Bayer Leverkusen ärgert sich nach 2:2 in Bundesliga gegen ...

Xabi Alonso ist ein Mann, dem Details wichtig sind, und so bestand der Trainer von Bayer Leverkusen nach dem erstaunlichen 2:2 (2:1) seiner Meistermannschaft gegen den Aufsteiger Holstein Kiel auf eine feine Differenzierung. „Nein“, sein Team habe keinen Hang zur Arroganz entwickelt, stellte er klar, nachdem dieser Begriff von mehreren Beobachtern als Erklärung für die vielen Nachlässigkeiten im Auftritt der Werkself ins Spiel gebracht worden war.

Leverkusen – Holstein - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Alonso bevorzugte ein eigenes, semantisch nur leicht anders gewichtetes Wort, er attestierte seinem Team „ein bisschen complacency.“ Das deutsche Wort „Selbstzufriedenheit“ hatte der Spanier nicht sofort parat, was kein Wunder ist. Bislang musste er sich in seiner Zeit am Rhein nicht mit mentalen Giftstoffen dieser Art herumplagen. Doch nach diesem sechsten Spieltag ist es unmöglich, der Einsicht aus dem Weg zu gehen, dass etwas nicht stimmt mit den Helden der Vorsaison.

Die fatalen Schwankungen zwischen der weiterhin sichtbaren fußballerischen Brillanz, die die Werkself zu einer der faszinierendsten Mannschaften Europas gemacht hat, und einer merkwürdigen Leichtfertigkeit sind fester Bestandteil dieser Bundesligasaison. Im vergangenen Spieljahr ließen die Leverkusener in 34 Partien nur 24 Gegentore zu, nun sind es nach sechs Spielen bereits zwölf. „Diese Statistik ist Wahnsinn“, sagte Torhüter Lukas Hradecky. Dahinter steckt offenkundig eine zuvor nicht vorhandene Schwäche.

„Wir können nicht so weitermachen“

Bereits nach dem ersten Spiel bei Borussia Mönchengladbach, das Bayer 04 nur dank eines umstrittenen Elfmeters in der Nachspielzeit gewonnen hatte, zürnte Granit Xhaka über Schlamperei in der Defensive, bevor ihm nach dem anfälligen 4:3-Sieg gegen Wolfsburg der Kragen platzte: „Wir können nicht so weitermachen. Wir können nicht so naiv verteidigen“, der Schweizer sprach von einem „Riesenweckruf“.

Wach geworden sind die Leverkusener aber allenfalls für die Phase mit den Topspielen beim FC Bayern und in der Champions League gegen die AC Mailand, wo das Verteidigen explizit im Vordergrund stand. Nun erlitten sie einen harten Rückfall – mit der klassischen Leverkusen-Dramaturgie dieser Bundesligasaison, in der sich zauberhafte Fußballkunst und Sorglosigkeit beim Verteidigen in scheinbar willkürlicher Folge abwechseln.

Zunächst zerlegten sie Holstein Kiel geradezu, der Ball wurde gestreichelt, der Kombinationsmotor schnurrte. Exequiel Palacios stand erstmals in dieser Saison in der Startelf und begann phantastisch, Victor Boniface schoss das 1:0 (3.), Jonas Hofmann ließ das 2:0 folgen (8.). Der Beginn deutete eher auf einen zweistelligen Sieg hin als auf ein Unentschieden. Doch je länger die erste Halbzeit lief, desto mehr wurde die Überlegenheit zu einer Scheindominanz.

„Nach dem Vorsprung dachten wir, das Spiel ist vorbei“, sagte Alonso, aber „man muss weiter mit der gleichen Intensität spielen, mit dem gleichen Willen zu gewinnen.“ Stattdessen häuften sich jedoch Fehlpässe und kleine Stellungsfehler oder Spieler rutschten irgendwie aus. „Wir heben den Fuß vom Gas. (…) Diese Lockerheit hat etwas anderes als Seriosität ausgestrahlt“, sagte Hradecky.

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Vielleicht hatten sie zu schnell das Gefühl, das Problem gelöst zu haben. Schließlich waren sie sehr für ihre Defensivarbeit in München und gegen Mailand gelobt worden und gegen Kiel lässig zu zwei Toren gekommen. Es gab Argumente für die Annahme, dass die Mannschaft nach Anfangsschwierigkeiten in den Modus des Vorjahres zurückgefunden hat. Auch die Champions-League-Auftritte gänzlich ohne Gegentreffer taugten als Indiz dafür, dass die Mannschaft eigentlich ziemlich stabil ist und die Ausrutscher vom Saisonbeginn kein großes Problem darstellen.

Ein klassischer Fußballtrugschluss. Und so schossen die Kieler kurz vor der Pause ein erstes Tor (Max Geschwill, 45.), Fiete Arp traf per Foulelfmeter zum 2:2 (69.), während Leverkusen an diesem Tag weder die notwendige Energie noch das Glück für einen späten Siegtreffer aufbringen konnte. „Wir sind Meister, alles schön und gut“, sagte Hradecky, der an diesem Tag Xhakas Rolle des Mahners übernahm. „Aber wir waren Meister, weil wir jedes Spiel angegangen sind wie die Verrückten.“

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In der vergangenen Saison wurde Alonso dafür gefeiert, das tief im Klub verwurzelte Phlegma vertrieben zu haben. Der Champion, der als Spieler alles gewonnen hat, schien Bayer Leverkusen in die tiefsten Geheimnisse des Erfolges eingeweiht zu haben. Nun wirkt der Trainer zum ersten Mal ein wenig ratlos. Er kann das Problem sehen, er kann es benennen, die Spieler hören zu und wissen auch, dass sie einfach nur genauso unnachgiebig und fleißig sein müssen wie im Vorjahr, um leichtere Siege herauszuspielen.

Aber sie können es nur noch selten. Vielleicht war der positive Wahnsinn des Vorjahres tatsächlich ein Zustand, der nicht dauerhaft und über erfüllte Saisonziele hinaus konservierbar ist. Der unstillbare Hunger nach Perfektion, der zu einer Art Rausch wurde, ist einem Zustand gewichen, den Alonso mittlerweile als „Selbstzufriedenheit“ wahrnimmt. Ein funktionierendes Gegenmittel hat er bislang nicht gefunden.

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