Oberhaupt der Church of England tritt wegen Vorwürfen von Vertuschung zurück

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Veröffentlicht am 13.11.2024 um 00:01 Uhr – Von Katrin Gänsler und Alexander Brüggemann (beide KNA) – Lesedauer: 

London ‐ Den Erzbischof von Canterbury kennt man aus Historienfilmen als zumeist eitlen Potentaten, der mit Mächtigen kungelt und über Krieg und Frieden mitentscheidet. Justin Welby machte jedoch aus seinen Schwächen keinen Hehl. Nun ist er zurückgetreten.

Justin Welby (68) wollte nicht zurücktreten. Doch letztendlich war der Druck zu groß. Nach den Vorwürfen, einen Missbrauchsskandal vertuscht zu haben, kündigte das bisherige Oberhaupt der anglikanischen Gemeinschaft am Dienstagnachmittag in Sozialen Medien an, dass er sein Amt niederlege. "Es ist ganz klar, dass ich persönlich und institutionell die Verantwortung für die lange und retraumatisierende Zeit zwischen 2013 und 2024 übernehmen muss", heißt es in der Erklärung.

Welby und die anglikanische Kirche von England werden in dem vor wenigen Tagen veröffentlichten Untersuchungsbericht "Makin Report" zu Missbrauch innerhalb der Kirche schwer belastet. Laut den Ergebnissen hat die Church of England beim Umgang mit einem Serien-Missbrauchstäter versagt. Demnach wusste Welby seit 2013 über den Jahrzehnte langen Missbrauch durch einen Helfer in kirchlichen Jugendcamps Bescheid. Dennoch sei nichts unternommen worden, um zur Aufklärung beizutragen.

Jurist, Manager und Priester

Weltweite Bekanntheit dürfte Welby spätestens im Mai 2023 erlangt haben, als er Charles III. krönte. Dabei war er ein Kirchen-Quereinsteiger. Der Jurist, Öl-Manager und Familienvater wurde erst 1993 zum Priester geweiht. Der frühere Finanzexperte des Konzerns "Elf Aquitaine" steht für Realitätssinn, rasche Auffassungsgabe und Weltläufigkeit. Die Berufsausbildung makellos: Schulabschluss in Eton; Jura und Geschichte in Cambridge und Dublin; Managerposten in Paris und London zur Finanzierung von Ölförderprojekten in Nigeria.

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Bild: ©picture alliance/empics/Victoria Jones

Erzbischof Justin Welby vor Pressevertretern in London.

Der Unfalltod seiner kleinen Tochter, einem seiner sechs Kinder, brachte ihn Gott näher. 1989 die radikale Umorientierung: Theologiestudium, Priester und Dekan der Kathedrale von Liverpool. Der ungewöhnliche Lebensweg führte ihn 2013 auf den Bischofsstuhl von Canterbury. Damit wurde er gleichzeitig Primas und Ehrenoberhaupt von bis zu 85 Millionen Anglikanern weltweit. Welbys Karriere als Seelsorger weist auch Stationen in sozialen Brennpunkten auf. Bis heute schätzt man dort sein gewinnendes Wesen, seine Freundlichkeit und Überzeugungskraft.

An Gott gezweifelt

Welbys einstige Managerkarriere bedeutet keine ideologische Nähe zum Finanzsektor; im Gegenteil. Im britischen Oberhaus sitzt er im Ausschuss für Bankenaufsicht. Eine Kappung von Banker-Boni lehnt er ab: Solche Rasenmähermethoden wisse die Branche mit Sicherheit zu umgehen. Stattdessen richtete er in seinem Londoner Amtssitz ein "Kloster auf Zeit" für angehende Finanzmanager ein. Diese Art von Gemeinschaft solle ihnen Gelegenheit geben, Ethik und Philosophie zu studieren, zu beten und zu arbeiten, gründlich über die eigene Person und Motivation nachzudenken.

Solch anpackendes Denken schützt freilich auch ein Kirchenoberhaupt nicht vor Zweifeln an Gott. Die äußerte Welby 2015 nach den islamistischen Anschlägen von Paris – und begründete auch das autobiografisch: Gerade dort hätten er und seine Frau Caroline ihre glücklichste Zeit erlebt.

Bild: ©KNA

Erzbischof Justin Welby von Canterbury im Gespräch mit Papst Franziskus im Vatikan.

Landläufig sind viele Menschen immer noch der Meinung, Führungspersonen dürften nie Schwäche zeigen oder Verletzungen einräumen. Welby macht es anders, und zwar konsequent. Depressionen, Kuckuckskind und eine Disposition für Alkoholismus: Welcher Prominente würde diese ganze Packung veröffentlichen? 2019 und noch einmal vor wenigen Wochen sprach der Primas zum Welttag der seelischen Gesundheit offen über seinen Kampf gegen Depressionen und seine Einnahme von Antidepressiva. Er habe 2018 erkannt, dass er Hilfe brauche – auch wenn das nicht einfach gewesen sei.

Biologischer Vater war Churchills rechte Hand

Und das war keineswegs Welbys einzige Transparenzoffensive. Mit reifen 60 Jahren erfuhr er 2016 durch einen DNA-Test, dass er der uneheliche Sohn eines Privatsekretärs von Ex-Premier Winston Churchill ist. Das Oberhaupt von Englands Staatskirche als Resultat eines Seitensprungs unter Alkoholeinfluss? Der Primas nahm die Sache souverän – und erntete großen Respekt.

Es sei "eine völlige Überraschung" gewesen zu erfahren, so Welby, dass sein biologischer Vater nicht Gavin Welby, sondern der 2013 gestorbene Anthony Montague Browne war, von 1952 bis 1965 rechte Hand Churchills. Seine Erfahrung sei aber typisch für viele Menschen, vor allem aus Familien mit Schwierigkeiten und Suchtproblemen. Vorbehaltlos räumt der Bischof ein, dass seine Eltern Alkoholiker waren und seine Kindheit "chaotisch". Seine Mutter, Lady Williams of Elvel (1933-2019), sei aber seit 1968 trocken gewesen. Schon beim Amtsantritt hatte Welby offengelegt, dass er seine Ehefrau auf seinen Alkoholkonsum schauen lasse.

Von Katrin Gänsler und Alexander Brüggemann (beide KNA)