Schladming reichte es für je einen Tag Slalom- und Riesenslalomtraining. «Da ist jeder Lauf, jede Kurve wichtig», sagt Meillard, «und wir brauchen eine klare Vorstellung davon, was es gerade zu verbessern gilt.»

Vor diesem Mittwoch hatte Meillard immer wieder Fragen nach dem ersten wahren Weltcup-Sieg beantworten müssen. Er blieb dabei stets souverän, sprach immer wieder sein Mantra von der Leichtigkeit als Schlüssel zum durchschlagenden Erfolg, den manche Fragensteller mehr herbeizusehnen schienen als er selber. Leicht müsse er sich fühlen unterwegs. Und ja nicht verkrampfen. Voll attackieren, ohne zu überlegen. «So, dass es tanzt», sagt Meillard. Im Sommer macht er Kraftübungen zu Musik, er nimmt den Rhythmus auf, «so lernst du, deinen Körper zu kontrollieren».

Die volle Attacke sah man Meillard am Mittwoch nicht an, die Leichtigkeit umso mehr. An guten Tagen hat sein Fahrstil etwas traumwandlerisch Sicheres. Auch darum wirkt der von den Tamedia-Zeitungen eben erst angestellte Ästhetik-Vergleich mit Michael von Grünigen, dem bisher erfolgreichsten Schweizer Riesenslalomfahrer, auf einmal treffend.

Er ist gerade so erfolgreich wie noch nie

Meillard hat sich lange abgemüht bis zu diesem ersten grossen Sieg. Als er in der Medienrunde vor dem Saisonstart wieder einmal für einen Vergleich mit Odermatt hatte herhalten müssen, sagte Meillard: «Vielleicht werde ich nie erreichen, was Marco erreicht hat, vielleicht schon.» Das Höchste, was Odermatt bisher erreicht hat, ist der Gesamtweltcup-Sieg, dieses Maximalziel des Skirennsports, mit dem auch Meillard früh in Verbindung gebracht wurde. Vielleicht wird er es nie erreichen, aber nach dem enttäuschenden Winter 2021/22 steht er im Gesamtweltcup zumindest wieder da, wo er die Saison zuvor abgeschlossen hatte: auf dem vierten Platz.

Dass er derzeit so erfolgreich unterwegs ist wie noch nie, erklärt sich Meillard primär mit der individuelleren Programmgestaltung. Er ist ein Spezialfall wegen der Disziplinen, die er fährt, also braucht er eine Speziallösung. «Es hilft sehr, dass jedes Training auf mich zugeschnitten ist, dass ich die Flexibilität habe, mit dem Slalom- oder dem Riesenslalomteam zu trainieren, und dass ich im richtigen Moment die richtigen Teamkollegen um mich habe.»

Meillard hatte es schon vor diesem Mittwoch verstanden, in erster Linie zu schätzen, was er bereits an Erfolgen eingeheimst hatte, statt damit zu hadern, dass diese Erfolge zahlreicher und grösser hätten sein können, hätten sein sollen, manche finden sogar: hätten sein müssen. Er sieht nicht nur Marco Odermatt, den neuen grossen männlichen Star in der kleinen Skiwelt. Er sieht auch Mélanie Meillard, seine jüngere Schwester, die als neues weibliches Supertalent des Schweizer Skirennsports in den Weltcup kam, ehe sie diverse Verletzungen so weit zurückwarfen, dass sie seit mittlerweile fünf Jahren um den Wiederanschluss kämpft.

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