Landtagswahl in Niederösterreich: Stimmungstest für die ÖVP ...

29 Jan 2023

Stand: 29.01.2023 11:16 Uhr

Bei der Wahl in Österreichs größtem Bundesland Niederösterreich drohen der regierenden ÖVP herbe Verluste. Deren Kanzler Nehammer steht auf Bundesebene ohne Umfragemehrheit da. Die Landtagswahl gilt daher als Stimmungstest.

Von Wolfgang Vichtl, ARD-Studio Wien

Auf die Folgen der Wahl in Österreichs größtem Bundesland Niederösterreich angesprochen, reagiert Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer zunehmend genervt. Seine Standardantwort: "Das ist ein Landtagswahlkampf und kein Bundeswahlkampf". Trotzdem schauen alle gespannt, wie viele Prozentpunkte die Kanzlerpartei ÖVP in Niederösterreich verlieren wird. Zehn? Oder mehr?

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Wie tief stürzt die ÖVP?

Satte 49,6 Prozent hatte die ÖVP bei den vergangenen Landtagswahlen, genug für die absolute Mehrheit der Mandate im Landesparlament, mehr als genug für eine bequeme Regierungsmehrheit. Die Vorhersage diesmal: 40 Prozent für die Volkspartei, vielleicht weniger. "Am Tag danach wird’s hart", schreibt das größte Boulevardblatt, die "Kronen Zeitung". Hart für Johanna Mikl-Leitner, genannt "MiLei", "unsere Landeshauptfrau", wie sie die ÖVP groß und flächendeckend plakatiert.

Mikl-Leitner ist die einzige Frau im Ministerpräsidentenamt in Österreich. "Grande Dame" der österreichischen Volkspartei im ÖVP-Stammland Niederösterreich, das für die konservative Österreichische Volkspartei immer schon so eine Art "Fürstentum" war, bei Mikl-Leitner und mehr noch bei ihren Vorgängern.

Johanna Mikl-Leitner ist die einzige Ministerpräsidentin in Österreich. Bild: dpa

Die Rechtspopulisten heben ab

"Sturm auf die Hochburg" der ÖVP titelte die Zeitung "Der Standard" - so wurde der Wahlkampf aufgeladen, knapp 1,3 Millionen Menschen sind wahlberechtigt. In den Vorwahlumfragen auf Platz zwei vorgerückt ist die rechtspopulistische FPÖ, ihr werden jüngsten Erhebungen zufolge mindestens 25 Prozent zugetraut, deutlich mehr als beim vergangenen Mal im Jahr 2018, da waren es noch knapp 15 Prozent. Danach erst folgt die SPÖ, stagnierend um die 22 Prozent. Grüne und liberale NEOs in Niederösterreich sind um die sechs Prozent festgefahren.

Nachbeben der "Ära Kurz"

Die Schlagzeile am Wahlabend dürfte wieder heißen: "ÖVP abgestürzt - auf Platz 1". Ähnlich wie beim vergangenen Mal in Tirol, das ebenfalls jahrzehntelang ein ÖVP-"Fürstentum" war. Jetzt regiert die ÖVP dort mit der SPÖ als Partner. Dieser Trend zum österreichweiten Bergrutsch ist es, der die Regierungspartei ÖVP umtreibt.

Sebastian Kurz hatte die Partei einst in lichte Höhen geführt - allerdings mit Methoden, die Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen ihn nach sich zogen, wodurch die ganze Alpenrepublik von einem politischen Erdbeben erschüttert wurde. Mit zahlreichen Nachbeben.

Bekommt "Trümmermann" Nehammer ein Problem?

"Platz 1" in Niederösterreich, davon kann Nehammer mit Blick auf ganz Österreich aber nur mehr träumen. Er ist in der niederösterreichischen Volkspartei politisch groß geworden und dann als "Trümmermann" nachgerückt ins Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz.

Seit zwei Jahren hat seine ÖVP-Grünen-Regierung keine Umfragemehrheit mehr, seit ein paar Wochen ist die rechtspopulistische FPÖ in den Umfragen die stärkste Partei mit bis zu 28 Prozent österreichweit, vor der SPÖ (um die 25 Prozent) und der Kanzlerpartei ÖVP auf Platz drei (um die 22 Prozent). Grüne und liberale NEOs liegen jeweils bei etwa 10 Prozent.

Karl Nehammer kam als "Trümmermann" ins Kanzleramt nach Wien. Bild: AP

Van der Bellen: Kein Regierungsauftrag für Europafeinde

28 Umfrageprozente für die Partei, die den Ibiza-Korruptionsskandal ausgelöst hat? Das beflügelt vor allem Herbert Kickl, den Bundesvorsitzenden der rechten Systemsprenger-Partei FPÖ. Laut erhebt er den Anspruch aufs Kanzleramt: "Wer soll’s denn sonst machen?" Und fängt sich prompt die Absage des eben frisch angelobten Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen ein, der in seiner von allen - außer der FPÖ - bejubelten Antrittsrede im Parlament wissen ließ: Einen Regierungsauftrag an eine Partei, die dezidiert europafeindlich ist, dazu den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht verurteilen mag, das könne er nicht mit seinem "besten Wissen und Gewissen" vereinbaren - wie im Amtseid geschworen.

Profitiert die FPÖ von der Van der Bellen-Attacke?

Könnte sein, dass das der FPÖ mehr nutzt als schadet. Das Wahlergebnis für Niederösterreich bietet dafür sicher Interpretationsspielraum. Akute Gefahr für Bundeskanzler Nehammer? Regulär neu gewählt wird in Österreich erst nächstes Jahr. Davor stehen noch zwei weitere Landtagswahlen, in Kärnten und in Salzburg.

ÖVP braucht einen Sündenbock

So lange dort nicht gewählt ist, ist Nehammer sicher als Parteivorsitzender und als Bundeskanzler, wenn auch aus wenig schmeichelhaften Gründen.

Die ÖVP brauche einen Sündenbock für weitere schlechte Ergebnisse und, sagt der führende österreichische Politikexperte Professor Peter Filzmaier der ARD: "Weil man in der ÖVP niemanden anderen hat und weil das Amt sehr undankbar ist, daher will - zumindest jetzt - niemand den Job". Und Filzmaier schiebt schmunzelnd hinterher, ein neuer "Wunderwuzzi" sei in der ÖVP im Moment auch nicht in Sicht.

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