Attentate auf Trump oder Harris: Politische Krisenvorsorge

Was würde passieren, wenn Trump oder Harris umgebracht würden?

In den USA gibt es Vorgaben für den Fall, dass ein Präsidentschaftskandidat stirbt. Was sich hingegen nicht planen lässt, ist das Verhalten der Bevölkerung. Insbesondere im Falle eines tödlichen Attentats auf Trump rechnen Experten mit dem Schlimmsten.

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Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Ein Wachturm des Secret Service beim Eingang von Trumps Mar-a-Lago-Klub in West Palm Beach, Florida.

Cristobal Herrera-Ulashkevich / EPA

Nachdem innerhalb kurzer Zeit zwei Anschläge auf Donald Trump vereitelt werden konnten, stellt sich die Frage, was eigentlich passiert, wenn tatsächlich ein Präsidentschaftskandidat umgebracht würde. Abgesehen von Spekulationen, ob es zu Unruhen oder sogar bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen könnte, gibt es nämlich durchaus Vorgaben, was politisch in so einem Fall passieren müsste.

Vance würde nicht automatisch nachrücken

Im konkreten Fall eines Todes zwischen Parteitag und Wahl ist es nicht so, dass automatisch der «Running Mate» nachrücken würde. Weder ist JD Vance für Trump noch Tim Walz für Harris als Nachfolger gesetzt. Stattdessen müsste das jeweilige «National Committee» der Partei nochmals einen Parteitag durchführen oder selbst einen Nachfolger bestimmen. Beim Committee handelt es sich um das höchste Organisationsgremium, das sich aus Vertretern aus allen Gliedstaaten zusammensetzt.

Im Fall von Trump könnte das Komitee Vance bestimmen, aber auch einen der früheren Bewerber wie Ron DeSantis, Nikki Haley oder Vivek Ramaswamy. Im Falle von Harris wäre die Situation etwas schwieriger, weil es keine Vorwahlen gab, aber die Favoriten wären wahrscheinlich dieselben Personen, die schon nach dem Rückzug von Joe Biden aus dem Wahlkampf diskutiert wurden, also Gavin Newsom, Gretchen Whitmer, Josh Shapiro oder J. B. Pritzker.

Etwas komplizierter wäre es laut dem Think-Tank Brookings Institution, wenn der gewählte Präsident zwischen dem Wahltag und der Amtseinsetzung stürbe oder für unfähig erklärt würde. Ein entscheidendes Datum ist hierbei das Treffen des Electoral College, also der Wahlleute, Mitte Dezember. Bis zu diesem Zeitpunkt wären es vor allem die Elektoren, denen Entscheidungsgewalt zukäme. Danach, bis zum Amtsantritt und darüber hinaus, wird es wieder einfacher: Dann wäre es im Falle eines Falles einfach der gewählte Vizepräsident, der nachrückt.

Zahlreiche Attentate im Laufe der Geschichte

Die Geschichte der USA ist voll von politischer Gewalt. Es gab kaum einen Präsidenten, auf den nicht ein Attentat verübt oder geplant wurde. Präsident Abraham Lincoln wurde am 14. April 1865 angeschossen und starb am folgenden Tag. Noch berühmter ist das Attentat auf den Präsidenten John F. Kennedy am 22. November 1963. Einige Jahre später, am 6. Juni 1968, wurde dessen jüngerer Bruder Robert Kennedy während der demokratischen Vorwahlen in Los Angeles erschossen.

Vergleichbar mit den beiden Anschlägen auf Trump ist das Attentat am 14. Oktober 1912 auf Theodore Roosevelt. Der frühere Präsident war auf Wahlkampftournee für eine zweite Amtszeit, als er während einer Rede in Milwaukee angeschossen wurde. Aber das fünfzigseitige Manuskript für seine Ansprache in der Westentasche hatte die Kugel so abgebremst, dass er überlebte. Er beendete seine Rede, während die Kugel in seiner Brust steckte.

Das blutverschmierte Hemd von Theodore Roosevelt nach dem Attentatsversuch vom 14. Oktober 1912.

Harlingue / Roger Viollet / Getty

Dass das Democratic National Committee einen Nachfolger bestimmen musste, geschah bisher erst ein einziges Mal, und zwar im Falle von Tom Eagleton im Jahr 1972. Der damalige Senator war der Running Mate des demokratischen Präsidentschaftskandidaten George McGovern. Aber nach dem Parteitag kam heraus, dass Eagleton wegen psychischer Probleme in Behandlung war. Er wurde zum Rückzug gezwungen. McGovern wünschte sich Sargent Shriver als seinen neuen Stellvertreter. Aber zuerst musste das Democratic National Committee zusammentreten, das die Nomination Shrivers offiziell bestätigte. McGovern verlor dann gegen Richard Nixon. Dieser musste 1974 wegen des Watergate-Skandals zurücktreten. Nachfolger wurde sein Stellvertreter Gerald Ford, auf den – was weniger bekannt ist – gleich zwei Anschläge verübt wurden.

Übrigens gab es bereits 2017 Pläne für ein Attentat auf Trump. Der IS wollte den damaligen Präsidenten beim Asean-Gipfel in den Philippinen umbringen, aber das Vorhaben wurde vom Secret Service vereitelt.

Ein Attentat würde die Polarisierung verschärfen

Abgesehen vom formalen Prozedere ist die entscheidendere Frage, wie die Bevölkerung bei einem Mord an Trump oder Harris reagieren würde. Die meisten Fachleute sind sich einig, dass die Folgen katastrophal wären. Ein Attentäter mag glauben, dass der Trumpismus vorbei wäre, wenn Trump selbst beseitigt würde. Eher dürfte das Gegenteil zutreffen: Die Bewegung würde gestärkt und würde sich noch weiter radikalisieren.

Das ist auch die Ansicht von Arie Perliger von der University of Massachusetts Lowell, der seit langem zu den Ursachen und Folgen von politischen Attentaten forscht. «Wir waren einen Fingerbreit von einem potenziellen Bürgerkrieg entfernt», sagte er nach dem Mordversuch vom Wochenende. «Der Tod Trumps würde eine solche Flut von Frustration, Ressentiments, Wut und Feindschaft freisetzen wie schon seit vielen Jahren nicht mehr in den USA.» Möglicherweise wären die Folgen noch dramatischer als beim Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 oder nach dem Mord am Bürgerrechtler Martin Luther King in den politisch ebenfalls aufgeheizten Zeiten im April 1968. Bei den damaligen Unruhen kamen etwa 40 Personen ums Leben, rund 3000 wurden verletzt, über 20 000 verhaftet.

Laut Perliger bestätigten schon die zwei vereitelten Attentatsversuche das Gefühl unter Trumps Unterstützern, dass man ihn, wie bereits mit der aus ihrer Sicht «gestohlenen Wahl» von 2020, mit dem Amtsenthebungsverfahren und den unzähligen Prozessen, mit allen Mitteln von der Wahl abhalten wolle. Es sei naiv, zu glauben, Trump sei eine Art singuläres, exotisches Einhorn ohne Biotop und Kontext. Immerhin hat er etwa die Hälfte der Wähler hinter sich, und seine Ideen sind tief in die Republikanische Partei eingedrungen. Die Radikalisierung der Republikaner, sagt Perliger, habe schon lange vor Trump – etwa im Jahr 2008 mit der Tea-Party-Bewegung – begonnen, und werde auch nach seinem Abgang nicht einfach enden. Mit anderen Worten: Auch aus Sicht der Trump-Gegner wäre ein Trump-Mord fatal und würde die Polarisierung nur noch weiter anheizen.

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