Neuaufstellung der Grünen: Nur die Jugend rebelliert

Grüne

Robert Habeck hat sich zufrieden mit dem Ausgang einer Woche zahlreicher Rücktritte, Austritte und Kandidaturen in seiner Partei geäußert. Es sei „sehr schnell und vergleichsweise geräuschlos“ gelungen, innerhalb von zwei Tagen nach dem Rücktritt der bisherigen Grünen-Parteivorsitzenden zwei Kandidaten zu finden, die Habeck im Deutschlandfunk als „außergewöhnlich starke Persönlichkeiten und eigene Köpfe“ bezeichnete. Franziska Brantner und Felix Banaszak müssten beim Grünen-Parteitag im November noch gewählt werden, aber da sei er zuversichtlich, so Habeck, der selbst bei dem Delegiertentreffen in Wiesbaden als Spitzenkandidat oder Kanzlerkandidat nominiert werden möchte. Die beiden künftigen Vorsitzenden würden eine ganz andere Haltung entwickeln, die leidenschaftlich, optimistisch nach vorne gewandt ist. Schon jetzt, sagte Habeck, schaue die Partei nicht „gramgebeugt auf das Innenleben der Ampel, sondern raus auf die Gesellschaft“.

Die beiden Politiker hatten am Freitagnachmittag ihre gemeinsame Kandidatur erklärt. Brantner, die als Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium für Habeck arbeitet, stammt aus Baden-Württemberg. Banaszak, der im Bundestag einen Wahlkreis in Duisburg vertritt, führt dort die grüne NRW-Landesgruppe und war zuvor Landesvorsitzender in NRW und davor auch einmal Vorsitzender der Grünen Jugend. Er wird dem linken Flügel der Partei zugerechnet. Die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin von 2021, sagte zur Kandidatur: „Das ist ein guter Tag für die Grünen, weil wir deutlich machen: Der Neustart, der ist gelungen, und zwar der Neustart im Team.“

Intern heißt es, Habeck habe Einfluss ausgübt

Interesse an einem Spitzenamt hat nach Agentur­angaben bei einem Treffen der Parteilinken auch der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold geäußert, der als „Politischer Geschäftsführer“ kandidieren könnte. Erwartet wird, dass für dieses Amt auch eine Frau vorgeschlagen wird. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Andreas Audretsch, ebenfalls ein Parteilinker, kündigte an, er wolle die Leitung der Kampagne zur Bundestagswahl übernehmen. Dafür hatte Habeck zuvor Brantner vorgesehen. Vorige Woche sollte sie bereits Nouripour und Lang bei der Vorauswahl der Werbeagentur begleiten.

Zu den Ereignissen an der Parteispitze sagte Habeck, der selbst als die treibende Kraft hinter den Rücktritten von Ricarda Lang und Omid Nouripour gilt, die beiden hätten „Verantwortung auf sich genommen“. Das sei nicht „frei von persönlichen Härten gewesen“, allerdings auch „wichtig und nötig“. Nouripour hatte in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ bestritten, dass Habeck ihn und Lang zum Rücktritt gedrängt habe. Nouripour sagte, er und Lang hätten nach der vierten schweren Wahlniederlage in Folge im Bundesvorstand ihrer Partei „vertieft geredet“ und seien zum Ergebnis gekommen, dass die Partei einen Neustart brauche.

Dem sechsköpfigen Gremium gehörte allerdings außer ihnen beiden und der seit Längerem kritisierten Geschäftsführerin Emily Büning niemand an, der bei den Grünen ausschlaggebenden Einfluss hat. Der wurde wohl doch von Habeck ausgeübt, wie es intern heißt.

Genugtuung über Rücktritte bei Grüner Jugend

Von Parteilinken wurde kritisiert, dass Ricarda Lang Verantwortung für die Fehler etlicher „Realos“ übernehmen musste. Sie sehen „Realos“ wie Habeck, Baerbock und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir für ein mangelndes grünes Profil in der Ampelregierung und die Aufweichung grüner Ideale verantwortlich, etwa bei Migration und Friedenspolitik. Habeck sagte zu seinem Verbleib im Amt und dem der anderen grünen Minister: „Man kann nicht beim Marathonlauf 35 Kilometer rennen und dann sagen, die letzten sieben sind zu anstrengend.“ Die Regierung müsse bis zum Ende der Legislatur „ihren Job machen“. Zum Vorhalt, er könne die alles dominierende Person in der Partei werden, Brantner nur seine Gehilfin, äußerte der Grünen-Politiker, diese Sorge sei unbegründet. Er selbst habe als Parteivorsitzender darauf gedrungen, „dass wir uns nicht nach Flügellogiken begreifen. Und das hat ja immer noch eine Wirkung.“

Unterdessen setzte sich bei der Grünen Jugend, der Nachwuchsorganisation der Partei, die Austrittswelle fort. Nach dem Bundesvorstand legten auch die Landesvorstände von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ihre Ämter nieder und verließen unter Protest gegen die grüne Sozial- und Asylpolitik die Partei. Ebenso hatten es die Vorstände in Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen gehalten.

In der Partei waren die Rücktritte des Bundvorstands der Grünen Jugend vorige Woche überwiegend mit Genugtuung quittiert worden. Eine Träne weine sie ihnen nicht nach, hatte etwa Renate Künast dem Sender rbb gesagt. Dem Verband gehören etwa 18.000 junge Grüne an. Habeck sagte, die Grüne Jugend sei eigentlich die Organisation, die junge Leute an die Politik der Partei heranführen solle. Er würde sagen: „Hat jetzt nicht so gut geklappt in der Vergangenheit.“ Aber auch da gebe es jetzt die Möglichkeit für einen Neustart, „der mehr Lust und mehr Einladung ausspricht“.

Andere in der Führung der Partei kritisierten, dass die jeweilige Parteispitze bei der Grünen Jugend zu lange eine Linksradikalisierung hingenommen habe, die den Grünen schade. So hatte die Vorsitzende Svenja Appuhn im vorigen Jahr für einen „demokratischen Sozialismus“ und eine Umverteilung großer Vermögen geworben. Die damals 25 Jahre alte Medizinstudentin hatte verlangt, die Grünen sollten sich „klarer an die Seite derjenigen schlagen, die sich selbst als arbeitende Klasse verstehen“. Ihre Aufgabe sollte es sein, angesichts der Erosion der Sozialdemokratie Wähler anzusprechen, die früher einmal SPD gewählt hätten. Das fand offenbar bei den Grünen keinen Widerhall, wo man, so wird es gedeutet, eher Wählerinnen und Wähler im Blick hat, die früher die CDU von Angela Merkel gewählt hätten.

Brantner hatte auf die Frage, ob ihre Kandidatur bedeute, dass die Grünen nun ganz auf die Habeck-Linie gingen, geantwortet: „Ich kandidiere als Franziska Brantner, und wenn ich gewählt werden würde, dann bekommen alle Franziska Brantner.“

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