Experimentelle Hinrichtung eines US-Gefangenen: Gegen 19.58 ...

26 Jan 2024

Blick in die Kammer für Hinrichtungen in der Holman Correctional Facility in Alabama (Archivfoto): »Einen Schritt zurück«

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Foto: Dave Martin / dpa

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Der Vorhang, der den Besucherraum von der Hinrichtungskammer trennt, sei um 19:53 Uhr aufgezogen worden. Smith habe zu seiner Familie und den Medienvertretern geschaut, gelächelt und ihnen zugenickt. Dann habe er einen Daumen nach oben gehoben und die Zeichensprachengeste für »Ich liebe dich« gezeigt. Seine Frau Deanna habe ein T-Shirt mit der Aufschrift »Never alone« getragen.

Nach der Verlesung des Hinrichtungsbefehls habe er seine letzten Worte gesagt: »Heute Abend hat Alabama die Menschheit dazu gebracht, einen Schritt zurück zu machen.« Und weiter: »Ich gehe mit Liebe, Frieden und Licht.«

Um 20:25 Uhr erklärte ein Arzt Smith für tot

Ein Priester sei bei ihm gewesen, der seine Füße mit einer Bibel berührt habe. Gegen 19:58 Uhr habe die Stickstoffzufuhr begonnen. Daraufhin habe sich Smith sichtlich geschüttelt und rund zwei Minuten lang auf der Trage gekrümmt. Seine Atmung sei schwer geworden. Für weitere sieben Minuten habe er geröchelt. Zwischendurch habe sich ein Justizvollzugsbeamter über ihn gebeugt und sein Gesicht untersucht. Um 20:08 Uhr, so beschreibt es die Journalistin, habe Smith aufgehört zu atmen. Sieben Minuten später sei der Vorhang geschlossen worden. Um 20:25 Uhr erklärte ein Arzt Smith für tot.

Angehörige des Mordopfers bei einer Pressekonferenz nach der Hinrichtung: »Nichts, was hier heute geschehen ist, bringt Mum zurück«

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In einer Pressekonferenz am Donnerstagabend verkündete ein Vertreter des Alabama Department of Corrections , der bei der Hinrichtung anwesend war, die Reaktion, die er auf der Trage gesehen habe, entspreche dem, was der Staat an Nebenwirkungen bei einer Exekution durch Stickstoff erwartet habe. Auch Smiths Kampf gegen die Fesseln habe man antizipiert. »Es schien, dass Smith seinen Atem so lange wie möglich anhielt«, sagte der Vertreter. Nichts sei anders gekommen als erwartet.

»Elizabeth Dorlene Thorne Sennett hat heute Gerechtigkeit bekommen«

1988 hatte sich der damals 22-jährige Smith im Gegenzug für die Zahlung von 1000 US-Dollar auf einen Auftragsmord eingelassen. Opfer war Elizabeth Sennett, die Ehefrau des Auftraggebers, der sich eine Woche nach der Tat selbst das Leben nahm. Im Rahmen der Pressekonferenz erklärte der Sohn des Opfers, Mike Sennett, nun: »Nichts, was hier heute geschehen ist, bringt Mum zurück. Nichts. Es ist ein bittersüßer Tag, wir werden nicht herumhüpfen und feiern, so sind wir nicht. Wir sind froh, dass dieser Tag vorbei ist.« Die Familie habe den Tätern von damals bereits vor Jahren verziehen. Dennoch verkündete er: »Elizabeth Dorlene Thorne Sennett hat heute Gerechtigkeit bekommen.«

Proteste vor dem State Capitol Building in Alabamas Hauptstadt Montgomery am Dienstag

Foto: Mickey Welsh / AP

Menschenrechtsexperten hatten vorab beklagt, die Methode sei ungetestet und Smith könnte einen grausamen Tod sterben, der womöglich Folter gleichkomme. Alle Versuche seiner Anwälte, die Exekution aufzuhalten, waren jedoch erfolglos. Weder die zuständigen Gerichte in Alabama noch der Oberste US-Gerichtshof waren ihren Gesuchen gefolgt. Demonstranten hatten in den vergangenen Tagen auch die Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey, aufgefordert, noch zu intervenieren – auch das vergeblich.

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»Alabama hat etwas Historisches erreicht«

Alabamas Justizminister Marshall tat all das als Druckkampagnen von Aktivisten ab, die die Todesstrafe ablehnten und ignorierten, dass die neue Methode »human und effektiv« sei. »Alabama hat etwas Historisches erreicht«, verkündete er. Trotz der internationalen Bemühungen von Aktivisten, »das Justizsystem zu untergraben« und »Opfern abscheulicher Morde die ihnen zustehende Gerechtigkeit zu verweigern«, biete Alabamas »bewährte Methode« nun eine Blaupause für andere Staaten.

Eigentlich sollte Smith bereits 2022 hingerichtet werden  – per Giftspritze. Dem Gefängnispersonal gelang es damals aber nicht, die dafür nötige Kanüle in seinen Arm zu legen. Nach mehreren Stunden, in denen er angeschnallt auf dem Exekutionstisch lag, wurde er wieder in seine Zelle gebracht. Nach jenem ersten Hinrichtungsversuch wurde Smith eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert.

Der Fall hatte in den vergangenen Wochen über die Grenzen der USA hinweg große Aufmerksamkeit erregt. Smith selbst hatte nur wenige Tage vor seiner Hinrichtung aus dem Gefängnis mit Reportern des britischen »Guardian« telefoniert und berichtet, er sei von Albträumen geplagt, die davon handelten, in die Hinrichtungskammer zurückkehren zu müssen. »Dafür bin ich nicht bereit«, sagte er demnach. »Auf keinen Fall. Ich bin einfach nicht bereit.«

Die Todesstrafe gibt es in den USA heute noch beim Militär, auf Bundesebene sowie in 27 Bundesstaaten, wobei sie in mehreren dieser Staaten de facto nicht mehr vollstreckt wird. Die zugelassenen Methoden variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat. Die mit Abstand am häufigsten angewandte Methode ist heutzutage die Exekution mit der Giftspritze. Stickstoffhypoxie ist außer in Alabama nur in den Bundesstaaten Oklahoma und Mississippi erlaubt. Eingesetzt wurde die Methode dort bislang nie.

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