Am Donnerstag überschlagen sich im Nachbarland die Ereignisse, nachdem am Dienstagabend im Streit um den deutschen Haushalt das Aus der Berliner Ampel verkündet wurde. Der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier entließ FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner, der seine Entlassungsurkunde mit Tränen in den Augen entgegen nahm. Ihren Posten aufgeben mussten, wie von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewünscht, auch Justizminister Marco Buschmann sowie Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (beide FDP).
„Es ist nicht die Zeit für Taktik und Scharmützel, es ist Zeit für Vernunft und Verantwortung“, hatte Steinmeier zuvor gesagt. „Ich erwarte von allen Verantwortlichen, dass sie der Größe der Herausforderungen gerecht werden“. Es sei historisch, was derzeit geschehe, zugleich habe die deutsche Verfassung vorgesorgt für „einen Fall, der jetzt eingetroffen ist“: „Das Ende der Koalition ist nicht das Ende der Welt“, versucht er zu kalmieren, „unsere Demokratie ist stark“.
Präsident Steinmeier erwartet von allen Verantwortlichen, „dass sie der Größe der Herausforderungen gerecht werden.“ Reuters / Lisi Niesner
Wissing verlässt FDP und erhält zweites MinisteriumDas Koalitionsende bedeutete auch einen Bruch innerhalb der FDP: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) behielt seinen Posten in der Regierung trotz des Ausscheidens der anderen FDP-Minister. Und: Er übernimmt zusätzlich auch das Justizministerium.
Volker Wissing tritt aus der FDP aus und bleibt Verkehrsminister. Imago / Ute Grabowsky
Scholz-Vertrauter soll neuer Finanzminister werdenJörg Kukies, SPD-Politiker und Staatssekretär im Bundeskanzleramt, soll jedenfalls die Nachfolge des zurückgetretenen Christian Lindner antreten, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Kukies gilt als einer der wichtigsten Berater von Scholz. Er ist sein Mann für Wirtschaft und Finanzen und verhandelt für ihn die Abschlussdokumente der G7- und G20-Gipfel.
Nach dem Ampel-Crash bekommt Deutschland einen neuen Finanzminister: Jörg Kukies soll Christian Lindner nachfolgen. APA / AFP / Bernd Von Jutrczenka
Nachfolger von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger wird Cem Özdemir. Der Grüne übernimmt damit außer dem Landwirtschaftsministerium ebenfalls ein zweites Ressort.
Lindner „zündet das Land an“Nach drei Jahren Ampel ist zwischen Lindner und Scholz eine regelrechte Schlammschlacht ausgebrochen. Bundeskanzler Scholz sagte am Donnerstag bei einer Veranstaltung in Berlin mit Blick auf die im Haushalt veranschlagten Ukraine-Hilfen: „Wenn man jetzt zu der Überzeugung kommt, das müssen wir einfach mal so nebenbei machen, dann zündet man das Land an.“ Das würde zum Beispiel bedeuten, dass Straßen nicht ausgebaut und Schulen nicht weiterentwickelt werden könnten. Auch für Wirtschaft und Arbeitsplätze könne dann nichts getan werden.
Lindner konterte am Donnerstag zu Mittag und spricht von einer „Entlassungsinszenierung“. So wirft er dem ehemaligen Koalitionspartner SPD falsches Spiel vor. „Zu staatspolitischer Verantwortung gehört auch Stil in der Öffentlichkeit, damit die Demokratie keinen Schaden nimmt“, sagt Lindner in Berlin. Er werde sich an einem solchen Vorgehen nicht beteiligen. Er habe Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagen, geordnet Neuwahlen zu organisieren, falls es keine Einigung auf einen Haushaltsentwurf 2025 gebe. „Stattdessen gestern eine Entlassungsinszenierung“, sagt Lindner. „Das Richtige wäre die sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen.“
Grüne wollen in Regierung bleibenDie grünen Minister wollen auf jeden Fall in der Minderheitsregierung bleiben, sagte am Mittwoch Wirtschaftsminister und Vize-Kanzler Robert Habeck. Forderungen nach schnelleren Neuwahlen schloss er sich nicht an. Kanzler Scholz sei allein dafür zuständig, den Zeitpunkt für die Vertrauensfrage im Bundestag zu wählen, die dann den Weg für Neuwahlen ebnet.
In der neuen Regierungskonstellation gibt es Habeck zufolge keine Haushaltssperre. Dies sei unter dem designierten Finanzminister Jörg Kukies auch nicht zu erwarten. Gesetzliche Verpflichtungen im Rahmen bestehender Förderprogramme würden erfüllt. Neue Förderprogramme seien dagegen schwieriger. „Aber alles, was da ist, kann erst einmal weiter fortgeführt werden.“ Beim Nachtragshaushalt 2024, der noch im Bundestag verabschiedet werden muss, müsse mit der Opposition geschaut werden, ob zumindest Teile davon beschlossen werden könnten.
Merz: Vertrauensfrage „schon nächste Woche“Für CDU-Chef Friedrich Merz kommt die von Kanzler Scholz für Jänner 2025 angekündigte Vertrauensfrage jedenfalls zu spät. Sie solle bereits nächste Woche gestellt werden: „Die Ampel hat keine Mehrheit mehr im Deutschen Bundestag und damit haben wir den Bundeskanzler aufzufordern - und zwar mit einem einstimmigen Beschluss der CDU-CSU-Bundestagsfraktion -, jetzt sofort die Vertrauensfrage zu stellen, spätestens Anfang nächster Woche“, so Merz. Scholz will die Vertrauensfrage im Bundestag erst am 15. Jänner stellen und dann eine vorgezogene Wahl Ende März herbeiführen.
Friedrich Merz unterwegs ins Bundeskanzleramt zu einem Gespräch mit dem Bundeskanzler. Imago / Frederic Kern
Der Oppositionschef traf sich Donnerstagmittag zu einem halbstündigen Gespräch mit Scholz im Kanzleramt. Über Inhalte oder Ergebnisse wurde nichts bekannt. Eine Zusammenarbeit bis zu Neuwahlen schlossen beide Politiker im Vorfeld nicht aus. Wenn Scholz den Weg zu Neuwahlen noch im Jänner freimache, werde die Union prüfen, welche Gesetzesprojekte sie bis dahin unterstützen könne, sagte Merz. „Wir sind selbstverständlich bereit (...), Verantwortung für unser Land zu übernehmen.“ Scholz sagte, er wolle in einer Übergangsphase gemeinsam mit der Union „nach Lösungen suchen“, beharrte aber auf dem 15. Jänner als Termin der Vertrauensfrage.
Wenn Scholz die Vertrauensfrage im Parlament stellt und keine Mehrheit bekommt, wird er Steinmeier bitten, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat der Präsident nach Artikel 68 des deutschen Grundgesetzes maximal 21 Tage Zeit. Er ist allerdings nicht verpflichtet, dies zu tun. Macht er es, muss binnen 60 Tagen gewählt werden. Als wahrscheinlichster Wahltermin gilt derzeit der 30. März, sollte Scholz die Vertrauensfrage erst im Jänner stellen. (APA/dpa/red.)