Spionage-Prozess - Wirecard bezahlte Firmen mutmaßlicher Spione

7 Stunden vor
Jan Marsalek

exklusiv

Stand: 04.12.2024 14:03 Uhr

Hat Wirecard einen Agentenring mitfinanziert, der für Russland spionierte? Laut BR sorgte Ex-Vorstand Marsalek dafür, dass der Finanzdienstleister Gelder auf Konten von Firmen überwies, die den mutmaßlichen Spionen zuzurechnen sind.

Von Arne Meyer-Fünffinger und Josef Streule, BR

Seit der vergangenen Woche läuft im altehrwürdigen Gerichtsgebäude "Old Bailey" in London einer der wohl spektakulärsten Spionage-Prozesse des Jahrzehnts. Die Anklagebehörde wirft zwei Bulgarinnen und einem Bulgaren Spionage vor. Zwischen 2020 und 2023 soll die Gruppe für Russland Dokumente und Informationen gesammelt und weitergegeben haben.

Die von Großbritannien aus operierende Gruppe nutzte dabei nach Überzeugung der Ermittler ausgefeilte Technik, gefälschte Reisepässe und diskutierte sogar über Kidnapping und Ermordung von beschatteten Personen. Die drei Angeklagten bestreiten bis jetzt die gegen sie erhobenen Vorwürfe.

Zwei weitere Mitglieder der mutmaßlichen Spionage-Zelle, Orlin R. und Biser D., haben schon vor Prozessbeginn im Rahmen mehrerer Anhörungen ihre Spionagetätigkeit gestanden. Auch sie sind bulgarische Staatsbürger. Orlin R. gilt in diesem Komplex als Schlüsselfigur. Seit einer groß angelegten Durchsuchung im vergangenen Jahr sitzen die Männer und Frauen im Gefängnis.

Ein russischer Agent namens "Rupert Ticz"?

Nach Überzeugung britischer Behörden soll ein russischer Agent namens "Rupert Ticz" über mehrere Jahre die mutmaßlichen Spione angeleitet haben, unter anderem über den Messengerdienst Telegram. Die Ermittler sind sich sicher, dass sich hinter "Ticz" der frühere Wirecard-Vorstand Jan Marsalek verbirgt.

Fakt ist, dass sich Marsalek und der IT-Experte Orlin R. lange kennen. Schon 2015 standen die beiden in Kontakt. In E-Mails, die dem BR vorliegen, ging es zum Beispiel um robuste und abhörsichere Mobiltelefone. Die neuen Recherchen werfen nun vor allem eine Frage auf: Hat sich Marsalek mit den jetzt im Fokus stehenden mutmaßlichen Agenten nicht nur über IT-Fragen ausgetauscht? Sondern hat er darüber hinaus die Gruppe parallel zu seiner Tätigkeit bei Wirecard mit Hilfe von Geldern des Zahlungsdienstleisters finanziert und aufgebaut? Interne Wirecard-Dokumente und E-Mails, die BR Recherche ausgewertet hat, legen diesen Schluss nahe.

Zehntausende Euro von Wirecard

Am Morgen des 12. November 2019 leitet eine Assistentin von Marsalek per E-Mail zwei Rechnungen an die zuständige Abteilung bei Wirecard weiter. Ausgestellt haben die Rechnungen in Großbritannien registrierte Firmen: Die FTTH Technologies LTD und die B.I. Business Investment LTD. Die FTTH Technologies, eine Ein-Personen-Firma, die zeitweise an Orlin R.s Privatanschrift registriert war, berechnet für die Installation und Konfiguration von Software sowie die Lieferung von Servern der Wirecard AG knapp 30.000 Euro.

B.I. Business fordert 4.800 Euro für "Open Source Data Intelligence". Zusätzlich kassiert die Firma wenig später 90.000 Euro für Beratungsleistungen. Biser D. ist dem britischen Unternehmensregister zufolge als Direktor eingetragen. Weitere Beschäftigte hat auch B.I. Business nicht.

Bereits Anfang Juli 2019 landet im Postfach von Marsaleks Assistentin die Rechnung einer ebenfalls britischen Firma namens A-Trading Limited Co. Der Rechnungsbetrag beläuft sich auf über 18.000 britische Pfund. Auch hier geht es um IT-Services. In einem internen Erfassungsbogen der Wirecard AG ist bei der erbrachten Leistung "Verschiedenes" angekreuzt.

Marsalek mischt sich persönlich ein und macht bei der zuständigen Buchhaltungsabteilung mit einer E-Mail Druck. In der Betreffzeile steht: "Sofortige Bezahlung". Auch bei A-Trading lässt sich eine Beziehung zu Orlin R. herstellen: Als Firmendirektor ist der bulgarische Staatsbürger "Aleksey Ivanov" eingetragen. Angeblich hat Orlin R. diesen Namen wiederholt als Pseudonym verwendet.

Auffällig ist: Alle Überweisungen an die genannten Firmen gehen bei Wirecard intern problemlos durch, obwohl  zahlreiche Bankmitarbeiter und Controller damit befasst waren. Das geht aus Unterlagen hervor, die BR Recherche vorliegen. Dass die Firmen ansonsten mit Wirecard offenbar in keinerlei Geschäftsbeziehung stehen, scheint keine Rolle zu spielen. Es scheint zu reichen, dass Marsalek die Überweisungen freigibt.

Überweisung auf Konto in Beirut bleibt hängen

Orlin R. hatte in Großbritannien weitere Firmen registriert, darunter die zwischenzeitlich aufgelöste Newgentech LTD. Im Handelsregister von HongKong hat Orlin R. eine Firma mit ähnlichem Namen verzeichnen lassen - die NewGen Technologies Limited HK. Und: Das Unternehmen fordert von Wirecard ebenfalls Geld.

Am 1. Oktober 2019 trudelt in Aschheim eine Rechnung aus Hong Kong ein. 90.000 Euro verlangt die NewGen unter anderem für die Installation und Konfiguration von Software sowie die Lieferung von Mobilfunk- und Vernetzungstechnik. Ungewöhnlich: Wirecard soll den fälligen Betrag auf das Konto einer Bank in Beirut überweisen. Dort kommt das Geld aber nicht an, da eine an der Überweisung beteiligte französische Bank den Transfer aus Compliance-Gründen ablehnt.

Der Anwalt von Orlin R. will sich zu diesen Sachverhalten auf eine Anfrage von BR Recherche nicht äußern, ebenso wenig Marsaleks Anwalt.

Marsalek - untergetaucht in Russland?

Marsalek hat sich unmittelbar nach dem Zusammenbruch von Wirecard am 19. Juni 2020 mit einem Kleinflugzeug von einem Flughafen nahe Wien in Richtung Minsk abgesetzt. Mittlerweile wird er in Russland vermutet. Sein genauer Aufenthaltsort ist unbekannt. Nach Ansicht britischer Behörden handelten die bulgarischen Staatsbürger über Jahre auf seine Anweisung.

Sie sollen unter anderem die "Patch Barracks", den Standort der US-Truppen in Stuttgart, ausspioniert haben. Außerdem sollen Marsalek und die Gruppe darüber diskutiert haben, zwei Investigativjournalisten zu kidnappen oder zu ermorden.

Wie lange der Prozess in London gegen die Gruppe dauern wird, ist unklar. Vergangene Woche hat er mit der Verlesung der Anklageschrift Fahrt aufgenommen. Weil das Gericht eine Berichtssperre verhängt hatte, durften Medien erst dann über die schon deutlich früher abgelegten Geständnisse von Orlin R. und Biser D. berichten.

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