ORF-Elefantenrunde: „Ich muss die natürliche Ordnung ...

3 Stunden vor
Karl Nehammer

Zwei Ex-Minister mit „null Kompetenz“, eine Packung „Germanen-Vodoo-Ökonomie“ und zahlreiche Zwischenrufe: Drei Tage der Nationalratswahl trafen die Spitzenkandidaten von ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grünen und Neos im ORF aufeinander - Unfreundlichkeiten inkludiert.

Fünf Spitzenkandidaten und fünf Themen, so schien sich das der ORF überlegt zu haben. Beginnen wollte man mit dem Bereich Wirtschaft, leitete das Moderatorinnenduo Susanne Schnabl und Alexandra Maritza Wachter die letzte „Elefantenrunde“ vor der Nationalratswahl ein. Durchaus legitim, immerhin hatten sich in den vergangenen Wochen die Freiheitlichen als besonders Ökonomie-affin zu präsentieren versucht, die Pinken als Finanz-ministrabel stilisiert, die SPÖ mit der Idee einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich (wenn auch nur branchenweise) Schlagzeilen geschrieben, die Grünen vor einer „Hysterie“ im Kontext der Teuerung gewarnt und das Wording wieder zurückgenommen. Die Volkspartei wiederum hält das Ressort indes seit 1989 in schwarz-türkisen Händen (die sieben Monate der Expertenregierung vom 3. Juni 2019 bis 7. Jänner 2020 ausgenommen). Viele Gründe also, um mit diesem Thema in den Abend zu starten und darauf die Bereiche Hochwasser und Klima, Zuwanderung, Verteidigung und Koalitionsvarianten folgen zu lassen. Allein: Karl Nehammer (ÖVP), Andreas Babler (SPÖ), Herbert Kickl (FPÖ), Beate Meinl-Reisinger (Neos) und Werner Kogler (Grüne) hielten sich in der mehr als zweistündigen Sendung nur theoretisch an daran, praktisch wurde rhetorisch abgebogen, attackiert und ausgeufert („Lassen Sie mich das ausführen, weil das wichtig ist“).

Von Wachstum bis „Germanen-Vodoo-Ökonomie“

Doch der Reihe nach: Nehammer setzte auf „Wachstum und Effizienz“, um das Leben für die Menschen wieder leistbar zu machen. Man müsse alle Bereiche durchforsten und sehen, „wo man einsparen kann“. Warum man das nicht wisse, stelle die ÖVP doch seit 17 Jahren auch den Finanzminister? Man müsse das Fördersystem umkrempeln, antwortete der Kanzler nicht darauf. Er wolle jedenfalls keine neuen Steuern, die Klein- oder Mittelverdiener treffen, sondern ausschließlich die Spitzenverdiener, versuchte danach Babler die Vorteile einer Vermögenssteuer anzupreisen. Fünf bis sechs Milliarden Euro würden dadurch in das Staatsbudget herein gespült werden, meinte er, gegen ein unangenehmes Knacken im Mikrofon anredend. Ohne technische Zwischentöne plädierte Kickl sodann für einen „seriösen Kassasturz“. Der Ausstieg aus Sky Shield würde sechs bis acht Milliarden Euro bringen, Gelder für die Ukraine und Asyl gestrichen werden, prognostizierte er.

Meinl-Reisinger begann ihre Antwort mit einem „Danke“ für einen anständigen Wahlkampf, um Kritik und einen betont strengen Blick in die Runde nachzuschicken: „Sie alle hatte Ihre Chance und haben nicht geliefert.“ Die Neos würden 20 Milliarden Euro einsparen planen, etwa mithilfe der Senkung der Lohnnebenkosten. „Im Klimaschutz ist so viel weitergegangen wie noch nie“, begann Kogler ebenfalls mit einem verbalen Exkurs, der in den folgenden fünfeinhalb Minuten von „Öllobbyisten und Gasagenten“ bis hin zur freiheitlichen „Germanen-Vodoo-Ökonomie“ reichte und in einem satten Redezeitvorsprung mündete. Was das alles mit der Teuerung zu tun habe?, intervenierte Schnabl mehrfach, bekam letztlich aber keine Zahlen, dafür eine Vision: „Es braucht eine gerechte Umschichtung im System.“

Was war doch gleich das Thema?

Das verbale Nacheinander wandte sich beim Thema Klima in die von Schnabl und Wachter angestrebte „Diskussion“ um: Kickl forderte „Wahrheit“ ein, die da laute: Niemand könne versprechen, dass das Klima tatsächlich beeinflusst werden könne. Österreich sei überdies nur für 0,17 Prozent des globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich. Kogler grätschte kopfschüttelnd dazwischen: Natürlich könne man Schritte setzen, etwa Boden entsiegeln, aber dagegen würden sich die Bundesländer stemmen. „Das Länderbashing, Werner, führt zu überhaupt nichts“, rügte sogleich Nehammer. „Man darf nicht immer alles vermischen“, so seien es die enormen Wassermengen gewesen, die die Lage in Niederösterreich so dramatisch werden ließen, nicht der Beton. Babler wollte nicht hinnehmen, dass ÖVP und FPÖ ihre „Fehler“ nicht zugeben, warnte wortreich vor „Kipppunkten“ und ärgerte sich über den in der Vorrunde gefallenen „Retro“-Vorwurf durch Meinl-Reisinger. Alle Studien würden ihm recht geben, „retro“ dagegen sei, dass die Pinken immer noch glaubten, „der freie Markt regelt alles“, sagte er zu Meinl-Reisinger gewandt. Diese wiederum ärgerte die „Polemik“, verwies ihrerseits auf Studien und blickte zu den Moderatorinnen: „Klimaschutz war das Thema, oder?“

Noch deutlicher verschwammen bei „Asyl und Migration“ die Grenzen. Kickl begründete seine Forderung nach einer „Festung Österreich“ innerhalb der EU mit einer zunehmenden „Islamisierung“, deretwegen immer mehr Kinder in den Pflichtschulen der deutschen Sprache nicht mächtig seien und daher in der Folge „nichts leisten werden“ für das Land. Es sollte daher sein einst als Innenminister eingeschlagener Weg fortgesetzt werden und zusätzlich die Sozialleistung „für diese Leute“ gestrichen werden. Nehammer wehrte ab: „Sie haben damals keine einzige Maßnahme verlängert, die wichtig gewesen wäre“, dieses Polit-Verständnis spreche Bände: „Sie packen Reizworte in Ihre Aussagen, dann wirkt es plausibel, aber sie bringen keine Lösungen für die Menschen.“

Meinl-Reisinger bot umgehend welche an, indem sie zur Integration abbog und Deutschkurse sowie ein zweites, verpflichtendes Kindergartenjahr forderte - Kogler tat es ihr gleich (allerdings über den Umweg eines einleitenden Lobes für seine „Superministerin“ Leonore Gewessler und die Renaturierung). Babler hatte dagegen „ehrlich gesagt, keine Lust, da einzusteigen“, beobachte aber bei „zwei ehemaligen Innenministern“ schlicht „null Kompetenz“ und sehe daher „kein gutes Zeugnis für die Republik“.

Mehrheitsfragen und modische Fragezeichen

Keine Befriedung der Stimmung brachte die Frage nach der Neutralität bzw. einem möglichen Nato-Beitritt Österreichs. Aufgrund von „Aggressoren wie Wladimir Putin“ brauche es ein gemeinsames militärisches Vorgehen in Europa, befand Meinl-Reisinger. Kickl lehnte diese „permanente Angstmache, dass Putin bis Portugal durchmarschiert“ ab und hielt ein Taferl in die Höhe, das die Reichweite von Raketen und, in Kickls Augen, die Sinnlosigkeit der europäischen Sky-Shield-Initiative, illustrieren sollte. Meinl-Reisinger, Schnabl und Wachter redeten energisch auf ihn ein, Nehammer gab schließlich den Erklärer: „Sky Shield hat mit der Nato überhaupt nichts zu tun“, sondern sei schlicht „eine Einkaufsgemeinschaft, damit Dinge günstiger beschafft werden können“. Babler wunderte sich über diese Sicht der Dinge und hätte gerne ein „verfassungsrechtlich abgesichertes Neutralitätsgutachten“. „Das gibt‘s ja schon“, war Meinl-Reisinger anderer Ansicht. „Sie fallen mir jedes Mal ins Wort“, konterte der Sozialdemokrat.

„Der Bundeskanzler hat das erklärt, vielleicht haben wir da einen Informationsvorsprung“, sprang Kogler mit besänftigendem Ton Nehammer zur Seite und nutzte die Gelegenheit umgehend, „um die natürliche Ordnung wiederherzustellen“. Gemeint war: In puncto Redezeit war er anfangs mit Abstand vorne gelegen, dann über weite Strecken deutlich ins Hintertreffen geraten.

Das letzte Thema bildete die Frage nach dem Wer mit wem: Nehammer könne mit der FPÖ, nicht aber mit Kickl, beharrte er. Kickl wollte Nehammer den Gefallen, „dass ich mich in Luft auflöse, nicht tun“. Babler hätte lieber über „Frauenrechte“, Pensionen und seine Arbeiterfamilie gesprochen, kam dann aber zu dem Schluss, dass er „mit der FPÖ nicht will“. Meinl-Reisinger lehnte Neuauflagen von Türkis-Blau und Schwarz-Rot gleichermaßen ab. Für Kogler war wichtig, „dass Gewessler Teil des Teams sein wird“.

Ein modisches Wort zum Abschluss: Dezent irritierend wirkten die Outfitfarben der Moderatorinnen. Schnabel, von Zuseherperspektive links im Bild, trug einen blauen Hosenanzug, Wachter einen schwarzen. Ob die Wahl mathematische Gründe hatte - jüngsten Umfragen zufolge liegen FPÖ und ÖVP derzeit in der Wählergunst vorne - oder frau sich dem durchaus dunkel gehaltenen Studiosetting anpassen wollte, blieb ungeklärt. Unbestritten dagegen: Die Sendezeit wurde überzogen.

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