1938–2024: Hannes Androsch ist tot

5 Stunden vor

1938–2024

Er ist als Kronprinz von Bruno Kreisky (SPÖ) Finanzminister und Vizekanzler gewesen, an die Spitze der Creditanstalt (CA) gewechselt, tief gefallen und zum erfolgreichen Industriellen, der über Jahrzehnte mit Kommentaren und Initiativen das Land geprägt hat, aufgestiegen. Am Mittwoch starb Hannes Androsch im Alter von 86 Jahren, wie die Androsch Privatstiftung mitteilte. „Unsere Gedanken sind bei seinen trauernden Angehörigen“, hieß es von der Stiftung.

Hannes Androsch - Figure 1
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Online seit heute, 17.30 Uhr

Kaum ein Österreicher war im vergangenen halben Jahrhundert in den Medien so omnipräsent und in der Politik so gestalterisch tätig wie Androsch. Er wurde am 18. April 1938 im „roten“ Floridsdorf geboren, auch seine Familie war politisch so geprägt. 1953 wurde er Bezirksobmann der Sozialistischen Mittelschüler, neun Jahre später stand er dem Verband Sozialistischer Student_innen in Österreich (VSStÖ) vor. Nach einem Diplomstudium an der Hochschule für Welthandel startete Androsch als Steuerberater in der Kanzlei seines Vaters und übernahm diese 1965 nach dessen Tod.

Der Kronprinz des „Sonnenkanzlers“

Schon 1963 begann er für den SPÖ-Parlamentsklub zu arbeiten, 1967 zog er in den Nationalrat ein. 1970 machte Kreisky den 32-Jährigen zum – bis dahin – jüngsten Finanzminister der Zweiten Republik. Als solcher war er Verfechter der Schilling-Hartwährungspolitik, Kritiker sahen ihn aber auch an der Wiege von Kreiskys Deficit-Spending-Politik stehen, die mit Staatsausgaben die Wirtschaft ankurbeln wollte. „Ein paar Milliarden mehr Schulden bereiten mir weniger schlaflose Nächte als hunderttausend Arbeitslose“, war Kreiskys oft zitierter Spruch.

Androsch mit Kreisky

1976 wurde Androsch Vizekanzler und galt als solcher lange als Kronprinz des „Sonnenkanzlers“. Doch das persönliche Verhältnis zwischen Kreisky und Androsch verschlechterte sich nach und nach – was Androsch selbst auf krankheitsbedingte Persönlichkeitsveränderungen Kreiskys schob, er sprach von „alttestamentarischem Hass“ des Kanzlers ihm gegenüber. 1978 kam erstmals Kritik daran auf, dass Androsch seine Steuerberatungskanzlei Consultatio als Minister weitergeführt hatte.

Hannes Androsch - Figure 2
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Bruch im Jahr 1980

Schließlich legte Kreisky 1980 ein wohl auch gegen Androsch gerichtetes Programm zur politischen Sauberkeit auf. Als dann die Kritik an ihm auch im Zusammenhang mit dem im gleichen Jahr gestarteten Untersuchungsausschuss zum AKH-Neubau wuchs, erklärte Androsch Ende 1980 seinen Rücktritt. Er schied wenig später aus dem Nationalrat aus und trat auch als SPÖ-Vizechef zurück.

Androsch in seiner Zeit als Finanzminister Tiefer Fall als Creditanstalt-Chef

Unmittelbar nach seinem Rücktritt wurde Androsch Stellvertreter von Heinrich Treichl an der Spitze der Creditanstalt, im Juli 1981 übernahm der „Rote“ die „schwarze“ Bank. Doch Androschs Zeit als CA-Chef war von gerichtlichen Auseinandersetzungen überschattet: Nach mehrjährigen Gerichtsverfahren wurde er 1988 schließlich wegen falscher Zeugenaussage vor dem AKH-Untersuchungsausschuss schuldig gesprochen und trat als CA-Generaldirektor zurück.

TV-Hinweis

In memoriam Hannes Androsch ändert ORF2 das Programm. In der ZIB1 gibt es einen Nachruf und eine Analyse zu Androschs Karriere in Politik und Wirtschaft, in der ZIB2 einen ausführlichen Nachruf. Im Anschluss zeigt ORF2 die Doku „Hannes Androsch – ein politisches Portrait“.

1993 folgte noch ein letztinstanzliches Urteil wegen Steuerhinterziehung. Androsch selbst bezeichnete die Causa gegen ihn von allem Anfang an als Beispiel für „politische Justiz“.

Hannes Androsch - Figure 3
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Aufstieg als Industrieller

Seine 2015 erschienene Autobiografie betitelte Androsch „Niemals aufgeben“ – das tat er auch in dieser Phase. Ab Ende der 1980er Jahre baute er seine Steuerberatungskanzlei zu einem Netz von Beratungs- und Wirtschaftsprüfergesellschaften aus, die er unter dem Dach Androsch International Management Consulting (A.I.C.) zusammenfasste.

1994 startete er seine Karriere als Industrieller, als er mit dem Management die marode staatliche Leiterplattenfirma AT&S kaufte und später an die Börse brachte. Der Kaufpreis war mit 90 Mio. Schilling vergleichsweise niedrig. Mit dem Handyboom wurde das Unternehmen trotz rezessionsbedingter Rückschläge zu einem technologisch führenden Leiterplattenhersteller, mit Produktionsniederlassungen in Indien und China.

Androsch mit dem damaligen SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer Zahlreiche Beteiligungen

Als er 1997 mit dem befreundeten RLB-OÖ-Chef Ludwig Scharinger die Salinen dem Staat abkaufte, wurde Androsch zum „Salzbaron“ geadelt, der gerne auch in seiner zweiten Heimat Altaussee Hof hielt. Androsch beteiligte sich in der Folge an zahlreichen weiteren Unternehmen, etwa dem Flugzeugzulieferer FACC, der BAWAG und dem Wettanbieter bwin. Andere Akquisitionsversuche – etwa der DDSG-Personenschifffahrt, von Semperit-Reifen und Lenzing – scheiterten.

Doch ganz im Sinne eines Citoyens zog sich Androsch in den vergangenen Jahren nicht aufs Altenteil zurück. 2003 wurde er Chef des Unirats der Montanuniversität Leoben. 2007 übernahm er den Aufsichtsratsvorsitz der maroden Austrian Research Centers (ARC), die er als Austrian Institute of Technology (AIT) wieder flott machte.

Hannes Androsch - Figure 4
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„Kämpfer für Bildung und Wissenschaft“

2008 wurde er zunächst stellvertretender, ab 2012 Aufsichtsratsvorsitzender der Bankenbeteiligungsholding des Bundes FIMBAG, 2010 Vorsitzender des Rats für Forschung und Technologieentwicklung (RFT) und damit „unermüdlicher Kämpfer für Bildung, Forschung und Wissenschaft“, wie ihn der Autor Peter Pelinka einmal nannte. Er war zudem Regierungskommissär für die österreichische Beteiligung an der EXPO in Schanghai und treibende Kraft des Bildungsvolksbegehrens 2011.

Androsch 2018 bei einer Pressekonferenz mit Autor Peter Pelinka und Verleger Nikolaus Brandstätter

Später gab der Vater dreier Kinder in einem wahren Stakkato Bücher heraus, deren Spektrum vom „Viva-Mayr-Kochbuch“ über Thesen zur Zukunft Österreichs („Das Ende der Bequemlichkeit“) bis zu Wendepunkten der Weltgeschichte („1848. 1918. 2018“) reichte. Auch im hohen Alter war er noch oft gefragter Gesprächspartner und Kommentator des politischen Geschehens. Androsch nahm sich nie ein Blatt vor den Mund und richtete auch der Politik bis zuletzt gerne seinen Unmut aus. Im Zuge der Coronavirus-Pandemie etwa sagte er: „Die Corona-Hilfsmaßnahmen sind weitgehend glanzvoll gescheitert“, die handelnden Politiker in Österreich seien „Ankündigungshelden“.

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