Wer letzte Nacht am besten geschlafen hat: Jorge Martin
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Als fünfter Spanier ist Jorge Martin MotoGP-Weltmeister Zoom
eine sehr lange und packende Saison ist in Barcelona zu Ende gegangen. Dass der WM-Kampf bis zum Schluss noch nicht endgültig entschieden war, ist immer eine tolle Sache. Denn wir wissen, dass im Rennsport auch auf den letzten Metern noch alles passieren kann.
Aber Jorge Martin hat die Nerven bewahrt und den WM-Titel in beiden Rennen fehlerfrei nach Hause gefahren. Wenn ein neuer Weltmeister unseres geliebten Sports gekürt wird, drehen wir unsere traditionelle Kolumne um und Ehren natürlich den neuen Champion.
Es ist ganz normal, dass Martin etwas nervös war und nach dem Sprint ein flaues Gefühl im Magen zugegeben hat. Man kann noch so cool sein, aber wenn das große Lebensziel so nahe ist, dann ist man natürlich etwas aufgewühlt. Mit den Podestplätzen hat er das souverän gelöst.
Auch Francesco Bagnaia hat mit zwei souveränen Siegen das gemacht, was er tun musste. Er war in diesem Jahr der beste Fahrer im Qualifying, hat beeindruckende elf Grands Prix gewonnen und dazu noch sieben Sprints.
Dass man mit dieser fantastischen Bilanz nicht Weltmeister wird, ist natürlich bitter. Aber wer am Ende des Jahres die meisten Punkte hat, ist vorne. Das Format mit Sprints ist so, wie es ist. Es ist für alle Fahrer gleich.
Vor der Sommerpause hatte Bagnaia die Nase vorneMartin hat in unserer traditionellen Montagskolumne in diesem Jahr nur einmal im übertragenen Sinne schlecht geschlafen. Das war nach dem Sachsenring. Wir erinnern uns, dass er damals kurz vor dem Ziel in Führung liegend in Kurve 1 gestürzt ist.
Bagnaia hat den Sieg abgestaubt und die WM-Führung übernommen. Damals habe ich geschrieben, dass Martin in der Sommerpause sicher immer wieder dieses Bild vom Sturz im Kopf haben und grübeln wird, wenn er am Stand liegen wird.
Für Bagnaia war dagegen alles perfekt. Er ging als WM-Führender in die Sommerpause, heiratete seine Domizia und schwebte auf Wolke sieben. Bagnaia hatte die letzten vier Rennen vor der Sommerpause gewonnen. Was sollte für die Titelverteidigung also schiefgehen?
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Das Duell der beiden Ducati-Fahrer wurde auf höchstem Niveau geführt Zoom
Ich weiß es nicht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass sich Martin in der Sommerpause am Strand eine Taktik zurechtgelegt hat. Um Bagnaia zu besiegen, musste er so gut wie fehlerfrei bleiben. Wenn bei Bagnaia alles perfekt läuft, ist er fast unschlagbar. Aber es gibt auch viele andere Tage.
Martin ist praktisch eine perfekte zweite Saisonhälfte gefahren. Es gab nur zwei Fehler. Erstens der Taktikfehler beim Flag-to-Flag in Misano 1 und zweitens der Sturz im Indonesien-Sprint. Ansonsten hat Martin fleißig seine WM-Punkte gesammelt, meistens mit Platz zwei.
In einer so langen Saison kann so viel passieren, wovon Bagnaia ein Lied singen kann. 20 Punkte für Platz zwei sind extrem wichtig, die einem niemand mehr wegnehmen kann. Konstanz gewinnt WM-Titel. Deshalb ist für mich Martin der absolut verdiente und würdige Weltmeister!
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Francesco Bagnaia gratulierte dem neuen Weltmeister Zoom
Stark fand ich auch von Ducati, dass sie sich zu keiner Zeit eingemischt haben. Sie haben alle Fahrer frei fahren lassen und das sportliche Geschehen entscheiden lassen. So muss das sein! Ein großes Danke dafür! Das faire Racing stand bei Ducati klar im Vordergrund.
An dieser Stelle möchte ich nicht erneut thematisieren, dass Martin nicht den Platz im Ducati-Werksteam bekommen hat. Für Pramac-Chef Paolo Campinoti ist der Erfolg sicher eine große Genugtuung, aber die Weichen für die Zukunft wurden gestellt, wie sie gestellt wurden.
Martin könnte zu einer Aprilia-Legende werdenDie Zukunft von Martin heißt Aprilia. Natürlich ist es sehr wahrscheinlich, dass Martin im nächsten Jahr nicht um den WM-Titel kämpfen kann. Aber die zweite italienische Marke befindet sich am Beginn eines dritten Umbruchs.
Zunächst der MotoGP-Wiedereinstieg 2015, dann wurde für 2020 ein komplett neues Motorrad gebaut. Mit der Weiterentwicklung hat Aprilia erstmals Rennen gewonnen, aber ein gewisses Plateau erreicht. In diesem Jahr ging es dann nicht mehr richtig vorwärts.
Mit Fabiano Sterlacchini, der heute seine Arbeit offiziell beginnt, gibt es nicht nur einen neuen Technikdirektor, sondern es gibt einige Personaländerungen hinter den Kulissen. Es wird natürlich Zeit brauchen, bis sich dieser frische Wind auf der Strecke in Performance zeigen wird.
Martin ist ein Teil davon. Seine Klasse ist spätestens seit gestern unbestritten. Nun liegt es an Aprilia zu zeigen, dass man auch technisch den nächsten Schritt machen kann. Der Wille ist da, aber 2025 wird bestimmt ein Übergangsjahr, ein Aufbaujahr.
Ich hoffe und glaube, dass Martin die notwendige Geduld mitbringen wird. Denn er hat die Chance mit Aprilia eine erfolgreiche Zukunft aufzubauen. Langfristig könnte er Aprilia zu "seiner" Marke machen und an die Spitze führen.
Bei Veranstaltungen und Präsentationen wird immer Max Biaggi als die große Aprilia-Legende präsentiert - zurecht. Ich fände es toll, wenn in den kommenden Jahren mit Martin eine zweite, jüngere Aprilia-Legende entstehen würde. Die Zukunft wird auf alle Fälle spannend!
Wer war aus Ihrer Sicht der Verlierer des MotoGP-Wochenendes? Teilen Sie mir Ihre Meinung auf Facebook unter "Racing inside mit Gerald Dirnbeck" mit. Dort gibt es meine Texte, Insiderinfos, Meinungen und Einschätzungen zu aktuellen Themen. Und natürlich die Möglichkeit, diese Kolumne zu diskutieren!