Jonas Deichmann: So schaffte ich 120 Triathlons in 120 Tagen | Sport

10 Tage vor

„Übermenschlich!“

Fast kein Wort fiel während seiner „Challenge 120“ so oft wie dieses. Jonas Deichmann (37) hat es geschafft: Der Extremsportler absolvierte 120 Langdistanz-Triathlons in 120 aufeinanderfolgenden Tagen. Bedeutet: Vom 9. Mai bis zum 5. September legte er jeden Tag 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen zurück. Macht in Addition über die fast vier Monate 456 Kilometer Schwimmen, 21600 Kilometer Radfahren und 5064 Kilometer Laufen. Die vielleicht größte sportliche Belastung, die ein Athlet je vollbracht hat.

Jonas Deichmann - Figure 1
Foto BILD

An Tag 106 hat er bereits den Weltrekord des Briten Sean Conway (43) geknackt. Am Donnerstag lief er ein letztes Mal durch den Zielbogen im Triathlon-Mekka Roth, wurde dabei von über 300 Menschen gefeiert, die ihn auf Teilen der Strecke begleiteten.

Jeden Tag ein Ironman – wie geht das? Im SPORT BILD-Interview verrät Deichmann seine Mental-Tricks, was seinen Körper auszeichnet und wie er trotz höllischer Schmerzen weitermachte.

★★★

SPORT BILD: Herr Deichmann, Sie haben Ihr Extrem-Projekt durchgehend mit einem fetten Grinsen, einer äußerlichen Leichtigkeit und ansteckenden Fröhlichkeit absolviert. Wie geht es Ihnen wirklich?

Deichmann: Gut. Der Körper hat sich einfach angepasst. Ich habe natürlich eine Grundmüdigkeit. Ich kann nicht mehr wirklich schnell machen. Intervalle – keine Chance! Aber Langdistanz ist für mich einfach zur Normalität geworden. Solange ich in meinem Komforttempo bin, kann ich das locker machen.

In welchem Pulsbereich bewegen Sie sich?

Ich bewege mich den ganzen Tag in einem Pulsbereich von 90 bis 107. Es ist absolut unter dem Grundlagenausdauer-Bereich. Aber viel höher komme ich auch gar nicht mehr. Die Range von Ruhepuls auf Maximalpuls hat sich halbiert.

Was genau hat Sie jeden Tag angetrieben?

Es ist ein mentales Zusammenspiel. Auf der einen Seite hatte ich immer diese große Vision im Kopf, Tag 120 zu erreichen. Dazu kamen immer wieder große Meilensteine: Den „Challenge Roth“ an Tag 60, den Weltrekord an Tag 106. Jetzt den Tag 120. Auf der anderen Seite steht das Tagesgeschäft. Ich konzentriere mich auf den nächsten Kilometer. Den Marathon nenne ich nur „das Läufchen“ – klingt doch viel angenehmer. Ich breche die Strecke im Kopf immer wieder auf kleine Highlights herunter: Nach der Hälfte der Radstrecke kommt eine Pause. Auf Lauf-Kilometer 30 gibt es eine schöne Verpflegungsstation, die eine Familie in Roth eingerichtet hat. So geht es in kleinen Etappen dem großen Ziel entgegen.

Haben Sie jemals ans Aufgeben gedacht?

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Nein, den Moment, an dem ich ans Aufgeben gedacht habe, den gab es nicht. Die Kunst ist es, jeden Tag fest daran zu glauben: Auf jedes Tief folgt ein Hoch – und genau das habe ich auch selbst gespürt. Die ersten drei Langdistanzen gingen super locker. An den Tagen fünf bis acht hat mein ganzer Körper rebelliert und gesagt: Was tust Du mir hier an? Aber ich habe die Disziplin aufgebracht, jeden Tag zu Ende zu bringen. Ich wusste immer: Morgen wird es besser, der Anpassungsprozess wird kommen. Dieser bedingungslose Optimismus und der Fokus auf die kleinen Ziele, das ist das Entscheidende.

Seine „Challenge 120“ geht weltweit durch die Medien: Jonas Deichmann beim letzten Ziel-Einlauf

Was war der härteste Moment?

Ich hatte zwei Achillessehnen-Entzündungen, drei Knie-Entzündungen mit Flüssigkeit. Der brutalste Schmerz waren Rückenprobleme, ich konnte kaum aufstehen. Aber ich habe weitergemacht, weil ich wusste, dass ich dabei nichts kaputt machen kann. Am schlimmsten war die Sorge während meiner Erkältungen. Denn klar war: Sobald ich Fieber bekommen würde, beendet mein Arzt das Projekt. Dazu ist es zum Glück nie gekommen.

Sind Sie ein medizinisches Wunder?

Darüber wird in der Sportwissenschaft gerade heiß debattiert. Es gibt keinerlei Studienergebnisse zu solch einer Dauerbelastung, ich bin gerade wie ein Versuchskaninchen. Die Experten-Meinungen gehen von „Das ist nicht menschenmöglich“ bis hin zu „Der Körper passt sich an“. Dr. Bernd Langenstein, ein renommierter Sportwissenschaftler der Uni Nürnberg, betreut mich hier, nimmt regelmäßig Blut ab. Er bekommt jeden Tag meine Werte. Er wird sagen, dass ich eine absolute Ausnahme bin. Ich persönlich sage: Ich habe mich über Jahre angepasst und mich dorthin trainiert. Sicherlich habe ich ideale Voraussetzungen für so ein Projekt – ich mache aber seit Jahren auch nichts anderes. Interessant sind tatsächlich meine CK-Werte, also quasi die Entzündungswerte im Blut. Die sind bei mir nach einer Langdistanz so niedrig wie bei einem Durchschnitts-Athleten nach einem Fünf-Kilometer-Lauf.

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Haben Sie keine Angst vor Langzeitschäden?

Nein, da habe ich keine Sorgen. Mindestens zweimal die Woche kommen mein Arzt und mein Physiotherapeut. Meine Werte sind normal, ich habe keine Schmerzen. Ich bin, Stand jetzt, orthopädisch komplett beschwerdefrei.

Interview während des Marathons: Reporter Yannick Hüber (r.) begleitete Deichmann an Tag 114 über eine Langdistanz

Sie haben sich beim Laufen eine Art Energiesparschritt angewöhnt. Was steckt genau dahinter?

Es gibt eine Pace mit dem saubersten Laufstil, bei dem die Belastungspunkte am niedrigsten sind. Das ist bei mir eine Marathon-Pace zwischen 3:45 und 4:15 Stunden. Mehr Tempo würde die Belastung erhöhen, wenn ich langsamer laufe, würde ich mit der Hüfte einknicken. Ich ziehe zwischendurch auch mal für ein paar hundert Meter an, um wieder eine aufrechte Körperhaltung zu bekommen. Allgemein kann man sicher sagen: Ein 4-Stunden-Marathon ist gesünder als ein 5-Stunden-Marathon. Ein 3-Stunden-Marathon ist wiederum nicht gesünder.

Sie machen in Ihrer Pause zwölf Minuten Mittagsschlaf, machen jeden Tag zur gleichen Zeit und an den gleichen Stellen eine Pinkelpause. Wie kann man seinen Körper so programmieren?

Ich kann überall innerhalb von Sekunden einschlafen. Ich trinke einen Espresso, schlafe dann richtig ein, und wenn ich aufwache, fängt der Espresso an zu wirken. Es ist Routine. Im Grunde habe ich mich seit Jahren auf dieses Projekt vorbereitet: mit meinem Triathlon rund um Deutschland, meinem Triathlon rund um die Welt oder meiner USA-Durchquerung.

Woran denken Sie über bis zu 15 Stunden am Tag?

An die Highlights durch meine Begleiter. Im See haben mich zum Beispiel zwei Schwimmer im Borat-Anzug begleitet. Die Rother lassen sich immer was einfallen, so stellt sich keine Monotonie ein. Ich denke natürlich auch viel übers Essen nach. Ich verbrauche 10.000 Kalorien am Tag. Essen war ein essenzieller Bestandteil meiner Challenge. Und ich plane schon meine nächsten Projekte – aber die verrate ich natürlich noch nicht.

Jonas Deichmann - Figure 4
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Wie sieht Ihr Speiseplan aus?

Sechs Mahlzeiten am Tag. Dazu etwa zehn Kohlenhydrat-Gels, zehn bis zwölf Riegel, Sportgetränke, Gelshots. Auf der zweiten Radrunde gibt es Pasta auf dem Fahrrad. Ballaststoffe waren während der Challenge tabu. Bis auf drei Salatblätter am Abend musste alles schön clean bleiben.

Prototyp: Deichmann kann per Clip-Dose Nudeln auf seinem Zeitfahrrad essen

Wie groß war der Material-Verschleiß über vier Monate?

Ich habe etwa zehn bis zwölf Laufschuhe durch. Mein Rad geht alle zwei bis drei Tage in die Wartung. Ich hatte zum Glück nicht einen einzigen Platten.

Womit belohnen Sie sich nach dem Projekt?

Mit einem viertägigen Kurzurlaub an einem geheimen Ort in den Bergen. Ich habe seit vier Monaten keine Minute Freizeit, jede Minute, die ich nicht mit Sport, Essen, Regeneration oder Schlafen verbringe, ist eine verlorene. Und ich bin nur unter der Dusche, auf der Toilette und in meinem Bett mal allein – dieser Mangel an Privatsphäre ist zu einer echten Herausforderung geworden. Aber mehr Erholungszeit bleibt nicht, danach beginnen die Vorträge und Talkshows.

Sie haben nicht mal einen festen Wohnort, keine Kinder. Bleibt Zeit für eine Freundin?

Sagen wir so: Wir sind im Urlaub zu zweit, ganz ruhig und zurückgezogen.

Was verdienen Sie mit dem Projekt?

So ein Projekt ist wie ein Start-up. Man muss Ideen entwickeln, es erstmal vorfinanzieren. Verdienen kann ich dann im Anschluss, wenn ich Vorträge halte usw. Das ist immer auch ein Risiko. Bedeutet: In guten Jahren mit guten Projekten muss ich auch gutes Geld verdienen, da ich kein festes Einkommen habe. Aber natürlich kann ich sehr gut davon leben. Ich lebe von Sponsoren, Vorträgen, Firmenevents, schreibe Bücher. Auch über dieses Projekt wird es ein Buch geben mit dem Titel „Weil ich es kann“.

„Reif ist live“ vom 05.09.2024Funktioniert Kimmich als neuer DFB-Kapitän?

Quelle: BILD06.09.2024

Felix Baumgartner, Reinhold Messner, oder sogar Neil Armstrong – wo würden Sie sich mit Ihrem Projekt einordnen?

Super toll, wenn mich Leute scheinbar in solchen Sphären sehen. Aber das überlasse ich Euch Journalisten, da kann und möchte ich nichts zu sagen. Was die Ausdauerleistung angeht, steht nur fest: So etwas wurde zuvor noch nie gemacht.

Jeden Tag begleiten Sie unzählige Menschen auf der Strecke. Sind Sie gerne der deutsche Forrest Gump?

Genau das macht das Projekt aus: nicht nur der Rekord, sondern die Tausenden Leute, die plötzlich mehr Sport machen und optimistisch werden. Es gibt Leute, die mehrere Langdistanzen am Stück absolviert haben. Dann gibt es Leute, die vorher auf der Couch gesessen haben, jetzt jeden Tag zehn Kilometer mitgelaufen sind und zehn Kilo abgenommen haben. Es ist durchaus so in Deutschland, das sich mehr Leute aus ihrer Komfortzone herausbewegen könnten. Wenn ich dazu einen Beitrag leisten kann, bin ich stolz. Ich glaube, die Hemmschwelle, einfach loszulegen und mitzumachen, ist durch das Projekt bei vielen Menschen gesunken.

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