Aufregung um Nehammer-Video: "McDonald's-Burger ist billigste ...

Karl Nehammer McDonalds

Donnerstag

28. September 2023

16:44 Uhr

Bei einer Funktionärsveranstaltung in Hallein sprach Karl Nehammer über Kinderarmut und kritisierte die hohe Anzahl von Frauen in Teilzeit. In den sozialen Netzwerken schlägt das Video hohe Wellen. Der Kanzler reagierte am Donnerstagnachmittag in einem Video auf die Kritik.

In den sozialen Netzwerken sorgt derzeit ein Kanzler-Video für Aufsehen, das bereits Ende Juli in einer Vinothek in Hallein aufgezeichnet worden ist. In dem etwa sechsminütigen Video wehrt sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wortreich gegen den Vorwurf, dass er zu wenig gegen Teuerung und Armut tue.

"Was heißt, ein Kind kriegt in Österreich keine warme Mahlzeit in Österreich? Wisst ihr, was die billigste warme Mahlzeit in Österreich ist? Sie ist nicht gesund, aber sie ist billig: ein Hamburger bei McDonald's", sagte Nehammer. Wenn man eine gesunde Mahlzeit wolle, müsse man sich "etwas anderes überlegen": "Das heißt, jeder Elternteil hat sein Kind einzumelden, wir machen Kalorientabellen, wir schauen, wie viel Essen kriegt das Kind, wie wird's ernährt? Und dann sind wir in der DDR. So schaut die linke Welt aus."

Die Aufnahme soll in den frühen Abendstunden des 26. Juni bei einer Funktionärsveranstaltung in einer Vinothek in Hallein entstanden sein. Neben Ministerin Karoline Edtstadler sollen bei der Veranstaltung auch der ehemalige Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl, Halleins ÖVP-Vizebürgermeisterin Katharina Seywald, der Kuchler Bürgermeister Thomas Freylinger, der Halleiner ÖVP-Stadtparteiobmann Florian Scheicher und Gemeindevertreter sowie Unternehmer anwesend gewesen sein.

Am Tag nach dem Treffen, an dem das Video aufgezeichnet wurde, empfing Nehammer vor der Eröffnung der Salzburger Festspiele Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der Stadt Salzburg.

Nehammer spricht vom "Teilzeit-Wahnsinn"

In dem Video, das zuvor in kürzerer Version in den sozialen Netzwerken kursiert war, wendet er sich an seine "Sozi-Freunde" und "Linken Freunde" - was er sofort als Euphemismus bezeichnet, denn: "Man kann sich vorstellen, dass ich keine linken Freunde habe." Wenn ihm diese nun vorwerfen, dass die Armut in Österreich immer höher werde, stellt er die Gegenfrage: "Wieso erhöht sich die Teilzeitquote nicht (gemeint wurde hier vermutlich, warum sie nicht sinkt, Anm.) - nicht einmal bei Frauen, die keine Betreuungspflichten haben? Wenn ich zu wenig Geld habe, gehe ich arbeiten, das passiert aber nicht."

In diesem Zusammenhang spricht er an späterer Stelle des Videos auch vom "Teilzeit-Wahnsinn", und betont: Teilzeitstellen seien zu einer Zeit eingeführt wurden, als es zu wenig Arbeitsplätze gab - doch heute gebe es 200.000 offene Stellen. Als der Kanzler davon spricht, dass es in Österreich mehr Arbeitslose als offene Stellen gebe, raunt es im Publikum: Das seien keine Arbeitslosen, sondern "Arbeitsunwillige". Ein weiterer in der Vinothek Anwesender sagt, dass man durchaus auch nur 20 oder 30 Stunden arbeiten könne, nicht aber mit "Subvention von uns Fleißigen".

Dazu sagt Nehammer, dass er darüber eigentlich gar nicht sprechen dürfe, weil ansonsten die Gewerkschaft und die Wirtschaftskammer kämen und sagen würden: "He, Sozialpartnerschaft". Der ÖVP-Chef erzählt auch, dass er sich im Vorjahr bemüht habe, weniger hohe Lohnabschlüsse zu erreichen, und steuerfreie Prämien bis 3000 Euro vorgeschlagen habe - was die Gewerkschaft abgelehnt habe.

Nehammer verteidigt sich auf Kurznachrichtendienst X

"Ich stehe dazu, dass sich Leistung lohnen muss, und ich stehe dazu, dass Eltern eine Fürsorgepflicht für ihre Kinder haben", sagt Kanzler Karl Nehammer in einem am Donnerstagnachmittag auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, veröffentlichten Video. "Wer davon spricht, dass es in Österreich keine warme Mahlzeit für Kinder gibt, der stellt dieses Land in ein schlechtes Licht."

Die Verantwortung dafür liege bei den Eltern. Bei jenen Familien, die nicht zurecht kämen, greife das soziale Netz, zeigt sich Nehammer überzeugt. Während andere Videos "zusammenschneiden und verkürzen" wolle sich der Kanzler "unser Österreich" nicht schlechtreden lassen: "Die Schlechtredner werden nichts besser machen."

Kritik kam von Seiten der Gewerkschaft

Nehammer hatte sie in der Aufnahme als größten Bremser der "Rot-weiß-rot"-Card bezeichnet: Die Gewerkschaft reagierte gegenüber der APA empört auf die öffentlich gewordene Aufnahme: "Die Sozialpartnerschaft hat einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung von Krisen geleistet, insbesondere durch Maßnahmen wie die Kurzarbeit. Die Behauptung des Kanzlers, dass die Sozialpartnerschaft ein Hindernis sei, ist für uns nicht nachvollziehbar. Sie ist ein Erfolgsmodell für unser Land und hat maßgeblich zu unserem Wohlstand beigetragen. Für uns sind die Aussagen des Kanzlers daher absolut unverständlich", sagte Vizepräsidentin Korinna Schumann. Die Wirtschaftskammer wollte die Aussagen gegenüber der APA nicht kommentieren.

Vizekanzler Kogler: "Habe einiges von dem Video gehört"

Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag auf das Video angesprochen, sagte Vizekanzler Werner Kogler er habe einiges von dem Video gehört, dieses aber allerdings noch nicht gesehen: "Ich werde mich dann ärgern, wenn ich es mir angeschaut habe, oder auch nicht."

Kogler lobte die Regierungsarbeit, explizit das Paket gegen Kinderarmut. "Wenn das jetzt Aufmerksamkeit erregt - möglicherweise berechtigt - dann ist doch ein guter Zeitpunkt für die Regierung und auch für den ÖVP-Teil, das was angekündigt wurde (...) beschleunigt anzugehen."

Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl kritisierte Nehammer am Donnerstag scharf: "Immer dann, wenn Nehammer glaubt, unter Seinesgleichen zu sein, bricht bei ihm diese Mentalität durch, die man aus der Führungsmannschaft der ÖVP nur allzu gut kennt - Stichwort Pöbel! Ein Politiker, der derart empathielos, abgehoben, eiskalt und eine derartige Verachtung für die armutsgeplagten Menschen an den Tag legt, ist für den Job als Bundeskanzler ungeeignet."

Babler sprach in Pressekonferenz zu Nehammer-Sager

Eine eigene Pressekonferenz hatte SPÖ-Chef Andreas Babler anberaumt, um sich zu Nehammers Video zu äußern. Am Donnerstag Nachmittag warnte er vor einer schwarz-blauen Koalition. Alle Menschen, die in diesem Land lebten, hätten sich einen Bundeskanzler verdient, der sie respektiere, begann Babler. "Nehammer vergiftet und spaltet das Land, er haut hin auf die Leute, die jeden Tag schwer arbeiten, sich um ihre Kinder kümmern und sich trotzdem wenig bis nix leisten können", sagte Babler. "Es sind nicht die Menschen das Problem, sondern die Bedingungen, unter denen sie leben und arbeiten müssen".

"Wir sehen einen Politiker in diesem Video, der bei edlem Wein und Käsehäppchen knapp 23.000 Euro im Monat schwer auf die Inflation und auf die Mietexplosion pfeift, und gleichzeitig den Menschen ausrichtet, wenn sich Kinder kein gesundes, warmes Essen leisten können, dann sollen sie doch tatsächlich zum McDonalds gehen", so Babler.

"Wir sehen in dem Video einen Bundeskanzler, der die Leute für etwas verachtet, dass er selbst zu verantworten hat. Nehammer bindet den Leuten die Schuhe zusammen, und wenn sie fallen ruft er 'steht auf und rennt weiter'." Fast jede Frau, die in Teilzeit arbeite, müsse das aufgrund von Betreuungsverantwortung tun, sagte Babler. Seine eigene Mutter habe ihn in die Arbeit mitnehmen und dort verstecken müssen, damit sie keinen Ärger bekomme. Auf eine Journalistenfrage nach einer möglichen Koalition mit der ÖVP unter Karl Nehammer antwortete Babler: "Es würde jeder ausscheiden als Koalitionspartner, der Menschen nicht mag."

Auch online hagelte es Kritik

Online äußerten zahlreiche Menschen Kritik an den Äußerungen des Kanzlers.

SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler:

Politikwissenschafterin Natascha Strobl:

Michael Landau, Präsident der Caritas Österreich:

Neos-Abgeordnete Henrike Brandstötter:

Nationalratsabgeordnete der Grünen Ewa Ernst-Dziedzic:

ÖVP bestätigte Echtheit des Videos von Kanzler Nehammer

Die ÖVP hatte gegenüber Puls 24 die Echtheit des Videos bestätigt, gab aber an, das Video sei geschnitten. In einem Puls 24 übermittelten ersten Statement betonte die ÖVP: "Wir sind so wie der Bundeskanzler überzeugt, dass jedes Kind in Österreich eine warme Mahlzeit bekommen kann, wenn die Eltern ihre Verantwortung wahrnehmen, zumal wir die Familien wie nie zuvor unterstützen."

Nach Informationen des Standards soll das Video am Mittwochabend von Beatrice Keplinger, die in der Kommunikation und Marketing der Volkshilfe Oberösterreich tätig ist, gepostet worden sein. Sie selbst soll über eine Freundin Zugang zu dem Video erhalten haben und habe die Aufnahme als Privatperson im Internet geteilt.

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