Ermittlungen gegen Israel: Chefankläger Karim Khan politisch unter ...
21.05.2024, 03:10 Uhr Artikel anhören
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos | Feedback senden
Die USA, China, Russland und Israel erkennen den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht an. Der jüngste Vorstoß von Chefankläger Khan gegen die Führungen von Israel und der Hamas kommt in Washington nicht gut an.
Die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) hat Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Gallant sowie gegen drei Hamas-Führer wegen angeblicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt. In Washington ist der Ärger über Chefankläger Karim Khan groß. US-Präsident Biden nannte das Vorgehen des Den Haager-Gerichtshofes "empörend". "Was auch immer dieser Ankläger andeuten mag, es gibt keine Gleichwertigkeit - keine - zwischen Israel und der Hamas", sagte er im Weißen Haus.
Wer ist Chefankläger Khan?
Karim Khan wurde 2021 zum Chefankläger des Strafgerichtshofs gewählt. Der 54-Jährige genießt einen guten Ruf als Anwalt, mit großer Erfahrung im internationalen Strafrecht. Der Jurist ist im schottischen Edinburgh geboren, hat einen pakistanisch-muslimischen Migrationshintergrund: Sein Vater, ein Hautarzt, ist in Pakistan geboren, seine Mutter, eine Krankenschwester, stammt aus Großbritannien und konvertierte zum Islam. Einer seiner beiden Brüder war zeitweise Parlamentsabgeordneter der konservativen Tories. Khan studierte und lehrte in London islamisches Recht. Nach dem Studium begann er 1997 als Ankläger bei den UN-Tribunalen, die sich mit den Kriegsverbrechen in Ruanda und Ex-Jugoslawien befassten.
Vor drei Jahren übernahm er den Posten in Den Haag und geriet sofort politisch unter Druck. Wegen früher bereits geplanter Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in den Palästinensergebieten und in Afghanistan hatte Donald Trump Sanktionen gegen Khans Vorgängerin verhängt. Die USA erkennen ebenso wie Russland, China und Israel das Gericht nicht an. Khan betrieb die Ermittlungen zu Afghanistan weiter, entschied aber, aus "Ressourcengründen" Vorwürfen gegen die US-Truppen nicht weiter nachzugehen. Das brachte ihm Kritik ein.
Bereits im April drohten US-Republikaner Khan und seiner Familie persönliche Konsequenzen an, sollte er einen Haftbefehl gegen Israels Premier beantragen. Seinen Vorstoß gegen die Führung Israels und der Hamas verteidigte Khan rein juristisch: "Das Völkerrecht und die Gesetze für bewaffnete Konflikte gelten für alle. Kein Fußsoldat, kein Kommandant, kein ziviler Anführer - niemand - kann ungestraft handeln." Der Strafgerichtshof werde greifbar beweisen, "dass das Leben aller Menschen den gleichen Wert hat."
Wie ist der weitere Ablauf?
Der Antrag des Chefanklägers Khan geht an eine Kammer des IStGH mit drei Richtern: Den Vorsitz hat die Richterin Iulia Motoc aus Rumänien, dazu kommen die mexikanische Richterin Maria del Socorro Flores Liera und die Richterin Reine Alapini-Gansou aus Benin. Es gibt keine Frist, innerhalb derer die Richter entscheiden müssen, ob sie einen Haftbefehl erlassen. In früheren Fällen haben die Richter zwischen einem Monat und mehreren Monaten für eine Entscheidung gebraucht.
Nationale Ermittlung kann helfen
Israel könnte das Verfahren zumindest aufhalten, indem es selbst Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen aufnehmen würde - darauf weist auch der Chefankläger hin. Israel ist kein Vertragsstaat des IStGH. Khan warnte, dass eine Verweisung von Fällen an die nationalen Behörden nur dann möglich sei, "wenn diese unabhängige und unparteiische Gerichtsverfahren einleiten, die Verdächtige nicht schützen und keine Täuschung darstellen".
Falls der Haftbefehl kommt
Wenn die Richter zu dem Schluss kommen, dass es "vernünftige Gründe" für die Annahme gibt, dass Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind, stellen sie einen Haftbefehl aus. Der Haftbefehl muss den Namen der Person sowie die spezifischen Verbrechen enthalten, für die eine Verhaftung beantragt wird. Die Richter können die Haftbefehlsanträge aber auch ändern oder nur Teile des Antrags der Staatsanwaltschaft bewilligen.
Wird Netanjahu verhaftet?
Das Gründungsstatut des IStGH verpflichtet alle 124 Unterzeichnerstaaten des IStGH, jede Person, gegen die ein IStGH-Haftbefehl vorliegt, festzunehmen und auszuliefern, wenn sie ihr Hoheitsgebiet betritt. Allerdings kann der Gerichtshof eine Verhaftung nicht erzwingen. Die Sanktion für die Nichtverhaftung einer Person ist die Rücküberweisung an die Versammlung der IStGH-Mitgliedsstaaten und schließlich die Überweisung an den UN-Sicherheitsrat.
Der UN-Sicherheitsrat kann blockieren
Nach den Regeln des Gerichtshofs kann der UN-Sicherheitsrat eine Resolution verabschieden, die eine Untersuchung oder eine Strafverfolgung für ein Jahr aussetzen oder aufschieben würde - mit der Möglichkeit, dies auf unbegrenzte Zeit zu verlängern.
Können Netanjahu und Sinwar noch reisen?
Ja, das können sie. Weder die Beantragung eines Haftbefehls, noch der Erlass eines IStGH-Haftbefehls schränkt die Reisefreiheit einer Person ein. Sobald jedoch ein Haftbefehl ausgestellt wurde, besteht die Gefahr, dass sie verhaftet werden, wenn sie in einen IStGH-Unterzeichnerstaat reisen, was ihre Entscheidungsfindung beeinflussen kann. Russlands Präsident Wladimir Putin, gegen den ein internationaler Haftbefehl bereits vorliegt, ist unter anderem deshalb nicht zu den G20-Gipfeln ins Ausland gereist. Politikern oder Diplomaten ist es nicht untersagt, Personen zu treffen, gegen die ein IStGH-Haftbefehl vorliegt. Politisch gesehen könnte dies jedoch ein schlechtes Bild abgeben.
Gibt es Rückwirkung auf andere Verfahren?
Sollten die Richter zu dem Schluss kommen, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass Netanjahu und Gallant im Gazastreifen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, könnte dies die Forderungen nach einem Waffenembargo in anderen Ländern verstärken.