Vance dominiert Walz: Die Debatte schwächt Harris in einem ...
Eigentlich sind die Meinungen der amerikanischen Wähler ja längst gemacht. Trotzdem fällt das TV-Duell zwischen den Vizepräsidentschaftskandidaten ins Gewicht, vor allem im Mittleren Westen.
Mike Segar / Reuters
Die Umfrageresultate treten an Ort, die Wahlprognose lautet weiterhin: unentschieden. Nichts scheint das Rennen zwischen Donald Trump und Kamala Harris bewegen zu können, weder das zweite versuchte Attentat auf Donald Trump noch die sagenhaften Summen für Wahlwerbung, welche beide Kampagnen derzeit verpulvern. Einen Monat vor den Wahlen sind die beiden politischen Lager maximal polarisiert, sowohl national wie auch in den Swing States. Und so versteht man Stimmen, die fragen, wen die Debatte zwischen J. D. Vance und Tim Walz eigentlich überhaupt noch kümmert.
Aber in diesem erbitterten Wahlkampf, in welchem 10 000 Wähler in Pennsylvania den Ausschlag geben können, wer ins Weisse Haus zieht, spielt alles eine Rolle. Ganz bestimmt fällt ins Gewicht, wenn der Mann schwächelt, der die Arbeiterschaft im Mittleren Westen für die demokratische Kandidatin gewinnen soll. Dafür wurde Tim Walz, der Gouverneur von Minnesota, rekrutiert. Er soll der dunkelhäutigen Politikerin aus dem linksliberalen Kalifornien eine Brücke zum weissen Durchschnittsamerikaner in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania bauen. Denn wenn Harris diese blaue Mauer für die Demokraten hält, dann sitzt sie am 20. Januar im Oval Office und regiert. Doch im Fernsehduell mit Vance erwies Walz der Vizepräsidentin keinen guten Dienst.
Der verärgerte Football-CoachVance als untragbaren Vizepräsidenten darzustellen, war die wichtigste Aufgabe von Walz. Er tat sich schwer damit. Von Anfang an diktierte Vance das Sprechtempo, und es war rapid. Das Schnellreden ist indes nicht die Stärke des gemächlichen Gouverneurs von Minnesota. Er hätte es Vance nicht gleichtun müssen, aber das bemerkte er bis am Schluss des 100-minütigen Duells nicht. Mit gerötetem Kopf und Überdruck in der Stimme debattierte Walz angestrengt und mit dem Habitus eines verärgerten Football-Coachs. Er liess vor laufender Kamera und einem Publikum von erwarteten 50 Millionen die Leichtigkeit vermissen, mit der Kamala Harris ihre Kampagne im August lanciert hatte.
J. D. Vance, der wegen seiner despektierlichen Bemerkung über die kinderlosen Katzenbesitzerinnen ein Beliebtheitsproblem hat, schaffte es, sich als geschmeidigen Debattierer mit guten Manieren zu profilieren. Inhaltlich waren sich Vance und Walz in der für einmal auf Sachpolitik fokussierten Debatte durchaus ebenbürtig. Beide hatten ihre starken Momente: Vance machte Kamala Harris für die starke Zunahme der Einwanderung und die hohen Lebenskosten verantwortlich. Walz beschrieb die tödlichen Folgen der Abtreibungsverbote für Frauen und prangerte Vance als Feind der Demokratie an, als dieser eine Antwort auf die Frage verweigerte, ob er eine Niederlage an der Urne akzeptieren würde.
Vance gelingt eine ImagekorrekturDoch Walz debattierte so hitzig, dass er ganz vergass, wen er anzusprechen hatte: die unentschiedenen Wähler in den Swing States. Von diesen gibt es nur noch wenige – schätzungsweise 3 Prozent wissen noch nicht, für wen sie stimmen werden. Diese gilt es in den kommenden Wochen zu überzeugen. In der Debatte wies Vance geschickt auf seine Herkunft aus prekären Verhältnissen in Ohio hin und unterschlug sein späteres Studium an der Eliteuniversität Yale sowie seine Tätigkeit in der Finanzbranche in Kalifornien. Walz hingegen verpasste es, darauf hinzuweisen, dass er, der auf einem Bauernhof aufwuchs und lange Jahre als Highschool-Lehrer arbeitete, näher am Volk lebte als Vance. Am Ende wirkte Vance nahbar und Walz abgehoben, ein unerwarteter Rollentausch.
Kurz vor den Wahlen steigt die Unsicherheit der Bürgerinnen und Bürger in den USA: Da ist der Krieg im Nahen Osten, der zu eskalieren droht, die Verheerung, die der Hurrikan «Helene» angerichtet hat, und ein Streik der Hafenarbeiter, der den Handel teilweise lahmlegen wird und die Teuerung wieder antreiben dürfte. In solchen Krisenzeiten wünscht man sich eine ruhige Hand im Weissen Haus, nicht einen aufgeregten Football-Coach. Falls sich dieser Gedanke während der Debatte bei den Wählern eingeschlichen hat, darf Trump seinem Vize applaudieren.