„Sommergespräche“: Nehammer warnt vor „Angstmachern“

21 Tag vor
Karl Nehammer

„Sommergespräche“

ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat am Montag den Reigen der ORF-„Sommergespräche“ mit Martin Thür abgeschlossen. Er führte aus, mit welchen Maßnahmen Österreich nach der Wahl seiner Meinung nach ohne ein Sparpaket auskommen könnte. Eindrücklich warnte Nehammer einmal mehr vor „Angstmachern“ wie FPÖ-Chef Herbert Kickl. Diese würden Probleme zelebrieren und davon profitieren, ohne Lösungen anzubieten.

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Nehammer versicherte auch im „Sommergespräch“, dass es seiner Ansicht nach nach der Wahl kein Sparpaket brauche – obwohl viele führende Wirtschaftsexperten davon überzeugt sind. Es brauche zunächst Anreize für Investitionen in Österreich. Der „Kuchen“ zur Verteilung müsse durch mehr Wirtschaftswachstum größer gemacht werden.

Zwei Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr sei der Erfolgsschlüssel, so Nehammer. Dafür brauche es einen „systemischen Zugang“. Als konkrete Maßnahmen nannte der ÖVP-Chef Lohnnebenkostensenkungen und eine Steuerbefreiung auf Überstunden. Dass das Wachstum in Österreich zuletzt stark hinter dem Europäischen Schnitt hinterherhinkte, erklärte er mit dem hohen Ausgangsniveau vor den Krisenjahren sowie mit dem Schwächeln der für den österreichischen Export so wichtigen Wirtschaftslokomotive Deutschland.

Wie Wirtschaftswachstum gelingen kann

Nehammer erläutert seine Pläne, wie das Wirtschaftswachstum angekurbelt und gleichzeitig ein Sparpaket verhindert werden soll.

Steuergutschriften statt Förderungen

Zur Gegenfinanzierung gebe es mehrere Modelle. Allen voran will Nehammer strukturelle Förderungen kürzen und stattdessen auf Steuergutschriften und Garantien setzen. Darauf, in welchen Bereichen die geplante Einsparung von vier Milliarden Euro zu erzielen sei, wollte sich Nehammer nicht festlegen. Man müsse das „genau prüfen“ und „tabulos betrachten“.

Einsparungen erwartet sich Nehammer auch von einem neuen System bei der Verhandlung von Ministeriumsbudgets. Statt von den bisherigen Budgets auszugehen, solle man mit Zero-Base-Budgeting bei Neuverhandlungen immer von null beginnen – dadurch könne man Einsparungspotenzial entdecken.

Werbung für Vollzeitarbeit

Einmal mehr warb Nehammer für mehr Vollzeit- statt Teilzeitarbeit. Österreich gehöre zu den reichsten Ländern der Welt, das basiere auf dem Fleiß der arbeitenden Menschen. Dank derer könne man „Menschen, die es schwerer haben“, die „wollen, aber nicht können“, helfen. Er räumte ein, dass Menschen, die Betreuungs- und Pflegeverpflichtungen haben, große Leistungen erbringen.

„Wir müssen danach trachten, dass Vollzeit gearbeitet wird“

Für Nehammer braucht es möglichst viel Vollzeitarbeitende, um den Wohlfahrtsstaat zu finanzieren.

Nehammer verwies darauf, dass er das auch in dem „Burger-Video“ so gesagt habe. Dennoch müsse man danach trachten, dass möglichst viel in Vollzeit gearbeitet werde, denn mit den Steuerleistungen werde der solidarische Wohlfahrtsstaat ermöglicht. Eine Steigerung sei mit dem Vollzeitbonus und einer Änderung der oberen Steuerklassen möglich, weil es sich für manche sonst nicht auszahle aufzustocken.

Inflationsbekämpfung verteidigt

Nehammer verteidigte die Regierungsmaßnahmen zur Inflationsbekämpfung. Man hab sich für ein Mixmodell entschieden: mit Strom- und Mietpreisdeckel sowie Übergewinnsteuer für Energieunternehmen einerseits und der Abschaffung der kalten Progression mit dem Ziel, die Kaufkraft zu stärken, andererseits – und das sei gelungen. Thürs Einwand, dass vor allem die Unternehmen mit Lohnerhöhungen mit 70 Prozent den Löwenanteil an der Kaufkraftstärkung zu stemmen gehabt hätten, meinte Nehammer, dass erst durch die Abschaffung der kalten Progression das den Leuten auch zugute gekommen sei.

Kein Aus für Dieselprivileg und Pendlerpauschale

Nach der Einigung auf die genaue Ausgestaltung des Nationalen Klimaplan gefragt, schloss Nehammer eine Abschaffung des Dieselprivilegs und der Pendlerpauschale aus. Viele seien auf das Auto angewiesen, um eben arbeiten zu gehen und ihre Leistung zu erbringen. Und eine Abschaffung würde den Wirtschaftsstandort Österreich belasten. CO2-Einsparungspotenzial sieht der ÖVP-Chef vor allem durch neue Technologien. So will er etwa CO2-Einspeicherungen möglich machen und verwies auf Geschäftsmodelle in Dänemark wie Norwegen.

„Keine Abschaffung des Dieselprivilegs“

Der Abschaffung des Dieselprivilegs und der Pendlerpauschale erteilte Nehammer eine Absage. Es braucht mehr „Technologieoffenheit“, um die Klimaziele zu erreichen.

Er habe auch kein Problem, unpopuläre Maßnahmen in Sachen Klimaschutz zu setzen. Aber Österreich habe – auch dank der ökosozialen Marktwirtschaft der ÖVP – einen der höchsten Umweltstandards der EU. Er sei aber gegen weitere Beschränkungen und gegen „zentralistische Vorgaben“ und „überbordende Maßnahmen“, womit er auf die EU-Renaturalisierungsrichtlinie anspielte. Den „Alleingang“ von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) in der Causa verurteilte er einmal mehr.

Asylverfahren in Drittstaaten

Dass die Koalition die im Regierungsprogramm geplante gesamtstaatliche Migrationsstrategie nicht geschafft habe, rechtfertigte Nehammer damit, dass 85 Prozent des Programms abgearbeitet worden seien. Und er verwies auf die österreichischen Initiativen im Kampf gegen illegale Migration auf EU-Ebene. Mit Asylverfahren in sicheren Drittstaaten könne das Geschäftsmodell der organisierten Schlepperkriminalität zerschlagen werden und der Druck von den EU-Außengrenzen genommen werden.

Modell der Asylverfahren in Drittstaaten

Maßnahmen gegen illegale Migration brauche es, um die radikalen Ränder nicht zu stärken, so Nehammer, der die Maßnahmen seiner Regierung gegen die Schlepperkriminalität lobte.

Auch Länder wie Deutschland hätten jetzt erkannt, dass illegale Migration Konsequenzen für Sozialsystem, Bildungssystem und Sicherheit habe. Es brauche einen geordneten Weg in den Arbeitsmarkt, und die Vermischung von Asyl und Migration müsse beendet werden. In Problemzonen, etwa in Nordafrika, solle über Kooperationen eine Perspektive für die Menschen dort geschaffen werden, damit auch dort Wohlstand aufgebaut werden kann. Das sei aber ein komplexes System und nicht leicht, räumte der ÖVP-Chef ein.

Warnung vor radikalen Rändern

Ohne solche Maßnahmen würden die radikalen Ränder immer stärker, gab der ÖVP-Chef zu bedenken. Diese würden von den Problemen leben und sie zelebrieren, aber keine Lösungen vorschlagen. Namentlich warnte Nehammer vor FPÖ-Chef Kickl, mit dem er als ÖVP-Chef erneut eine Zusammenarbeit und auch Regierungsverhandlungen nach der Wahl ausschloss. Dieser sei ein Politiker, der sich von der politischen Verantwortung abgewandt habe.

Keine Regierung mit Kickl (FPÖ)

Einer Zusammenarbeit mit FPÖ-Chef Kickl erteilte Nehammer erneut eine Absage.

Angst sei seine „Triebfeder“, mit „Verschwörungstheorien“ würde er nur Angst machen. Die Politik der „Mitte“ sei jene des „Augenmaßes und der Vernunft“, die versuche, den Menschen Ängste zu nehmen, Zukunftsperspektiven und Sicherheit zu geben. Die FPÖ sei aber eine heterogene Partei, auch dort gebe es viele vernünftige Menschen. Er habe jedenfalls einen entspannten Umgang mit allen Parteien und viele gute Kontakte in alle Fraktionen.

Politische Mitte „gibt Antworten auf Probleme“

Als politische Mitte will Nehammer Stabilität und Zukunftsperspektiven anbieten.

Einflussnahme auf Justiz: Gegen „Generalverdacht“

Zum Bericht der Untersuchungskommission im Justizministerium, der sich mit etwaiger politischer Einflussnahme in der Amtszeit des verstorbenen Ex-Sektionschefs Christian Pilnacek befasst hatte, wies Nehammer den Vorwurf zurück, dass die ÖVP die Justiz für ihre Zwecke missbraucht habe. Es gebe Zweifel an der Qualität des Berichts, sagte Nehammer. Es gebe viele Spekulationen, Pilnacek selbst könne dazu nichts mehr sagen. Einen „Generalverdacht“ gegenüber Beamten verurteilte der ÖVP-Chef vehement. Die österreichischen Institutionen würden sehr gut arbeiten, solche Vorwürfe würden das Vertrauen in den Staat untergraben.

Causa Pilnacek: Missbrauch der Justiz durch die ÖVP?

Vehement wies Nehammer Vorwürfe zurück, die ÖVP habe die Justiz für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen. Solche Vorwürfe würden den Glauben in die heimischen Institutionen untergraben.

ZIB2-Analyse: Vieles blieb offen

In der ZIB2-Analyse des „Sommergesprächs“ sagte Politologe Peter Filzmaier, Nehammer habe versucht, sich ganz klassisch in der Mitte zwischen rechten und linken Rändern zu positionieren – nach dem Vorbild des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Da gebe es aber große Probleme, dem Erfolg des Vorbilds folgen zu können.

Analyse des „Sommergesprächs“

In der ZIB2 analysierten Politologe Peter Filzmaier und die stellvertretende Chefredakteurin des „Standard“, Petra Stuiber, das „Sommergespräch“ mit ÖVP-Chef Nehammer.

Für die stellvertretende Chefredakteurin des „Standard“, Petra Stuiber, blieb Nehammer schuldig, wo gespart werden könnte. Er habe damit wohl niemandem sagen wollen, wer etwa von Subventionsstreichungen betroffen sein könnte. Auch bei den Klimamaßnahmen versuchte Nehammer, niemandem wehtun zu wollen, meinte Filzmaier. Angesichts der ÖVP-Zielgruppe habe er sofort auf das in der Wählerschaft wichtigere Thema Wirtschaft umgeschwenkt.

Dass Nehammer sich trotz Absage an Kickl eine Kooperation mit anderen in der FPÖ offenhält, missachte den Umstand, dass das FPÖ-Wahlprogramm die Linie des FPÖ-Chefs widerspiegle. Und das Programm werde von der ganzen Partei mitgetragen, so Stuiber.

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