US-Wahl 2024: Joe Biden sollte in den wohlverdienten Ruhestand
Donald Trump marschiert einer zweiten Amtszeit entgegen. Die Demokraten müssen jetzt zu radikalen Mitteln greifen, wenn sie das Weiße Haus verteidigen wollen. Joe Biden steht dem im Weg. Ein Kommentar.
George Washington gilt aus guten Gründen als einer der besten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Der erste Amtsinhaber etablierte zahlreiche Regeln und Traditionen, die bis heute die Präsidentschaft prägen.
Die vielleicht wichtigste: Nach zwei Amtszeiten gab er freiwillig die Macht ab, zog sich zunächst ins Privatleben zurück. Ende des 18. Jahrhunderts war das ein radikaler Akt. Staatsoberhäupter bleiben damals üblicherweise lebenslänglich auf ihren Thronen. Und auch Washington, der die USA in die Unabhängigkeit geführt hatte, hätte wohl bis zu seinem Tod an der Spitze der jungen Nation bleiben können.
Doch er entschied sich dagegen – und schuf so die Norm, dass nach zwei Amtszeiten Schluss ist, an die sich (fast) alle seine Nachfolger hielten – und dass auch bevor 1951 aus der Norm eine Regel wurde. Washingtons Rückzug war ein Dienst an seinem Land. Und ein Vorbild für seine Nachfolger.
Heute steht wieder ein Präsident vor der Frage, wie er seine persönlichen Ambitionen mit dem Wohl der Vereinigten Staaten zusammenbringen kann. Seit nunmehr zwei Wochen steht Joe Biden heftig in der Kritik. Aus den Reaktionen auf seine missratene TV-Debatte gegen Donald Trump ist längst eine tiefsitzende Verunsicherung über den körperlichen und geistigen Zustand des Staatsoberhaupts erwachsen. Wie gerechtfertigt das ist, ist eine andere Frage. Beim Nato-Gipfel präsentierte sich Biden wieder einmal alt, aber kohärent und kompetent. Doch die Zweifel an seiner Fähigkeit, weitere vier Jahre im wohl anspruchsvollsten Amt der Welt zu dienen, scheint er auch mit adäquaten Leistungen wie bei etwa seinem gestrigen Auftritt vor der Presse nicht mehr zerstreuen zu können. Sein Alter überschattet seine Präsidentschaft und seinen Wahlkampf. Und das ist gefährlich.
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Denn Bidens Gegenkandidat im November ist Donald Trump. Der Republikaner will die älteste bestehende Demokratie der Welt nach einer möglichen Rückkehr ins Weiße Haus radikal umbauen – mehr Ungarn wagen anstelle von Westminster. Doch die ständigen Zweifel an Bidens Fähigkeiten lenken zunehmend von Trumps Plänen ab. Der Präsident ist nicht in der Lage, die Auseinandersetzung mit seinem Vorgänger und Herausforderer voll anzunehmen, da er jeden Tag seine eigenen Anhänger von seinen eigenen Fähigkeiten überzeugen muss. Kein Wunder, dass Trump derzeit in den meisten Umfragen vorne liegt, und in den wahlentscheidenden Swing States teils sehr deutlich.
Biden, das haben die vergangenen Wochen gezeigt, schafft es nicht, an dieser grundsätzlichen Dynamik etwas zu ändern. Und dass, obwohl seine Administration auf zahlreiche Erfolge verweisen kann. Damit ist klar, dass Biden der falsche Kandidat ist.
Es hätte nicht so kommen müssen. Er verstehe sich als eine Brücke, hatte Biden im Wahlkampf 2020 gesagt – eine Aussage, die zahlreiche Wähler als ein implizites Versprechen verstanden, nur eine Amtszeit zu dienen. Doch einmal im Weißen Haus angekommen machte der Präsident keine Anstalten mehr, die Macht wieder abgeben zu wollen. Dabei hätte es gute Gelegenheiten gegeben. Nach den für seine Partei überraschend erfolgreichen Zwischenwahlen hätte Biden ankündigen können, nicht noch einmal anzutreten und so seiner Partei die Chance geben können, in einem ordentlichen Verfahren einen Nachfolger zu bestimmen.
Doch diese Gelegenheit hat der Präsident verstreichen lassen. Heute wäre sein Rückzug mit massiven Risiken verbunden, mit organisatorischen Fragen und einer Gefährdung der Parteigeschlossenheit. Auch macht der Präsident keine Anstalten, auf die Kandidatur zu verzichten. Trotzdem würde Biden den Demokraten damit einen Gefallen tun. Denn der Pfad, auf dem sich die Partei derzeit befindet, führt in die Niederlage.
Joe Biden ist kein George Washington. Das ist keine Beleidigung. Nur wenige amerikanische Staatsoberhäupter halten dem Vergleich mit dem Gründungsvater statt. Auch ist es durchaus nachvollziehbar, dass sich der Demokrat nach einer sehr erfolgreichen ersten Amtszeit für unersetzbar hält. Doch das ist er nicht. Seine Partei verfügt über zahlreiche Talente, die im Oval Office wohl einen guten Job machen würden. Kamala Harris, die Vize-Präsidentin und logische Nachfolgerin als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, hat in den vergangenen Wochen an Statur gewonnen.
Natürlich wäre auch ihre Kandidatur keine Garantie, dass Trump im November verliert. Doch sie würde die Dynamik des Wahlkampfs verändern – etwas, zu dem Biden nicht mehr in der Lage zu sein scheint – und ihrer Partei damit etwas zurückgeben, was sie zuletzt verloren hatte: Die Hoffnung. Biden hat es in der Hand, dies zu ermöglichen. Es ist noch nicht zu spät.
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