Justizfall in Japan: Iwao Hakamada nach 50 Jahren im Todestrakt ...

45 Jahre warten auf die eigene Hinrichtung: Ein Japaner wird mit 88 Jahren freigesprochen

Iwao Hakamada ist die Hauptfigur in einem der erschütterndsten Justizfälle Japans: Es geht um vierfachen Mord, dubiose Beweisstücke und Polizeigewalt.

Iwao Hakamada - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Iwao Hakamada (links) ist 88 Jahre alt. Er verbrachte die Hälfte seines Lebens in Haft, jetzt ist er frei.

AP

Iwao Hakamada ist 88 Jahre alt. Und hält einen düsteren Guinness-Weltrekord: Er gilt als der Gefangene, der am längsten in einer Todeszelle sass. 45 Jahre lang war er in Haft. Tägliches Warten auf die Hinrichtung, auf den Tod. Jetzt ist Hakamada frei und unschuldig. Am Donnerstag ist er von einem Gericht in Japan vom Vorwurf des vierfachen Mordes freigesprochen worden. Der Fall gewährt einen düsteren Einblick in die Geschichte der japanischen Justiz.

Ein erzwungenes Geständnis und dubiose Beweisstücke

In den 1960er Jahren arbeitete Hakamada in einer Misopaste-Fabrik. Zuvor hatte er sich als Profiboxer durchs Leben geschlagen. Am 30. Juni 1966 brannte das Haus seines Arbeitgebers nieder. Vier Leichen wurden in der Brandruine gefunden – von seinem Chef, dessen Frau und ihren Kindern –, alle mit Stichwunden. Rasch fiel der Verdacht auf Hakamada.

Er leugnete die Tat anfänglich, legte dann aber ein Geständnis ab – nach zwanzig Tage langen, zum Teil bis zu zwölfstündigen und gewaltsamen Verhören durch die Polizei. Später zog er sein Geständnis zurück, sagte, es sei erzwungen worden. Dann tauchten die Kleidungsstücke auf. In einem Miso-Fass der Fabrik fanden Polizisten ein Jahr nach seiner Verhaftung vermeintlich blutbefleckte Kleidung. Das Blut auf der Kleidung wurde Hakamada und den vier Opfern zugeordnet. Das zentrale Beweisstück war gefunden.

1968 befand ein Gericht Hakamada für schuldig und verurteilte ihn zum Tode. 1980 bestätigte der Oberste Gerichtshof Japans das Todesurteil als rechtskräftig. Während zuvor nur Hakamadas Familie sich für seine Unschuld einsetzte, bildeten sich ab 1980 weitere Gruppen, die ihn unterstützten – mit Erfolg.

Hakamadas Unterstützer, zu denen seine Schwester Hideko und seine Anwälte zählen, erwirkten einen DNA-Test. Das Resultat: Das Blut auf der Kleidung stammt nicht von Hakamada. Und seine Unterstützer zeigten auf, dass sich Kleidung nach einem Jahr in Miso-Paste dunkel verfärbt. Ein T-Shirt, das als Beweis gedient hatte, war jedoch nur leicht gelblich verfärbt, die Blutflecken darauf waren deutlich zu erkennen.

2007 ging einer jener drei Richter an die Öffentlichkeit, die Hakamada zum Tode verurteilt hatten. Der Richter sagte, er habe Hakamada bereits im Prozess 1968 für unschuldig gehalten, sei von den anderen Richtern aber überstimmt worden. Der DNA-Test, die Hinterfragung der Beweisstücke und die Aussagen des ehemaligen Richters zwangen die Justiz zu reagieren.

Der Prozess wird wieder aufgenommen

2014 gab das Bezirksgericht Shizuoka, einer Grossstadt südwestlich von Tokio, einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens statt. Nach über einem halben Jahrhundert sahen die Richter ein, dass ein Verdacht auf Fälschung der Beweise bestehe. Hakamada wurde nach 45 Jahren überraschend aus der Haft entlassen.

Es dauerte knapp zehn weitere Jahre, bis das neue Verfahren tatsächlich eröffnet wurde. Jetzt ist das Verfahren abgeschlossen, mit Hakamadas Freispruch. Das Bezirksgericht Shizuoka befand, dass die zentralen Beweise, die blutbefleckten Kleidungsstücke, von der Polizei gefälscht worden waren.

Laut «The Japan Times» sagte der vorsitzende Richter, dass die Ermittler Hakamadas Geständnis durch physischen und psychischen Druck erzwungen hätten.

Neue Hoffnung für die Abschaffung der Todesstrafe

Das Urteil erfreut Menschenrechtsgruppen. Allen voran Amnesty International, die sich global für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt. Japan ist mit den USA eines der letzten westlichen Länder, die noch Todesstrafen durchführen. Und zum Tode Verurteilte – wie Hakamada – warten Jahre bis Jahrzehnte auf die Vollstreckung der Strafe, die meiste Zeit in Einzelhaft. Amnesty International verlangt in einer Stellungnahme zum Fall, dass die japanischen Behörden alle bestehenden Todesurteile überprüfen.

Der Freispruch Hakamadas ist eine Seltenheit in Japan. Hakamada ist erst der fünfte rechtskräftig zum Tode Verurteilte, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs in einem wiederaufgenommenen Prozess freigesprochen wurde.

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