Industrieller und Ex-Finanzminister Hannes Androsch ist gestorben

4 Stunden vor

Hannes Androsch, Schlüsselpolitiker der Siebziger- und Achtzigerjahre, hochgelobter Ziehsohn und ausersehener Thronfolger Bruno Kreiskys, von diesem danach aus Hass in den Abgrund gestoßen, ist tot. Er wurde 87 Jahre alt.

Der Mann war ein politisches Wunderkind und danach millionenschwerer Investor – als einfaches Floridsdorfer SPÖ-Mitglied. Er litt unter dem intellektuellen Abstieg seiner Partei mehr, als er öffentlich zugab. Zeitlebens ein „Rechter“ in der österreichischen Sozialdemokratie, stand er schon als VSStÖ-Funktionär der Sechzigerjahre im ideologischen Gegensatz zum „linken“ Heinz Fischer. Beide hätten sie das Zeug gehabt, Partei- und Regierungschef zu werden.

Hannes Androsch bei einem Interview mit der Presse 2023

Hannes Androsch bei einem Interview mit der Presse 2023 Clemens Fabry

Ob Fischer der versäumten Gelegenheit nachtrauert, geballte Macht in Händen zu halten, weiß niemand. Bei Androsch wusste man’s, spürte es bei jedem Gespräch. Darüber halfen die fettesten Profite seiner zahllosen Firmenbeteiligungen nicht hinweg. Seinen Ex-Sekretär, der es statt ihm bis zum Regierungschef brachte – Franz Vranitzky – bezeichnete er ingrimmig nur als „der Herr, der glaubte, Bundeskanzler gewesen zu sein.“

Seine Kindheit

Kindheitserlebnisse prägen sich besonders stark ein. Die Familie war kurz vor Kriegsende 1945 zu Verwandten nach Südmähren geflüchtet. An einem Junitag dieses Jahres mussten alle deutschen Bewohner ihr Dorf verlassen. „Sie gingen in ihrem schwarzen
Sonntagsstaat“, erzählte Androsch. Zum Abschied von der Heimat knieten Onkel und Tante nieder und küssten den Türstaffel ihres Hauses. Die Österreicher durften noch zwei Tage bleiben.

Lia Androsch stellte ihren sechsjährigen Sohn Hannes zum Fenster: „Schau dir an, was hier passiert. Das darfst du dein ganzes Leben nicht vergessen!“ Der Sohn hat sich dran gehalten. Österreichs wechselvolle Geschichte wurde ihm von Jahr zu Jahr wichtiger. Und er gab Geld für Erinnerungskultur. Viel Geld. 

Jüngster Finanzminister der 2. Republik

Die Floridsdorfer Steuerberatungskanzlei „Consultatio“, die ihm Ende der Achtzigerjahre politisch das Rückgrat brechen sollte, hat er von den Eltern übernommen. Einfache Leute. Die schickten den ältesten Sohn auf die Hochschule für Welthandel, wo er 1959 sein Diplom machte, dann die Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterkonzession erwarb und zehn Jahre später das Doktorat.

Hannes Androsch im Juni 1977

Hannes Androsch im Juni 1977 Ullstein BildRudolf Dietrich/ullstein bild via Getty Images

Da war er schon SPÖ-Abgeordneter und hatte in den „sozialistischen Uradel“ eingeheiratet. Seine Ehefrau Brigitte, mit der er beim Studium bekannt wurde, ist eine Großnichte des Bundespräsidenten Adolf Schärf. Ihr Vater Paul war Generaldirektor der „Wiener Städtischen“.

Und dennoch: Jüngster Finanzminister in der 2. Republik – mit 33 – wurde er nur durch die Absagen der eigentlichen Favoriten: Sowohl der steirische SPÖ-Chef Schachner-Blazizek als auch Wiens Vizebürgermeister Felix Slavik verweigerten sich Bruno Kreisky, als dieser seine erste SP-Alleinregierung 1970 zu bilden hatte.

Politischer Ziehsohn von Kreisky

Kreisky war trotzdem stolz auf seine „dritte Wahl“. Der „Sonnenkönig“ und sein politischer Ziehsohn waren lange Jahre ein unschlagbares Doppel. Sie drückten den Siebzigerjahren ihren Stempel auf – bis sich die beiden „Alphatiere“ voneinander entfernten.

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In der Geschichte gibt es nur ein vergleichbares Ereignis, das die SPÖ ebenso erschütterte wie der Bruch zwischen Kreisky und Androsch. Das war der ebenso brutale Sturz des Franz Olah im Jahr 1964. „Ein Tröpflein Gift“ sei der Anbeginn des Misstrauens, lässt Grillparzer seinen König Ottokar sagen.

So klein begann er auch hier: 1974 wollten die „Kronprinzen“ Leopold Gratz und Hannes Androsch den „Alten“ überreden, nach Franz Jonas‘ Tod als Bundespräsident zu kandidieren. Kreisky roch den Braten, schwieg dazu in der Öffentlichkeit, doch die Saat des Misstrauens war nun einmal gelegt.

Innenpolitischer Krimi

Ab Mitte der Siebzigerjahre nahm Kreisky an einer Situation Anstoß, die schon lang bestand und jedermann bekannt war: Der Finanzminister war zugleich Inhaber bzw. Teilhaber der florierenden Steuerberatungskanzlei „Consultatio“, die immer mehr Mandate
von der verstaatlichten Industrie an sich zog.

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Der Skandal um den Neubau des größten österreichischen Spitals, des Allgemeinen Krankenhauses Wien, kam noch dazu. Verhaftungen, Hausdurchsuchungen ließen die Gerüchteküche brodeln wie selten zuvor. Im Zentrum der Kabalen stand der Finanzminister, dessen beruflichen Verbindungen zu handelnden Personen in diesem innenpolitischen Krimi immer neue Munition für die Opposition lieferten.

Androsch hatte seine Kanzlei zwar seiner Familie und seinem Geschäftsführer übergeben, doch der Aufschwung der „Consultatio“  war unübersehbar. Androsch verteidigte sich: Er habe nichts damit zu tun, er könne nichts dagegen tun. Und er könne die Kanzlei nicht verkaufen, weil sie gar nicht mehr ihm gehöre.

Ablegen seiner politischen Funktion

Dazu kam der Lebensstil des smarten Genossen im Regierungsteam, seine Neubau-Villa im noblen Heurigenort Neustift am Walde – Hannes hatte es zweifelsfrei weit gebracht. All das – auch das Schwimmbad im Keller (Kreisky ließ sich bald danach auch eines
bauen) betrachtete sein väterlicher Freund argwöhnisch.

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Obwohl auch der Vorsitzende der Arbeiterpartei SPÖ einen hochherrschaftlichen Lebensstil praktizierte – unterstützt von finanziell potenten Freunden. Androsch musste Ende 1980 seine politischen Funktionen zurücklegen. Und wurde zur Creditanstalt weggelobt.

Verurteilt wegen Steuerhinterziehung

Erst in der Folge, da war Kreisky schon längst ein depressiver Ruheständler, kamen gerichtlichen Erhebungen wegen länger zurückliegender finanzieller Unklarheiten und zur Anklage wegen privater Schwarzgeldkonten Androschs. Seine Angabe, sein reicher Wahlonkel Steiner – Lebensgefährte der Mutter – habe ihm viel Geld zur Verfügung gestellt, erwies sich nicht als tragfähig: Androsch wurde nach jahrelangem Instanzenzug schließlich rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt. So musste er 1988 auch als CA-Generaldirektor gehen.

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„Zweites Leben“

Sein „zweites Leben“ sollte damit aber erst beginnen. Seine „Androsch International Consulting AIC“ leitete er von der prominentesten Adresse Wiens: Opernringhof 1. AT&S ist Europas größter Leiterplattenhersteller, sein Ex-Schwiegersohn Sommerer als Vorstandschef erwies sich als gute Wahl. Seit Androsch Fabriken in Ostasien errichtete, weitete sich auch sein Horizont. Die wirtschaftliche Entwicklung in Indien und China interessierte ihn sehr. 

Als Aufsichtsrat des Forschungszentrums Seibersdorf, einem gesponserten Lehrstuhl in Tel Aviv, mit der Errichtung der „Stiftung Hannes Androsch“ bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften war erst der Anfang gemacht. Durch seine sture Beharrlichkeit und die Freundschaft mit Herbert Krejci und Peter Weiser blieb der Regierung Schüssel eine Blamage erspart: Zum 50. Geburtstag der 2. Republik wollte sie 1995 nicht einmal eine Ausstellung auf die Füße stellen. Kein Geld!

Geschichte war dem angeblichen Feingeist Schüssel gar nicht so wichtig wie angenommen. Das Geld für die Exposition im Schloss Belvedere stellten Privatleute auf. Dann erst bequemte sich die Regierung zu einem Hälfte-Beitrag. Später hat der „Citoyen“ Androsch auch ein Bildungsvolksbegehren in die Wege geleitet, das ebenso im Sand verlief wie der Vorschlag für ein professionelles Berufsheer. Wenigstens im Forschungssektor spendet sein Geld auch heute noch Segen. 

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