Das KZ, der Bürgermeister und die Millionen

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In Leobersdorf soll auf dem Areal eines ehemaligen KZs ein Gewerbepark gebaut werden. Der Bürgermeister freut sich. Seine Immo-Firma hat die Gründe um 15 Millionen Euro verkauft – und durch Umwidmungen 1,3 Millionen extra bekommen.

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Foto Wiener Zeitung

Weit draußen, am westlichen Rand des Wiener Beckens, ruht eine Brache. Ein flaches Stück Land zwischen Gewerbehallen und Siedlungen. Niedrige Baumgruppen, Sträucher, Gestrüpp stehen neben der Bundesstraße. Brombeer-Ranken kriechen über den nassen Boden. Ein aufgescheuchtes Reh läuft über die Ebene. Winnetou-Wiese nennen sie die Einheimischen.

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Ein unscheinbarer Name für eine unscheinbare Gstettn im niederösterreichischen Leobersdorf. Doch die Winnetou-Wiese ist nicht irgendeine Wiese. Auf der Winnetou-Wiese stand das zweitgrößte Frauen-Konzentrationslager auf österreichischem Boden. Wer genau hinsieht, sieht seine Spuren bis heute. Bröckelnde Fundamente. Eine hüfthohe Mauer im Unterholz. Die umgestürzten Betonsäulen des Eingangstors setzen Moos an. Eine Metallschüssel verrostet im Gras. Die stummen Zeugen des Nazi-Terrors rotten unbeachtet vor sich hin. Gedenkstätte gibt es auf der Winnetou-Wiese keine. Nicht einmal eine Tafel erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus.

Denn auf der Winnetou-Wiese soll ein Gewerbepark gebaut werden. Die Immobilien-Firma des Bürgermeisters von Leobersdorf hat die Gründe um 15 Millionen Euro an einen Bauunternehmer verkauft. Nach dem Verkauf wurde die Immobilie durch zwei Umwidmungen vom Gemeinderat aufgewertet – und die Firma des Bürgermeisters bekam 1,34 Millionen Euro extra. Der Deal mit den KZ-Gründen ist die Geschichte des persönlichen Profits eines Amtsträgers. Die WZ hat sie gemeinsam mit dem Falter recherchiert.

Bürgermeister und Immobilien-Hai

Ihre zentrale Figur ist Andreas Ramharter, der Bürgermeister von Leobersdorf. Seit 14 Jahren regiert er die 5.000-Seelen-Gemeinde. Seine Liste Zukunft Leobersdorf hat die absolute Mehrheit im Gemeinderat. Der 62-Jährige ist ein Bürgermeister wie viele andere auch. Er ließ das Freibad sanieren, organisierte Pflegekräfte und den Bau einer Lärmschutzwand. Mit der Freiwilligen Feuerwehr rückte Ramharter jahrelang aus. In kurzen Facebook-Videos wünscht er den Menschen frohe Weihnachten. Als im September die Triesting über die Ufer trat, stand der Bürgermeister in Gummistiefeln im Bauhof. Ramharter ist beliebt bei den Leuten.

Doch der leutselige Provinzpolitiker hat auch eine andere Seite. Privat ist er ein beinharter Geschäftsmann. Ramharter jongliert mit Millionen. Er gründete Consulting-, Investment-, Immobilien-, Photovoltaik-Unternehmen. Im Zentrum seines Firmen-Netzwerks steht die sogenannte Prisma Holding GmbH. In der Esoterik ist das Prisma eine wichtige geometrische Figur. Ramharters Prisma lässt Grundstücke geomantisch harmonisieren, bevor sie verkauft werden. Dabei wird ein Stein vergraben, der Erfolg, Zufriedenheit und Glück bringen soll. Glück brachte Ramharter auch die Winnetou-Wiese. Er hat sie zu Geld gemacht.

Das Inserat und der Investor

Der Deal mit den KZ-Gründen begann mit einer Übernahme. Im Oktober 2021 schluckte die Prisma Development GmbH – die Andreas Ramharter und seinen drei Söhnen gehört – die SOGIP. Die schweizerisch-österreichische Gesellschaft hatte erfolglos versucht, Gewerbeparks in Leobersdorf zu entwickeln. Sie besaß große Flächen in der Gemeinde. Unter ihnen die Winnetou-Wiese, die nun der Prisma Development zufiel. Wie viel die Firma der Ramharters für die Wiese bezahlt hat, sagt uns der Bürgermeister nicht. Er lässt die Frage unbeantwortet.

Zwei Monate später tauchte die Winnetou-Wiese in einem Inserat auf. Auf der Prisma-Website wurden die KZ-Gründe lapidar als „Zone Nord“ vermarktet. Die Anzeige schwärmte von einem „hochqualifizierten Arbeitskräftepotential“, einer „exzellenten Standortqualität“, „der besten Verkehrslage des Landes“. Die beklemmende Geschichte des Grundstücks wurde mit keinem Wort erwähnt.

Die Gründe des ehemaligen Konzentrations- und Zwangsarbeiter:innenlagers sind seit Jahrzehnten als Betriebsgebiet gewidmet.

Thomas Rattensperger sprang auf das Inserat an. Im Internet findet man nichts über den Bauunternehmer. Er scheut die Öffentlichkeit. Rattensperger ist in einer wenig prestigeträchtigen Branche: Er baut Gewerbeparks. Derzeit entwickelt eine seiner Firmen eine 50.000 Quadratmeter große Gewerbefläche im burgenländischen Parndorf. In Hainburg in Niederösterreich steht bereits ein Fachmarktzentrum aus dem Haus Rattensperger. Auf den KZ-Gründen in Leobersdorf will Rattensperger Gewerbehallen aufstellen.

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Foto Wiener Zeitung

Die Gründe dafür kaufte Rattenspergers Tra Leo GmbH & Co KG der Prisma Liegenschafts GmbH, einer Tochter der Prisma Development GmbH, in zwei Tranchen ab. Auch die Prisma Liegenschafts GmbH gehört Andreas Ramharter und seinen Söhnen. Der erste Kaufvertrag ist mit dem 31. August 2022 datiert, der zweite mit dem 22. Februar 2023. Für die acht Hektar große Winnetou-Wiese zahlte Rattensperger der Prisma insgesamt 15,25 Millionen Euro. Die KZ-Gründe waren verkauft. Doch es war nicht das letzte Mal, dass die Ramharters mit ihnen verdienen sollten.

Millionenschwere Klauseln

Denn die Kaufverträge enthalten zwei Klauseln, sogenannte Kaufpreisbesserungen. Rattensperger wollte zwei Umwidmungen auf seiner – großteils bereits als Bauland-Betriebsgebiet gewidmeten – Wiese. Ein als öffentliche Verkehrsfläche gewidmeter Streifen entlang der Bundesstraße sollte zu Bauland Betriebsgebiet werden. Eine zweite öffentliche Verkehrsfläche – die zwar niemals gebaut wurde, aber die Gründe zerschnitt – zur Privatstraße. Ramharters Firma verpflichtete sich, diese Umwidmungen „nach Treu und Glauben aktiv zu betreiben und bestmöglich zu unterstützen“, wie es in beiden Kaufverträgen heißt. Rattensperger sicherte der Prisma im Gegenzug eine Zusatzzahlung von insgesamt 1,34 Millionen Euro zu, sollten die Umwidmungen bis Ende des Jahres 2024 besiegelt sein. Dafür brauchte es eine Mehrheit im Gemeinderat und grünes Licht vom Land Niederösterreich.

Und die gab es.

Wenige Monate nach dem Verkauf – im Juli 2023 – trat die erste der beiden angestrebten Widmungen in Kraft. Der Firma der Ramharters brachte das 684.000 Euro.

Die zweite Umwidmung wurde erst diesen Herbst beschlossen. Am Abend des 5. Septembers 2024 kam der Gemeinderat von Leobersdorf im Rathaus zusammen. Der größte Brocken der Sitzung war ein ganzes Bündel an Änderungen im Flächenwidmungsplan. Eine der Änderungen betraf die gewünschte Privatstraßen-Widmung auf den KZ-Gründen. Alle 20 anwesenden Gemeinderät:innen stimmten zu – auch Ramharter. Dass sein Familienunternehmen mit dem Beschluss 662.000 Euro erhält, war bei der Sitzung kein Thema. Für befangen erklärte sich der Bürgermeister nicht. „Wir haben uns als Marktgemeinde Leobersdorf mehrfach schon mit der Frage der Befangenheit von Organen auseinandergesetzt und achten auch sehr genau auf die Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben“, schreibt Ramharter in einer Stellungnahme. Um 21:02 Uhr war die Gemeinderatssitzung beendet. Die Lokalpolitiker:innen verließen das Rathaus.

Drei Gewerbehallen geplant

Für den Bürgermeister war die Sache damit erledigt. Er war die KZ-Gründe los, der Gemeinderat hatte die vereinbarten Umwidmungen beschlossen, Ramharters Firma stand die Kaufpreisbesserung zu. Knapp 16,6 Millionen Euro legte Rattensperger insgesamt auf den Tisch.

Was der Bauunternehmer auf den Gründen genau vorhat, will er uns nicht sagen. Eine Anfrage von WZ und Falter lässt er unbeantwortet. Bei der Bezirkshauptmannschaft Baden hat Rattensperger jedenfalls um die Genehmigung für drei „Hallengebäude samt Außenanlagen“ angesucht.

Bis heute stehen Mauerreste auf der Winnetou-Wiese.

Von der NS-Vergangenheit seiner Gründe lässt sich der Unternehmer nicht aufhalten. Über 400 Frauen sperrte die SS hier hinter elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun. Sie waren ausgehungert und froren in den unbeheizten Baracken. Die meisten Frauen wurde in der Sowjetunion, Polen und Italien aus ihren Familien gerissen und verschleppt. Die Jüngsten waren 16 Jahre alt. Die Nazis selektierten sie im Vernichtungslager Auschwitz und brachten sie in Viehwaggons ins KZ nach Leobersdorf. In der Nachbargemeinde Hirtenberg fertigten die Häftlinge unter Stockschlägen Zündkappen in der wichtigsten Patronenfabrik der Nazis – den Gustloff-Werken Hirtenberg. In Geschichtsbüchern wird das Konzentrationslager in Leobersdorf deshalb KZ Hirtenberg genannt. Neben dem KZ stand außerdem ein Zwangsarbeiter:innen- und Kriegsgefangenenlager mit vielen tausenden Häftlingen.

Die Geschichte als Tatort nationalsozialistischer Verbrechen verleiht der Winnetou-Wiese historische Bedeutung – für die Wissenschaft, für die Angehörigen der Opfer, für Schulklassen, für die Republik Österreich. Viele ehemalige Konzentrationslager sind Gedenkstätten, etliche stehen unter Denkmalschutz. Selbst wenn es keine baulichen Überreste mehr gibt, dienen sie als Orte der Erinnerung. Ein Gewerbepark auf den Mauern von KZ-Baracken deckt die Vergangenheit zu. Er verhindert ihre Aufarbeitung. Es besteht ein öffentliches Interesse, Plätze wie die KZ-Gründe von Leobersdorf zu bewahren.

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Foto Wiener Zeitung
Ramharter blockte ab

Das wusste auch Bürgermeister Ramharter. Das hinderte ihn nicht, seine Liegenschaft zu Geld zu machen. Ramharter wischte alle Bedenken weg. Die gab es zuhauf.

Schon im Jahr 2021 klopfte ihm das KZ-Mauthausen Memorial Center auf die Schulter. Die Bundesanstalt war über Ramharters Inserat gestolpert. Das Mauthausen Memorial hat die Aufgabe, die Nazi-Verbrechen in den Konzentrationslagern „im öffentlichen Gedächtnis zu verankern und zu bewahren“, wie es im Gedenkstättengesetz heißt. „Unmittelbar nach Bekanntwerden der geplanten Verwertung des Areals zu gewerblichen Zwecken, machte das Mauthausen Memorial auf die Problematik einer kommerziellen Überbauung aufmerksam“, schreibt uns das Mauthausen Memorial. „Wir waren bemüht, die Entscheidungsträger für die Geschichte des Lagers zu sensibilisieren.“

Mehrmalige Versuche, einen Dialog herbeizuführen, scheiterten.

KZ-Mauthausen Memorial Center

Ramharter interessierte das wenig. Die Anfragen des Mauthausen Memorial habe er abgeblockt. „Mehrmalige Versuche, einen Dialog herbeizuführen, scheiterten“, heißt es vom Mauthausen Memorial. Ramharter erinnert sich anders. Die Prisma sei im Austausch mit dem Mauthausen Memorial und dem Bundesdenkmalamt gestanden, beantwortet er unsere Anfrage.

Das Bundesdenkmalamt (BDA) bestätigt, „Gespräche mit Stakeholdern“ geführt zu haben. Unter Denkmalschutz hat es die KZ-Gründe nicht gestellt – wenn auch mit Bauchweh. „Der Umgang mit Orten der NS-Opfer ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die – wie sich auch hier zeigt – weit über die Aufgaben des Bundesdenkmalamtes hinausgreift“, heißt es auf Anfrage. Es gibt keinen Denkmalschutz für die Geschichte eines Ortes, keinen Schutz von Erinnerungen, keinen Schutz vor dem Vergessen. Das BDA beschäftigt sich mit Kunstwerken, Ausgrabungen, Bauwerken – mit materiellen Dingen.

Kein Denkmalschutz für KZ-Gründe

Und von denen gibt es auf den KZ-Gründen nur noch Bruchstücke. WZ und Falter liegen die Berichte von zwei archäologischen Untersuchungen vor. Sie stießen auf Fundamente von Baracken, Betonfußböden, Kanalschächte, Porzellanteller, Medikamentenfläschchen, Metallgeschirr, Projektile aus der NS-Zeit. Zu wenig, um das Areal zu schützen, wie uns das BDA schreibt: „Aus derzeitiger Sicht sind diese Reste – auch im Vergleich mit anderen ehemaligen, archäologisch feststellbaren Lagern, die unter Denkmalschutz stehen – im Sinn des Denkmalschutzgesetzes nicht ausreichend, um sie unter Denkmalschutz zu stellen.“

Baracken-Reste standen dem Geschäft des Bürgermeisters also nicht im Weg. Manche soll er trotzdem abtragen haben lassen, wie zwei mutmaßliche Augenzeug:innen unabhängig voneinander berichten. Ihre Namen wollen sie nicht offenlegen. Der Redaktion sind sie bekannt. Im Jahr 2022 hätte ein Bagger-Fahrer versucht, die Mauerreste einer Baracke abzureißen. „Das war eine Nacht- und Nebelaktion“, sagt einer der beiden. Ramharter widerspricht den Aussagen. „Es wurde seit der Übernahme durch Prisma nie versucht, Reste des Lagers zu entfernen“, beantwortet er eine Anfrage von WZ und Falter.

Lokalhistoriker kämpfte für Gedenkstätte

Bis heute steht eine Mauer zwischen Königskerzen im Gras. Der fingerdicke Stamm eines Götterbäumchens wächst aus einer Betonritze. „Hier waren Kriegsgefangene untergebracht, das KZ war auf der anderen Seite“, sagt Erich Strobl. Seine schweren Bergschuhe stecken tief in der nassen Winnetou-Wiese. Strobl hat eine Passion. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Lokalhistoriker mit der Geschichte der Munitionsfabrik Hirtenberg, sammelt Dokumente, studiert vergilbte Pläne, sitzt auf einem Fotoarchiv. Strobls Expertise hat Gewicht. Die Wissenschaft wendet sich an ihn, wenn sie Fragen zum Lager hat.

Gemeinsam mit einer kleiner Gruppen engagierter Bürger:innen setzte sich Strobl für eine Gedenkstätte ein. „Unsere Vorstellung war es, am Areal des ehemaligen Konzentrationslagers ein Mahnmal aufzustellen“, sagt er. „Mit Bürgermeister Ramharter war das nicht möglich.“ Also fand Strobl gemeinsam mit dem Mauthausen Memorial eine Alternative. Einen halben Kilometer vom Areal des ehemaligen Konzentrationslagers entfernt wird nun der Opfer gedacht. In der Nachbargemeinde Hirtenberg steht seit April 2024 eine Stele aus 40 gestapelten Betonprismen. Sie tragen die Namen der Außenlager von Mauthausen.

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Foto Wiener Zeitung
Der Lokalhistoriker Erich Strobl setzte sich vehement für eine Gedenkstätte ein. Auf den KZ-Gründen war sie nicht möglich.

Bei der Enthüllung wurden die Initiator:innen vor der Stele fotografiert. Auf einem Bild steht Strobl neben dem Hirtenberger Bürgermeister Karl Brandtner (SPÖ) und Mitarbeiter:innen der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Sogar Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) ist drauf. Nur einer fehlt – Andreas Ramharter, der Bürgermeister von Leobersdorf.

Der schaut lieber in die Zukunft. Die Vergangenheit ist schlecht für das Geschäft. Nazis schrecken Investor:innen ab. Ramharter hat es trotzdem geschafft. Als Teilinhaber seiner Immobilien-Firma hat er die KZ-Gründe für viel Geld verkauft. Als Bürgermeister hat er im Gemeinderat für Umwidmungen gestimmt, die den Kaufpreis noch um rund zehn Prozent erhöht haben. Über 16 Millionen Euro brachte ihm die Winnetou-Wiese.

Ein unscheinbarer Name für eine unscheinbare Brache. Eine dunkle Wolkendecke hängt über der Ebene. Auf kargen Zweigen leuchten rote Hagebutten. Das Reh ist im Unterholz verschwunden.

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Infos und Quellen

Genese

In den vergangenen Monaten erreichten uns immer wieder Hinweise aus der Gemeinde Leobersdorf. Auch der Falter erhielt Informationen. Wir beschlossen, die Geschichte gemeinsam zu recherchieren. Schon bald stand fest: Sie ist auch historisch brisant.

Daten und Fakten

Ab 1943 wurden tausende KZ-Häftlinge aus Deutschland und Österreich an die Rüstungsindustrie „verliehen“. Sie wurden zur Arbeit an großen Industrie- und Rüstungsstandorten herangezogen. Die SS ließ dazu zahlreiche Außenlager errichten, die unter dem Kommando von Mauthausen standen.

Das „Waffen-SS Arbeitslager Hirtenberg, Gustloff-Werke, Niederdonau“ war eines von rund 46 Außenlagern von Mauthausen. Es wurde im September 1944 innerhalb eines bestehenden Zwangsarbeiter:innen-Lagers errichtet. Am 28. September erreichte der erste Transport mit 391 Frauen aus dem KZ Auschwitz das Lager. Am 27. November traf der zweite Transport mit elf Frauen im Lager ein.

Mindestens 402 Frauen waren im KZ Hirtenberg interniert. Der Großteil von ihnen stammte aus Russland, Italien und Polen. Sie waren sogenannte „Schutzhäftlinge“, sie wurden also aus politischen Gründen eingesperrt.

Die internierten Frauen mussten in der nahegelegenen Hirtenberger Munitionsfabrik in 12-Stunden-Schichten Patronen für die Wehrmacht herstellen. Ein Fabrikgebäude befand sich auf Höhe des Lagers, das zweite lag oberhalb am Lindenberg. Die Frauen mussten im Winter in Holzpantoffeln und mit dünner Stoffbekleidung rund 45 Minuten zum Werk marschieren.

Am 3. April 1945 wurde das Lager aufgrund der vorrückenden Roten Armee aufgelöst. Die KZ-Häftlinge wurden von der SS nach Mauthausen getrieben. Sieben Frauen wurden auf dem Todesmarsch erschossen.

Am 5. April 2024 wurde in Hirtenberg vor der Neuen Mittelschule eine Stele zum Gedenken an das KZ-Außenlager enthüllt. Die rund drei Meter hohe Betonskulptur zeigt die Richtung und Entfernung sämtlicher Außenlager sowie des Stammlagers Mauthausen an. In Melk und Gunskirchen wurden bereits Gedenk-Stelen errichtet. Zuletzt wurde am 24. Oktober am Standort des ehemaligen Außenlagers St. Aegyd eine Stele enthüllt.

Gesprächspartner:innen

Andreas Ramharter, Bürgermeister Leobersdorf, Geschäftsführer und Eigentümer der Prisma Liegenschafts GmbH

Thomas Rattensperger, Geschäftsführer TRA LEO GmbH (Anfrage nicht beantwortet)

Andrea Böhm, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Bundesdenkmalamt

Amt der NÖ Landesregierung, Abteilung Bau- und Raumordnungsrecht

Valerie Seufert, Presse, KZ Mauthausen Memorial Center

Erich Strobl, lokale Gedenk-Initiative Hirtenberg

Karl Brandtner, Bürgermeister von Hirtenberg, SPÖ

Bertrand Perz, Historiker, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien

Andreas Baumgartner, Sozialwissenschaftler, ehemaliger Vorstand Mauthausen Komitee

Brigitte Halbmayr, Politologin und Soziologin, Institut für Konfliktforschung Wien

Claudia Theune, Archäologin, Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie, Universität Wien

Didi Drobna, Schriftstellerin

Quellen

Grund- und Firmenbuch

Flächenwidmungsplan NÖ Atlas

Katasterplan

Kaufverträge zwischen Prisma Liegenschafts GmbH und Tra Leo GmbH

Gemeinderatsprotokoll der Marktgemeinde Leobersdorf vom 5. September 2024

Gemeinderatsprotokoll der Gemeinde Hirtenberg vom 5. Oktober 2023

Marktgemeinde Leobersdorf, Entwurf zur Änderung des Bebauungsplanes, Juni 2023

Marktgemeinde Leobersdorf, Entwurf zur Änderung des Örtlichen Raumordnungsprogrammes, Februar 2022

Marktgemeinde Leobersdorf, Widmungsbestätigung für Grundstücke 1296/12, 1296/13, 1296/14

Gutachten Sachverständige für Raumordnung und Raumplanung des Landes NÖ vom 21. Mai 2024

Bericht zur archäologischen Maßnahme Geophysikalische Prospektion Weinberglager KG Leobersdorf (2020)

Archäologische Voruntersuchung im Bereich des ehemaligen KZ-Außenlagers Leobersdorf (2022)

Bilanzen Prisma Liegenschafts GmbH, 2019-2022

Bilanzen Prisma Development GmbH, 2021-2023

Website der Marktgemeinde Leobersdorf

Bundesdenkmalamt, Denkmallisten der Bundesländer

Katalog NS-Opferorte in Österreich

Historische Fotos und Dokumente über das KZ-Außenlager Hirtenberg, Sammlung Strobl

Website KZ Mauthausen Memorial Center

Website Mauthausen Guides

Helga Amesberger/Brigitte Halbmayr: Weibliche Häftlinge im KZ Mauthausen und seinen Außenlagern, August 2010 (unveröffentlichte Forschungsarbeit)

Wolfgang Benz und Barbara Distel: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 4. Bertrand Perz: Hirtenberg.

Andreas Baumgartner: Die vergessenen Frauen von Mauthausen. Edition Mauthausen, 1997

Herbert Exenberger: Vergessene Opfer des NS-Regimes. Gedächtnisorte ohne Erinnerung. Mandelbaum Verlag, 2011

Rede von Brigitte Halbmayr bei der Enthüllung der Gedenk-Stele in Hirtenberg am 5. April 2024: Mauthausen Außenlager-Stele in Hirtenberg – zum Gedenken an rund 400 Frauen

Gedenkstättengesetz

Denkmalschutzgesetz

Das Thema in der WZ

Das Dubai vom Weinviertel

Umwidmung: Auch in Pyhra dealt der Bürgermeister mit Grundstücken

Klosterneuburger Immo-Deal: Schmuckenschlagers Schnäppchen

Südostwall: Gräben sind verschüttet, die Erinnerung nicht

Das Thema in anderen Medien

Falter: Leobersdorf: Geschäftemacherei mit einem früheren KZ

orf.at: Was vom KZ Gusen bleibt

nön.at: Gedenksäule in Hirtenberg erinnert an 400 gefangene Frauen

derstandard.at: Gunskirchen: Mauthausen-Komitee kauft Waldstück, in dem KZ-Außenlager

sn.com: Gusen - das "vergessene" KZ (Paywall)

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