„Begrenzte Angriffe“: Israel startet Bodeneinsatz im Libanon

1 Okt 2024

„Begrenzte Angriffe“

Das israelische Militär liefert der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz nach eigenen Angaben im Süden des Libanon heftige Kämpfe. Das teilte ein Sprecher über den Kurznachrichtendienst X mit. In der Nacht auf Dienstag hatte Israel den Beginn eines begrenzten Bodeneinsatzes im Libanon gemeldet.

Israel Bodenoffensive Libanon - Figure 1
Foto ORF

Online seit heute, 6.39 Uhr (Update: 10.54 Uhr)

Seither griffen die israelischen Luftstreitkräfte laut Militärangaben mehrere Waffenfabriken und Infrastruktur der Hisbollah-Miliz in einem südlichen Vorort von Beirut an. Die Angriffe seien mit Hilfe von Geheimdiensthinweisen erfolgt, hieß es in einer Mitteilung der Armee. Es seien Schritte unternommen worden, um möglichen Schaden an Zivilisten und Zivilistinnen zu verringern.

Armeesprecher Avihai Adraee warnte die Menschen im Libanon in einer auf Arabisch verfassten Mitteilung im Onlinedienst Telegram davor, mit Fahrzeugen in den Südlibanon zu fahren. „Zu Ihrer persönlichen Sicherheit bitten wir Sie, nicht mit Fahrzeugen vom Norden (in Gebiete) südlich des Litani zu reisen“, schrieb der Armeesprecher. Der Fluss Litani markiert die nördliche Grenze einer nach dem letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah 2006 vereinbarten, aber von der Hisbollah nie umgesetzten entmilitarisierten Zone.

Analyse zu israelischem Einsatz im Libanon

Über den israelischen Bodeneinsatz im Libanon gebe es bisher noch wenige Informationen, berichtet ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary. Hunderttausende Menschen seien vor den Kämpfen zwischen Israel und der Hisbollah allerdings zuletzt geflohen. Er berichtet auch von „wilden Szenen“ in Beirut.

„Militärische Sperrzone“ an der Grenze

Der Sprecher warf der Hisbollah vor, in der Region Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ zu missbrauchen. Zuvor hatte die israelische Armee mitgeteilt, dass sie in drei Grenzorten im Norden Israels eine „militärische Sperrzone“ errichtet habe. Betroffen seien die Gebiete um Metula, Misgav Am und Kfar Giladi.

Die erste Bodenoffensive seit 2006 hat den Codenamen „Pfeile des Nordens“, die israelische Armee sprach von „begrenzten“ Angriffen auf Ziele in Grenznähe und nannte diese eine unmittelbare Bedrohung für Gemeinden in Nordisrael. Unterstützung erhalten die Bodentruppen von den israelischen Luftstreitkräften und der Artillerie. Israel hatte Washington zuvor über die bevorstehenden Einsätze informiert.

Die Operation Israels hat in den Nachtstunden begonnen 60.000 Israelis sollen heim­keh­ren

Die Armee tue alles, was notwendig sei, um die Bürger Israels zu verteidigen und die Bürger Nordisraels in ihre Häuser zurückzubringen. Israel will die Rückkehr von 60.000 Israelis ermöglichen, die seit Monaten durch die Hisbollah-Angriffe aus Gebieten entlang der Grenze vertrieben wurden.

Auch nach Beginn der Bodenoperation setzte die Hisbollah-Miliz ihre Angriffe auf den Norden Israels fort. Es seien mehrere Geschoße vom Libanon aus auf das Gebiet um die Grenzstadt Metula und den Ort Avivim abgefeuert worden, teilte die israelische Armee mit. Einige seien von der Raketenabwehr abgefangen worden, andere eingeschlagen, teilweise auf offenem Feld. Die israelische Nachrichtenseite Ynet berichtete von insgesamt 15 Geschoßen.

Raketenalarm im Zentrum Israels

In Tel Aviv und anderen Städten im Zentrum Israels wurde am Dienstag Raketenalarm ausgelöst. Die israelische Armee erklärte, in Zentralisrael hätten „nach dem Abfeuern von Geschoßen aus dem Libanon“ die Sirenen geheult. Wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete, waren in Tel Aviv auch Explosionen zu hören.

Der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz hatte sich zuletzt erheblich verschärft. Seit Tagen greift das israelische Militär Ziele in dem Nachbarland an, nach eigener Darstellung unter anderem Waffenlager der Hisbollah. Der Libanon meldete Hunderte Tote und Verletzte. Am Freitag waren bei einem gezielten israelischen Luftangriff der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und weitere Hisbollah-Kommandeure getötet worden.

„Solidaritätsfront“ der Hisbollah

Auch die Hisbollah schießt seit den neu entfachten intensiven Kämpfen an manchen Tagen Hunderte Raketen auf Israel. Die Miliz hatte nach Ausbruch des Gaza-Krieges ihre „Solidaritätsfront“ eröffnet und Tausende Raketen auf Israel abgefeuert. Sie will ihre Waffen erst niederlegen, wenn der Krieg im Gazastreifen beendet wird.

Am Montag hatte sich erstmals nach der Tötung Nasrallahs die Spitze der islamistischen Miliz zu Wort gemeldet und ihre Kampfbereitschaft signalisiert. „Wir wissen, dass der Kampf lang dauern könnte, und sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet“, sagte der stellvertretende Hisbollah-Chef Naim Kassim in einer im Fernsehen übertragenen Rede. „Wenn sich Israel entscheidet, eine Bodenoffensive zu starten: Wir sind bereit.“ Wer die Hisbollah anführen soll, sagte er nicht.

Zehntausende Libanesen flohen aus ihren Dörfern und Städten. Viele harren in der Hauptstadt Beirut aus und schlafen angesichts fehlender Unterkünfte teils auch auf Matratzen an der Küstenpromenade der Mittelmeerstadt. Die jüngste Eskalation dürfte bei vielen der rund neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Landes Erinnerungen an den letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah vor 18 Jahren wecken.

USA warnen Iran vor Vergeltungsangriff

Nach dem Start der Bodeneinsätze warnten die USA den Iran vor Vergeltungsangriffen auf Israel. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin schrieb auf X nach einem Telefonat mit seinem israelischen Kollegen Joav Galant: „Ich habe erneut auf die schwerwiegenden Konsequenzen für den Iran hingewiesen, falls dieser sich zu einem direkten militärischen Angriff auf Israel entschließen sollte.“ Er habe deutlich gemacht, dass die Vereinigten Staaten das Recht Israels auf Selbstverteidigung unterstützen.

Bundesheersoldaten bleiben im Libanon

Die österreichischen UNO-Soldaten bleiben auch nach dem Start der israelischen Bodenoperation im Libanon. „Es ist derzeit überhaupt nicht daran gedacht, die Mission zu beenden“, sagte Bundesheersprecher Michael Bauer am Dienstag auf APA-Anfrage. An der Lagebeurteilung habe sich „nichts geändert“, und es werde auch keinen Alleingang Österreichs, das derzeit mit etwa 160 Soldaten im Krisenland präsent ist, geben.

Über eine mögliche Evakuierung werde im Rahmen der UNO-Truppe UNIFIL entschieden, und es gebe diesbezüglich auch schon „Szenarien“, so Bauer, der aus Sicherheitsgründen nicht näher darauf eingehen wollte. So gebe es Absprachen mit den Truppenstellernationen, die entsprechende militärische Kapazitäten zur Verfügung stellen müssten. Stationiert sind die UNIFIL-Soldaten im südlibanesischen Nakura, nahe der Mittelmeer-Küste und der israelischen Grenze.

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