Demokraten nervös: Drohkulisse für Biden

3 Tage vor

Demokraten nervös

Im US-Wahlkampf wird die Luft für Präsident Joe Biden dünner – der desaströse Auftritt bei der TV-Debatte gegen seinen Herausforderer Donald Trump hat Kratzer hinterlassen. Zwar zeigen sich der 81-Jährige und sein Wahlkampfteam mit ein paar Tagen Abstand betont kämpferisch, doch hat sich eine Drohkulisse aufgebaut, die Bidens Durchhaltewillen auf die Probe stellt. Er selbst gesteht Fehler ein.

Joe Biden - Figure 1
Foto ORF

Online seit heute, 15.05 Uhr (Update: 19.21 Uhr)

Seit der verkorksten Fernsehdebatte konnte Trump seinen Vorsprung in der Wählergunst ausbauen, wie aktuelle Umfragen zeigen. Befragungen der „New York Times“ („NYT“), von CNN und „Wall Street Journal“ sehen ihn nun mit sechs bis acht Prozentpunkten vor Biden. Vor der TV-Debatte lagen beide in Umfragen nah beieinander.

In den USA spielen solche Umfragen – obwohl sie wegen verschiedener Faktoren oft vergleichsweise ungenau sind – eine große Rolle. Mehren sich die schlechten Werte für einen Politiker, kann das eine wichtige Signalwirkung für dessen Unterstützer und Unterstützerinnen haben, also auch für die unabdingbaren Spender. Ein wichtiger Geldgeber, Netflix-Mitgründer Reed Hastings, rief Biden auf, „zur Seite zu treten“.

„Minivorwahl“ ins Spiel gebracht

Zwar haben hochrangige Demokraten dem Amtsinhaber in den vergangenen Tagen die Treue gehalten. Am Mittwoch forderte jedoch mit Raul Grijalva aus Arizona der zweite Kongressabgeordnete Biden offen auf, seine Bewerbung zurückzuziehen, wie die „NYT“ berichtete. Zudem sprach erstmals ein hochrangiger Demokrat über den möglichen Ablauf nach einem Ausscheiden Bidens.

So brachte der Abgeordnete Jim Clyburn gegenüber dem Sender CNN „Minivorwahlen“ ins Spiel. Clyburn – eine Art „Königsmacher“ innerhalb der Demokraten und maßgeblich an Bidens Sieg im Jahr 2020 beteiligt – war damit das erste hochrangige Parteimitglied, das öffentlich darüber sprach, wie die Ablöse Bidens als Kandidat funktionieren könnte.

Meinungsschwenk bei „Königsmacher“

Nach der Debatte in der vergangenen Woche hatte der 83-jährige Clyburn seine demokratischen Kollegen zunächst aufgefordert, mit Biden „auf Kurs zu bleiben“ und „sich zu entspannen“, doch am Mittwoch hatte sich sein Ton geändert. „Ich habe gesehen, was ich letzten Donnerstagabend gesehen habe, und das ist beunruhigend.“

Er sagte, er würde bei einem Rückzug Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin unterstützen, aber: „Wenn sie die Kandidatin sein sollte, brauchen wir einen Gegenkandidaten, einen starken. Das würde uns nicht nur die Möglichkeit geben zu eruieren, wer an der Spitze des Tickets gut wäre, sondern auch, wer an zweiter Stelle am besten geeignet wäre.“

Republikaner schießen sich auf Harris ein

Bei den Spekulationen darüber, wer kurzfristig für Biden einspringen könnte, wurde um Harris bisher oft ein Bogen gemacht, ihre Beliebtheitswerte sind mäßig. In Bidens Wahlkampfteam wurde sie von vielen lange sogar als potenzielle Belastung empfunden. Mittlerweile hat sie sich unter anderem beim Wahlkampfthema Abtreibung Anerkennung verschafft. Gewichen ist die Skepsis nicht.

Auch wenn einige einflussreiche Parteivertreter und -vertreterinnen bereits andere Namen in den Ring geworfen haben wie den kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom, Gretchen Whitmer aus Michigan und Josh Shapiro aus Pennsylvania, verweisen Politinsider darauf, dass Harris einen höheren Bekanntheitsgrad habe. Auch Republikaner schießen sich bereits auf Harris ein – diese Woche eskalierten die koordiniert wirkenden Angriffe.

Harris, Newsom, Whitmer, Shapiro – das Namenskarussell potenzieller Biden-Nachfolger dreht sich anhaltend Biden schart Gouverneure hinter sich

Zugleich betrieb Biden Krisenmanagement, er griff für Krisengespräche selbst zum Telefon, wie das Weiße Haus Mittwochabend (Ortszeit) mitteilte. Er habe mit hochrangigen Demokraten wie dem Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, dem Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, und weiteren Parlamentariern gesprochen.

Mit mehr als 20 demokratischen Gouverneuren schaltete sich Biden zusammen – wohl mit dem Ziel, sich deren Unterstützung zu sichern. Während sich einige anschließend demonstrativ hinter ihn stellten, deuteten andere Zweifel an. Der Gouverneur von Maryland, Wes Moore, bezeichnete das Gespräch im Anschluss als „aufrichtig“. Man stehe hinter Biden, aber sorge sich um den Stand der Demokraten.

Zuspruch und Besorgnis

Gouverneur Tim Walz aus Minnesota sagte laut „NYT“: „Die Gouverneure stehen hinter ihm, und wir arbeiten zusammen, um das sehr, sehr deutlich zu machen.“ Whitmer, die als mögliche Personalreserve gilt und im Bundesstaat Michigan regiert, versicherte diesem via X (Twitter) ihre uneingeschränkte Unterstützung.

Die Gouverneurin des Bundesstaates New York, Kathy Hochul, sagte der „NYT“ zufolge sinngemäß, dass man Biden kollektiv die Unterstützung zugesagt habe. Allerdings sei diese Aussage von einigen anderen Gouverneuren irritiert aufgenommen worden, denn es habe keinen Aufruf zur Unterstützung Bidens gegeben, erfuhr die „NYT“ von Teilnehmern. Vielmehr hätten mehr als ein halbes Dutzend Gouverneure ihre Besorgnis über den Auftritt Bidens geäußert.

Stabschef übt sich in Schadensbegrenzung

Im Weißen Haus bemühte sich Bidens Stabschef Jeff Zients um Schadensbegrenzung. In einem Telefonat mit mehr als 500 Regierungsmitarbeitern rief Zients übereinstimmenden Medienberichten zufolge dazu auf, den „Lärm“ um Biden auszublenden und sich auf die Regierungsarbeit zu konzentrieren.

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, die sich normalerweise nur zu Regierungsangelegenheiten und nicht explizit zum Wahlkampf äußert, betonte mehrfach, Biden werde im Rennen bleiben. Zuvor hatte das Weiße Haus Berichte zurückgewiesen, die nahelegen, dass Biden über einen Rückzug nachdenkt.

„Behauptung absolut falsch“

In dem Bericht der „NYT“ hieß es, der Präsident habe mit einem „wichtigen Verbündeten“ darüber gesprochen. Nach dessen Angaben habe Biden in dem Gespräch gesagt, er wisse, dass er seine Kandidatur möglicherweise nicht mehr retten könne, wenn er in den kommenden Tagen nicht von seiner Eignung als Präsidentschaftskandidat überzeugen könne. „Diese Behauptung ist absolut falsch“, teilte ein Sprecher der Regierungszentrale daraufhin mit.

TV-Interview als Bewährungsprobe

In den kommenden Tagen hat Biden mehrere Auftritte zu absolvieren, auf die wohl viele Augen gerichtet sein werden: Am Freitag ist ein TV-Interview mit ABC News geplant, in den kommenden Tagen sollen Wahlkampfauftritte in den Bundesstaaten Wisconsin und Pennsylvania sowie in der kommenden Woche eine Pressekonferenz auf dem NATO-Gipfel in der US-Hauptstadt Washington folgen.

In einem Radiointerview sagte Biden, bei dem Duell gegen Trump „einen schlechten Abend“ gehabt zu haben. „Und Tatsache ist, dass ich es vermasselt habe, dass ich einen Fehler gemacht habe“, sagte der Demokrat. Er habe aber von seinem Vater gelernt, dass man immer wieder aufstehen müsse, so Biden. 90 Minuten auf einer TV-Bühne seien nichts im Vergleich zu dem, was er in den vergangenen dreieinhalb Jahren geleistet habe.

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