USA: Erstmals Hinrichtung mit Stickstoff

27 Jan 2024

USA

Im US-Bundesstaat Alabama ist erstmals in der US-Geschichte ein zum Tode verurteilter Häftling mit Stickstoff hingerichtet worden. Der wegen Mordes verurteilte Kenneth Smith wurde am Donnerstagabend (Ortszeit) im Gefängnis der Stadt Atmore mit der umstrittenen neuen Hinrichtungsmethode getötet, wie Alabamas Justizminister Steve Marshall mitteilte. Der 58-Jährige sei um 20.25 Uhr Ortszeit für tot erklärt worden, 29 Minuten nach Beginn der Hinrichtung.

Hinrichtung stickstoffgas - Figure 1
Foto ORF

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Die Hinrichtungsmethode sei nicht nur in den USA, sondern weltweit erstmals zum Einsatz gekommen, sagte Marshall. Bei der Hinrichtung mittels Stickstoffhypoxie wird dem Häftling über eine Gesichtsmaske reiner Stickstoff zugeführt, wodurch er keinen Sauerstoff einatmen kann und stirbt.

Alabama ist einer von drei US-Bundesstaaten, die eine Hinrichtung mit Stickstoff erlauben. Bei der Exekution waren nur wenige Medienvertreter als Beobachter zugelassen, darunter eine Reporterin des regionalen Fernsehsenders WHNT. Ihr zufolge sagte Smith kurz vor seinem Tod: „Heute Abend hat Alabama die Menschheit dazu gebracht, einen Schritt zurück zu machen.“ Und weiter: „Ich gehe mit Liebe, Frieden und Licht.“

Der Justizminister von Alabama, Steve Marshall, steht hinter der Hinrichtungsmethode Hinrichtung mit Giftspritze scheiterte

Smith war zum Tode verurteilt worden, nachdem er 1988, im Alter von 22 Jahren, im Auftrag eines Pastors mit zwei Mittätern dessen Ehefrau ermordet hatte. Smith hatte im Prozess gegen sich zwar zugegeben, er sei bei der Tat anwesend gewesen. Er beteuerte aber, sich an der tödlichen Attacke selbst nicht beteiligt zu haben.

Nach einem Berufungsverfahren sahen die Geschworenen 1996 eigentlich eine lebenslange Haftstrafe für ihn vor, doch der zuständige Richter setzte sich damals darüber hinweg. Das Gesetz, das dies erlaubte, schaffte Alabama erst 2017 ab – als letzter US-Bundesstaat.

Das Todesurteil sollte 2022 mit einer Giftspritze vollstreckt werden. Damals gelang es Gefängnismitarbeitern aber nicht, einen Zugang zur Verabreichung des Giftes zu legen. Deswegen wurde Smith nun mit Stickstoff hingerichtet. Mehrere Versuche, die Hinrichtung mit juristischen Mitteln zu stoppen, waren zuvor gescheitert, unter anderem vor dem Supreme Court in Washington.

UNO: Könnte Folter gleichkommen

Smith hatte im Dezember in einem Radiointerview gesagt, er habe unglaubliche Angst vor der Hinrichtung. Er sei noch „traumatisiert“ vom 2022 gescheiterten Hinrichtungsversuch. „Alle sagen mir, dass ich leiden werde.“

Hinrichtung stickstoffgas - Figure 2
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Eine Sprecherin des UNO-Menschenrechtskommissariats (OHCHR) in Genf, Ravina Shamdasani, hatte vergangene Woche den geplanten Einsatz der „neuen und nicht getesteten“ Hinrichtungsmethode verurteilt. Das könnte gemäß internationalem Recht „Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung“ gleichkommen. Auch Aktivisten und Aktivistinnen hatten mit der gleichen Begründung versucht, die Hinrichtung abzuwenden.

Die Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey, wurde vergeblich zum Eingreifen aufgefordert

Smiths Anwälte hatten bis zuletzt versucht, die Hinrichtung zu stoppen. Doch weder die zuständigen Gerichte in Alabama noch das US-Höchstgericht waren ihren Gesuchen gefolgt. Demonstranten hatten in den vergangenen Tagen auch die Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey, aufgefordert zu intervenieren – auch das vergeblich.

Marshall: Etwas Historisches erreicht

Der Bundesstaat Alabama argumentierte in einem Gerichtsdokument, der Einsatz von Stickstoff sei „vielleicht die humanste jemals entwickelte Hinrichtungsmethode“. Stickstoff wird manchmal zum Töten von Tieren verwendet.

Erste Stickstoffhinrichtung in USA

In den USA ist erstmals ein zum Tode verurteilter Mensch mit einer neuen Stickstoffmethode hingerichtet worden. Bereits zuvor hatte es heftige Kritik daran gegeben.

Alabamas Justizminister Marshall sah die Kritik nur als Kampagne von Aktivisten und Aktivistinnen, die die Todesstrafe ablehnten und ignorierten, dass die neue Methode „human und effektiv“ sei. „Alabama hat etwas Historisches erreicht“, so Marshall. Trotz der internationalen Bemühungen von Aktivisten, das Justizsystem zu untergraben und Opfern abscheulicher Morde die ihnen zustehende Gerechtigkeit zu verweigern, biete Alabamas „bewährte Methode“ nun eine Blaupause für andere Staaten.

Borrell: Verleugnung der Menschenwürde

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drückte seitens der Europäischen Union sein tiefes Bedauern über die Exekution Smiths aus. Die EU sei entschieden gegen die Todesstrafe, die „letztlich eine Verleugnung der Menschenwürde“ sei. Hinsichtlich der Stickstoffmethode verwies Borrell am Freitag in einer Aussendung auf die Expertenmeinungen, wonach es sich um eine „außergewöhnlich grausame (…) Bestrafung“ handle.

Angehörige der Frau, die getötet worden war, hatten mit Unverständnis auf die Debatte über Smiths mögliches Leiden reagiert. Ihr Sohn sagte dem Sender WAAY vor der Hinrichtung: „Einige dieser Leute da draußen sagen, er solle nicht so leiden.“ Doch seine Mutter habe auch leiden müssen. „Sie haben einfach auf sie eingestochen – mehrere Male.“

Bevölkerung gespalten

Die USA sind eine der wenigen Industrienationen, die noch Menschen hinrichten. Im vergangenen Jahr wurden in dem Land 24 Todesurteile vollstreckt, allesamt mit Giftspritzen. 1999 war in den USA das bisher letzte Mal ein Häftling mit Gas hingerichtet worden. Damals wurde Hydrogenzyanid, auch bekannt als Zyanwasserstoff oder Blausäure, eingesetzt.

Die Todesstrafe ist in den USA umstritten. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup stehen 53 Prozent der US-Bürger hinter der Todesstrafe für verurteilte Mörder. Das ist der niedrigste Wert seit dem Jahr 1972.

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