„Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“: Tolkin-Film über ...
Geschichte war viele Jahrhunderte lang die Geschichte großer Männer. Sie zeichneten sich in Schlachten aus, saßen breitbeinig auf dem Thron, manche waren weise, andere brutal. Frauen waren Trophäen für die Heiratspolitik oder mussten sich schön anziehen, um bei Schwertkämpfen zur Zierde zu gereichen. Heute, da sich das Bild von den früheren Epochen zunehmend mit einem Großmythos von einem sehr langen Mittelalter vor der urkundlichen Geschichte vermischt, bekommen auch Frauen eine neue Bedeutung. Sie werden dazugeschrieben, ihr erzählerischer Rang kommt aus einem Bedürfnis nach Revision.
Hera ist die Herrin von Rohan
Selten wurde dies deutlicher als in dem neuen Animationsfilm „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ von Kenji Kamiyama. Er beginnt mit Bildern einer perfekten Landschaft, das grüne, sanft felsige Rohan, das „Pferdeland“, das im Süden eine Schlucht namens Helms Klamm hat, wie alle Fans von J. R. R. Tolkiens Büchern wissen. In dieser Gegend ist ein Mädchen unterwegs, hoch zu Ross, begleitet von der Stimme einer Erzählerin, die mit Adjektiven nur so um sich wirft: „carefree“, „wayward“ ist diese Hera, ein Muster an Unbändigkeit und Freigeisterei.
Wie sie am Ende dieser Sequenz auf einem hohen Stein steht und über die Lande blickt, sieht sie stark aus wie eine Herrscherin. Und das ist sie in gewisser Weise auch: Hera ist die Herrin von Rohan. Es gibt nur ein Problem: „there is no tale“. Niemand hat jemals ihre Geschichte erzählt.
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Der Film „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ ist dann in erster Linie eine Widerlegung dieser selbst aufgestellten Prämisse. Die Stimme wird auch allen geläufig sein, die mit der dreiteiligen Verfilmung von „Der Herr der Ringe“ durch Peter Jackson vertraut sind: Miranda Otto ist Eowyn, eine Schildmaid aus Rohan, eine Reiterin und Kämpferin also, die hier eine Vorfahrin bekommt.
Prähistorie nach Wunsch und Mode
Dass man den Namen Hera (im griechischen Mythos die Frau des Göttervaters Zeus) hier auch deutlich als eine Feminisierung des Wortes „heros“ oder englisch „hero“ (Held) lesen kann, ist Programm. Denn in den Andeutungen von Tolkien, durch die sich „Die Schlacht der Rohirrim“ legitimiert, heißt der Held Helm Hammerhand, und er ist selbstverständlich männlich. Hera ist die Figur, die hinter dieser vorherrschenden Version der Geschichte zu entdecken ist. Sie wurde, so müssen wir das zu Ende denken, das Opfer einer Verdrängung. So gibt sich ein sehr heutiges Unterfangen, nämlich Anbauten an einem Erzählkörper vorzunehmen, einen Anschein von Archäologie: Man muss nur ein wenig am Stoff herumpinseln, und schon taucht ein Figürchen auf, das genau ins Konzept passt. Inmitten einer Fülle von Epen sind wir unvermutet wieder ungefähr dort, wo Europa mit den Gesängen von Ossian schon einmal war – in einer Prähistorie nach Wunsch und Mode.
Die Entscheidung, das Drehbuch zu „Die Schlacht der Rohirrim“ in die Hände von Animationskünstlern zu geben, erweist sich dabei als klug. Denn das Prequel, also eine „Vorsetzung“ statt einer Fortsetzung, muss ja nicht nur zu der zentralen Trilogie ein Verhältnis entwickeln, sondern auch zu der Serie „Die Ringe der Macht“, die bei dem Streamer Amazon Prime zu den größten Investitionen gehört – und bisher nicht unbedingt auf Begeisterung gestoßen ist.
Da macht es Sinn, mit einer neuen und unbekannten Figur wie Hera ein wenig Druck herauszunehmen und mit der Form eines Animationsfilms daran zu erinnern, dass der erste Versuch einer Adaption von Tolkiens Büchern auch ein Zeichentrickfilm war. Gleichzeitig unternimmt Kenji Kamiyama (der mit einer Vorlage eines vierköpfigen Drehbuchteams arbeitet) zwei weitere Brückenschläge: zu „Game of Thrones“ mit der Vorgeschichte „House of the Dragon“ und zu den Phantasie- und Fabelwesen des japanischen Animationsstudios Ghibli, dem er selbst nicht angehörte, an das er sich nun aber deutlich hält.
Hera benötigt für ihre Mission, ihre Landsleute vor dem Verderben durch einen grausamen Herrscher zu bewahren, nämlich ein größeres Tier als ein Pferd. Sie braucht einen Totemschutz, und der muss es mit den Drachen bei den Targaryens aufnehmen. Sie findet Entsatz bei einem riesigen Adler.
Den Zwist, der in „Die Schlacht der Rohirrim“ ausgefochten werden muss, beschwört sie selbst herauf. Sie weist nämlich das Eheangebot eines jungen Mannes zurück, der eigentlich durchaus dem Ideal entspricht, wie es in der Welt der Animes propagiert wird. Wulf ist aber eine finstere Variante der geradnasigen, mit Pierre-Brice-Haar gesegneten Schönlinge. Und er hat nicht eine Andeutung von Verständnis für Heras Motive. Die will nämlich keinen anderen, sie will gar nicht heiraten.
Androgyn oder nicht binär, das ist die Frage
Nahe steht ihr eigentlich nur Olwyn, eine Figur, die von der Stimme her weiblich ist, von der Anmutung her aber vor allem androgyn oder nicht binär. „Die Schlacht der Rohirrim“ wird also, wiewohl in gar nicht so grauer Vorzeit angesiedelt, auch um Ideale geschlagen, die deutlich 21. Jahrhundert sind.
Lässt man die vielen Implikationen einmal beiseite, für die sich das angestrebte jugendliche Publikum nur am Rande interessieren wird, dann ist „Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim“ eine gelungene Erinnerung daran, was Zeichentrickfilme in der Frühzeit des Fernsehens einmal waren. Nämlich eben tatsächlich sagenhafte Exkurse in Welten, die nicht unter dem Druck der Mimesis stehen und in denen es keine Spezialeffekte brauchte, weil jede Linie, jede Farbfläche auf dem Papier, auf dem diese Filme damals ja noch entstanden, buchstäblich frei war. In einem Comicheft der Reihe „Silberpfeil“ gab es seinerzeit einmal einen Kurzauftritt von Winnetou und Old Shatterhand, ein radikaler intertextueller Moment, der selbst ein nichts ahnendes Kind über die Maßen verblüffen konnte.
Helm Hammerhand ist der Old Shatterhand des Sagenkosmos, der von J. R. R. Tolkien in die heutigen digitalen Medienuniversen führt. Dass nun in „Die Schlacht der Rohirrim“ plötzlich ein Samwell Tarly aus „Game of Thrones“ auftaucht, ist auszuschließen, aber es gibt eine Nebenfigur, die deutlich auf ihn gemünzt ist. Und insgesamt teilt sich etwas von der Fabulierlust mit, die man tatsächlich nur als Kind unbefangen genießen konnte. So sehr sie heute von strategischen Konzepten in der Geopolitik der Streamer und Unterhaltungskonzerne durchzogen ist, bereitet die „tale“ von Hera doch auf diese Weise Freude. Als sie schließlich in einer besonders dunklen Stunde auf eine Gattung stößt, die Orks heißt, und kurz einen Blick auf einen Ring werfen kann, hat „Die Schlacht der Rohirrim“ seine Schuldigkeit im Zyklus getan.
Er ist nun ein Glied in einer Kette, die zugleich ein Teppich ist. Und kann sich doch auch ein wenig behaupten als ein Film, der für sich selbst steht. Eine „Geschichte“ inmitten vieler ähnlicher, mit einer schematischen Heldin in einer trotzdem faszinierenden Welt.