„Jahrhundertfund“: Wie ein US-Forscher Kleist-Briefe in Innsbrucker ...

3 Stunden vor
Heinrich von Kleist

In einer Obstkiste entdeckte ein Germanist von den USA aus fünf Briefe von Heinrich von Kleist. Er schrieb sie nicht lange vor seinem Suizid. Sie könnten helfen, die Anfänge des europäischen Nationalismus zu verstehen.

Funde wie diesen dürfte es wohl nicht mehr allzu oft geben. Denn wer hat noch die Zeit und Energie, Kontakte, Leben und Reisen historischer Personen nachzuzeichnen und dann in Archiven zu graben? Ein Mann, der dies tat und damit nun mit 87 Jahren noch einmal sehr erfolgreich war, ist der Germanist Hermann F. Weiss, der in den USA lebt. Für die Literaturwissenschaft ist es ein „Jahrhundertfund“, was er da in einer Obstkiste entdeckt hat.

Weiss fand die Briefe von seinem Häuschen in der US-Kleinstadt Dexter in Michigan aus. Er ist schon lange pensioniert, suchte aber immer weiter in Archiven – und schrieb lange bittende Mails und Briefe. Er kennt Kleists Leben genau, weiß, wann der Autor wo war. Und damit auch, wo es Briefe geben könnte, in welchem Nachlass sie gelandet sein könnten. Briefnachlässe liegen in Archiven nicht selten als lose Bündel herum – solange sie nicht geordnet werden, erreichen sie auch die Forschung nicht.

In Kiste 142 – insgesamt handelte es sich um 289 – entdeckte er so in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums fünf bisher unbekannte Briefe des deutschen Dichters Heinrich von Kleist. Seit 2007 befand sich darin der umfangreiche Teilnachlass des österreichischen Diplomaten Joseph von Buol-Berenberg. Eines Mannes, den man heute kaum mehr kennt, der aber mit Kleist eng befreundet war. Weiss vermutete, dass der Briefverkehr mit Buol noch existieren müsse. Und belästigte so lange den Bibliothekar im Tiroler Landesmuseum, bis der die Kisten durchsuchte. Und schließlich mailte, er habe da etwas gefunden. In Kiste 142 sei das Briefbündel eines Fürsten. Und darin ein Brief Heinrich von Kleists enthalten.

Briefe zeigen Nationalismus

„Die neuen Briefe helfen uns, die Anfänge des europäischen Nationalismus zu verstehen“, sagt Weiss gegenüber der „Zeit“, die ihn in den Vereinigten Staaten besucht hat. Kleist habe sich beim Blick auf die Schlachtfelder politisch radikalisiert, und eben das würden die Briefe zeigen. Es handle sich um den größten Fund an Kleist-Autografen seit über 100 Jahren, heißt es von der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft aus Berlin.

„Das waren die aufregendsten Wochen meines Forscherlebens“, sagte Weiss am Donnerstag bei einer Pressekonferenz der Tiroler Landesmuseen. Es sei schlicht „großartig, so etwas Vergrabenes zu finden“. Und: „Ich habe mich wie ein Literatur-Detektiv gefühlt“, beschrieb der Literaturwissenschaftler, der schon vor rund zwei Jahren auf die Landesmuseen zugekommen war, seine Gefühle während seiner Entdeckungsreise, die schließlich zur „Krönung meines wissenschaftlichen Schaffens führte“.

Roland Sila, Leiter der Landesmuseum-Bibliothek, beschrieb die „skurrilen Umstände im Jahr 2007“, unter denen der Teilnachlass damals in die Landeshauptstadt und in seine Hände kam. „Ich wurde ursprünglich wegen eines anderen Nachlasses nach Südtirol gerufen“, berichtete er. In „289 Obstkisten in einem Keller“ hätten sich aber schließlich „mehrere Tausend Dokumente befunden“, bei denen ad hoc klar gewesen sei, dass sie „von großem Interesse sind“.

Wenige Monate vor dem Suizid geschrieben

Diese Einschätzung von Sila bestätigte sich schließlich spätestens mit der aufgenommenen Forschungstätigkeit von Weiss. Die Briefe stammen aus den Jahren 1809 und 1810 und somit dem späten Leben Kleists. 1811 beging er Suizid, gemeinsam mit seiner schwerkranken Freundin Henriette Vogel. Er erschoss erst sie, mit ihrem Einverständnis, dann sich selbst.

Die Briefe sind direkt an den österreichischen Diplomaten Joseph von Buol-Berenberg gerichtet. Buol war Zentrum eines Kreises von patriotisch gesinnten Personen, die auf einen Kriegseintritt Preußens gegen Napoleon drängten. In einem Brief beklagt Kleist etwa, dass es „keine Rettung für Deutschland“ und keine „Hoffnung für die Publikation seiner politischen Schriften“ mehr gebe. Der fünfte und letzte Brief bleibt rätselhaft: Kleist berichtet darin von den Folgen eines nicht näher bestimmten gescheiterten Projektes, das ihn nach Frankfurt am Main führte. (red.)

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