Ostdeutschlands staubigster Ort: Heilige Barbara achtet auch auf ...

7 Stunden vor

Seit fast 800 Jahren wird in Rüdersdorf Kalkstein abgebaut und zu Baustoffen verarbeitet. Viele Wahrzeichen in Berlin - wie das Fundament des Brandenburger Tores oder das Olympiastadion - sind mit Rüdersdorfer Kalkstein errichtet worden. Bernd Pabel kennt sich aus, er ist Bergmann und erzählt ntv.de davon.

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Bernd Pabel steht mit seiner schmucken Bergmannsuniform vor dem Eingang des Heinitz-Tunnels in Rüdersdorf. Hier im 15.000-Einwohner-Ort südöstlich von Berlin wurde er im März 1959 geboren. Seine Eltern kamen als vertriebene Schlesier nach dem Zweiten Weltkrieg nach Rüdersdorf. Sein Vater war nach der Kriegsgefangenschaft in der Verwaltung des VEB Zementwerk als Controller tätig. Und auch seine Mutter arbeitete hier beim größten Arbeitgeber im Ort.

(Foto: R. Thiede)

Seit fast 800 Jahren wird in Rüdersdorf Kalkstein abgebaut und zu Baustoffen verarbeitet. Viele Wahrzeichen in Berlin - wie das Fundament des Brandenburger Tores oder das Olympiastadion - sind mit Rüdersdorfer Kalkstein errichtet worden. Die industrielle Zementproduktion begann 1885. Zu DDR-Zeiten nannte man Rüdersdorf den staubigsten Ort in Ostdeutschland. Im Zementwerk arbeiteten damals 3500 Menschen, "aktuell sind es noch 230", erzählt Pabel. "Früher hatten wir hier drei Zementwerke, heute gibt es nur noch eines, welches aber dieselbe Menge, wie damals zu Zeiten der sozialistischen Planwirtschaft, produziert". Das trifft ebenso auf die Förderung von 3,5 Millionen Tonnen des Kalksteins zu. "Heute natürlich mit viel weniger Arbeitern und modernster Technik, wie einem der größten Bagger Europas und Tiefladern, die 100 Tonnen transportieren können".

Das "Wir" ist geblieben

Pabel war mehr als vier Jahrzehnte im Zementwerk beschäftigt und mehr als 20 Jahre im Kirchenvorstand der Gemeinde in Rüdersdorf engagiert. Aufgewachsen ist er mit seiner Zwillingsschwester und zwei Brüdern in einem der typischen weiß-grauen Kalksteinbauten der Bergarbeiter. Alle Kinder wurden in der katholischen Kirche Heilige Familie in Rüdersdorf getauft, hatten hier ihre Erstkommunion und Firmung. Bis zum 18. Lebensjahr war er dort auch Ministrant.

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Glück auf - das sollte überall gelten.

(Foto: R. Thiede)

In Rüdersdorf lernte er 1975 am Kalksee seine Frau Sabine beim Fasching des Rudervereins kennen, drei Jahre später waren sie verheiratet. In Rüdersdorf kamen seine drei Kinder zur Welt. Gelernt hat Pabel Mitte der 70er-Jahre "Instandhalter" - was heute dem Berufsbild eines Industriemechanikers entspricht. Nach seiner 18-monatigen Wehrpflicht in der NVA kehrte er ins Zementwerk zurück. Er absolvierte Weiterbildungen als Schweißer und Hydraulikmonteur, arbeitete nach Fortbildungen auf der Abendschule und ab Mitte der 80er Jahre als KFZ-Mechaniker, bevor er 1987 Werkstattleiter wurde. Später machte er noch seinen Meister.

Obwohl Pabel mittlerweile im Ruhestand ist, spricht er immer noch von "wir", wenn er über seinen früheren Arbeitgeber berichtet. "Wir haben hier Kalkstein noch bis zum Jahr 2062 - laut Betriebsplan. Dann werden langsam die Pumpen abgeschaltet und es entsteht bis 2082 ein großer See, wo dann Segelboote fahren werden".

Aktuell gibt es "nur noch zehn richtige Bergleute, die unter Tage arbeiten", erklärt Pabel, der seit zwei Jahren Vorstand des Bergmannsvereins ist. Stolz präsentiert er die alten Maschinen und Loren im unterirdischen Tunnel, die heute die Räume des Vereins sind. "Nicht alle, die bei uns im Verein sind, waren auch unten im Bergbau tätig". Neben einigen älteren Bergleuten sind auch Glaser, Tischler oder Autohausbesitzer im Bergbauverein Rüdersdorf. Sein acht Jahre älterer Bruder, der schon vor einigen Jahren an Krebs verstorben ist, war Schichtleiter im Tagebau. Über ihn kam Pabel vor zwei Jahrzehnten in den Bergbauverein.

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Heilige Barbara, Schutzpatronin der Bergleute

Jedes Mitglied trägt bei besonderen Anlässen, wie für die Bergparaden, eine maßgefertigte Bergmannsuniform. "Meine hat knapp 800 Euro gekostet", sagt Pabel. "Die 28 goldenen Knöpfe sind die Lebensjahre der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute. Die Kordeln an den Ärmeln symbolisieren die Zündschnüre für die Sprengungen". Unter dem Jackett wird ein weißes Hemd mit schwarzem Schlips mit den Symbolen von Schlägel und Eisen getragen, die sich auch auf den Schultern befinden. Zur Uniform gehört der schwarz-weiße, federgeschmückte Schachthut. Es sind echte Schwanenfedern, die in Preußen immer Schwarz und Weiß waren - im Unterschied zu Thüringen mit den Farben Gelb und Grün oder in Sachsen mit Gelb und Blau. Wenn es dorthin geht oder sie ins Ruhrgebiet reisen, dann natürlich mit Bergkapelle sowie Vereinsfahne. Pabel erläutert: "Die Federn sind nicht nur Schmuck, sondern sie wurden ursprünglich zum Säubern der Bohrlöcher genutzt. Manche von uns tragen zusätzlich einen Säbel oder Prunkschlägel".

Pabel ist Bergmannsvereinsvorsitzender mit Leib und Seele. An seiner Jacke präsentiert er stolz einige Abzeichen: Eines zeigt eine kleine Bergmannslampe, ein weiteres ist vom Landesverband Brandenburg, das nächste vom Deutschen Bergmannstag. Zudem ist auf dem schwarzen Jackett ein Abzeichen mit der Heiligen Barbara sowie eine Madonna von Lourdes zu sehen.

Auf ihre Paradeuniformen sind die Bergleute stolz. "Wenn man es sich wünscht, wird man nach seinem Tod damit aufgebahrt. Zudem sind wir mit unserer Uniform bei jeder Beerdigung dabei, wenn jemand aus dem Verein stirbt. Das gehört sich so", sagt Pabel. In Rüdersdorf selbst kann man Pabel und seine 66 Vereinskameradinnen und -kameraden jedes Jahr am ersten Wochenende im Juli beim Bergfest in voller Aktion beobachten, beim bergmännischen Zapfenstreich, dem Aufzug mit Geleucht, dem ökumenischen Gottesdienst am Sonntag sowie am Abend beim Feuerwerk. "Noch vor einigen Jahren waren der evangelische und der katholische Ortspfarrer sogar bei uns Mitglieder. Das hat vieles bei der Organisation von Festen erleichtert", bedauert Pabel den Status quo.

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Mit Blick auf die Kirche ist Pabel nicht nur voll des Lobes. "Man kann ein guter Christ sein, aber man muss nicht alles akzeptieren, was hier läuft", sagt er, der viele Jahre engagiert im Kirchenvorstand mitwirkte sowie als Küster mithalf. "Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn die Kirchen immer leerer werden", sagt er zu den nicht enden wollenden Meldungen zu Missbrauchsskandalen durch Geistliche an Kindern. Zudem stört ihn die Arroganz einiger Kirchenfürsten oder auch der Umbau der Berliner Kathedrale, "die mir gar nicht gefällt und mich sprachlos macht".

Loks, Pumpen und historische Fotos

Bevor die Bergleute unter Tage gingen, versammelten sie sich noch im letzten Jahrhundert im Bethaus zu einer kleinen Andacht, "weil die Arbeit im Bruch, zum Beispiel durch Sprengungen, auch gefährlich war und niemand wusste, ob er am Abend wieder gesund nach Hause kommt". Die Glocke aus dem frühen 19. Jahrhundert aus dem alten Bethaus, das längst abgerissen wurde, befindet sich heute im Besitz seines Vereins. Neben Loks, Pumpen und Bohrern sind in Schaukästen viele Dinge mit Bezug zum Bergbau zu sehen, wie: historische Fotos von Obersteigern, Paraden, Froschlampen, Häckel, Steigerstöcke und historische Schlägel. Aber auch Uniformen aus der Kaiserzeit und dem Dritten Reich, zudem viele Steine und Funde aus dem Tagebau, von Muscheln über Kopffüssler bis zu kleinen Insekten, die in den Steinen eingeschlossen sind. Regelmäßig kommen Schülerinnen und Schüler an ihren Wandertagen zu Exkursionen und geologischen Führungen hierher, um unter fachkundiger Führung Fossilien zu suchen und sich die Geschichte des Rüdersdorfer Bergbaus erklären zu lassen. Der Museumspark Rüdersdorf mit einer Fläche von 17 ha bietet als Freilichtmuseum ideale Einblicke in die bewegte Industrie- und Bergbaugeschichte des Ortes. Hier ergänzen sich die kommunalen musealen Angebote und die des Bergbauvereins auf ideale Weise.

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Im Vereinsheim.

Das Vereinshaus selbst ist im Prinzip ein alter Kanal, der noch auf Friedrich Anton von Heynitz (1725-1802) zurückgeht, dem Gründer der Freiberger Bergakademie in Sachsen und späteren Reformer des Berg- und Hüttenwesens in Preußen. "Heynitz brachte hier in Rüdersdorf eine Bergordnung rein", berichtet Pabel und verweist auf einen bronzenen Adler, der früher beim Bergamt Rüdersdorf auf einem Sockel stand. Als die Russen 1945 im Zweiten Weltkrieg auf Berlin marschierten, schlugen sie den Adler entzwei und warfen ihn in den Heynitz-See. Seine Teile konnten später geborgen werden. Vereinsmitglieder besserten ihn aus und heute gehört er zur kleinen Dauerausstellung des seit 1990 existierenden Bergvereins in Rüdersdorf.

Pabel hat zu jedem Exponat eine Anekdote parat und kennt jeden Handwerker, der hier mitgeholfen hat. Und so könnte es weitergehen, wenn Bernd Pabel über das Gestein des Jahres, Kumpels, Hunde und Ratten unter Tage, schlechtes Wetter, "weg vom Fenster" oder Deputat-Schnaps für 80 Ostpfennige seine Geschichten erzählt.

Übrigens: Es gibt feste Tage, an denen man Pabel und seine Vereinsmitglieder im Heinitz-Tunnel in Rüdersdorf besuchen kann, zum Beispiel im Mai zum Museumstag, beim Bergfest im Juli oder zum Tag des "Offenen Denkmals" im September. Oder man fragt hier direkt nach, dann bekommt man eine private Führung, vielleicht sogar aus Anlass eines runden Geburtstages oder einer Hochzeit, denn die Vereinsräume kann man auch mieten. Fakt ist: Jeder, der in den Heinitz-Tunnel hineingeht, kommt garantiert klüger wieder hinaus.

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