„Bin nicht tapfer“: Gisele Pelicot will Gesellschaft ändern

24 Okt 2024

„Bin nicht tapfer“

Im aufsehenerregenden Prozess zu Dutzenden Vergewaltigungen unter Betäubung ist am Mittwoch das Opfer, Gisele Pelicot, in Frankreich in den Zeugenstand getreten. Erneut berichtete sie über schockierende Details der Verbrechen, die ihr angetan wurden. „Ich bin eine zerstörte Frau – und ich weiß nicht, wie ich mich selbst wieder aufraffen kann“, sagte sie. Aber es sei nicht ihre Schande, sondern die der Täter. „Ich bin nicht tapfer“, es treibe sie aber „die Entschlossenheit, die Gesellschaft zu verändern“, an.

Gisele Pelicot - Figure 1
Foto ORF

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In den vergangenen Wochen habe sie zahlreiche Ehefrauen, Mütter und Schwestern von Mittätern im Zeugenstand gehört – sie alle hätten die Angeklagten als „außergewöhnliche Männer“ gelobt, denen sie die Verbrechen nie zugetraut hätten. Sie habe genau so einen Mann zu Hause gehabt – „aber ein Vergewaltiger ist nicht jemand, den man auf einem dunklen Parkplatz trifft. Es gibt sie genauso in der Familie und im Freundeskreis.“

„So oft habe ich mir selbst gesagt, dass ich mich so glücklich schätzen kann, dich an meiner Seite zu haben“, wandte sich Pelicot an ihren Ex-Mann, der ihrer Aussage von der Anklagebank folgte. Er wäre ihr beigestanden, als sie glaubte, sie hätte neurologische Probleme – die sich im Nachhinein als Folge dessen herausstellten, dass er sie jahrelang unter Drogen gesetzt hatte. Sie habe ihm immer vorbehaltlos vertraut. „Wie kann der perfekte Mann so geworden sein? Wie kannst du mich so betrogen haben? Wie konntest du diese Fremden in mein Schlafzimmer bringen?“

„Ein Vergewaltiger ist nicht jemand, den man auf einem dunklen Parkplatz trifft“, so Pelicot am Mittwoch vor Gericht „Wir sind es nicht, die sich schämen müssen“

Die Details, die sie in den vergangenen Prozesstagen erfahren hatte, hätten auch sie zerstört – „ich weiß nicht, wie ich mich wieder aufraffen kann“. Ihr Ziel sei, ein Vorbild für andere Vergewaltigungsopfer zu werden: „Frau Pelicot hat es getan, wir können das auch.“ Vergewaltigung sei eine Schande – „aber wir sind es nicht, die sich schämen müssen“.

Wenige Stunden vor Gisele Pelicots Aussage war die Ehefrau eines Mittäters als Zeugin geladen gewesen. Als sie von seinen Taten erfahren habe, sei sie schockiert und traurig gewesen. „Aber ich glaube, weil ich ihn in dieser Zeit zurückgewiesen habe, musste er sich als Mann anderswo umsehen.“ Gisele Pelicots Anwalt Stephane Babonneau wies diese Darstellung zurück: „Für Gisele Pelicot hat es nichts damit zu tun, was passiert ist. Es ist niemals eine Verpflichtung für eine Ehefrau, mit ihrem Mann zu schlafen. Sie haben keine Verantwortung dafür, dass ihr Mann sich entschieden hat zu tun, was er getan hat.“

Gisele Pelicot - Figure 2
Foto ORF
50 Männer sind als Mittäter im Prozess angeklagt Öffentliches Verfahren als Warnung für Frauen

Die 72-jährige Pelicot ist mittlerweile zu einer feministischen Ikone in Frankreich geworden. Sie erklärte vor Gericht, sie habe sich gegen ein Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit gewandt, um den unbekannten Opfern von unter Einfluss von K.-o.-Tropfen und anderen Betäubungsmitteln verübten Vergewaltigungen ein Gesicht zu geben.

„Ich spreche für all die Frauen, die unter Drogen gesetzt werden und es nicht wissen, ich tue das im Namen all der Frauen, die es vielleicht nie wissen werden.“ Sie selbst habe durch die Verbrechen ihres Mannes „zehn Jahre meines Lebens verloren, die ich nie zurückbekommen werde“. Auch eine Anonymisierung ihres Namens lehnt Pelicot ab.

Haftstrafe von bis zu 20 Jahren droht

Ihr Ex-Mann Dominique Pelicot hatte gestanden, seine Frau über Jahre hinweg immer wieder mit Schlafmitteln betäubt und vergewaltigt zu haben. Die Ermittler fanden auf Festplatten, USB-Sticks und Computern des Hauptangeklagten fast 4.000 Fotos und Videos der Taten. Die Beamten ermittelten auf Basis der Aufnahmen insgesamt rund 200 Vergewaltigungen zwischen 2011 und 2020.

Die meisten beging ihr Ehemann, in 92 Fällen waren andere Männer die Täter, von 74 Männern konnten 54 identifiziert werden. Einer ist mittlerweile verstorben, gegen zwei andere wurden die Vorwürfe fallen gelassen. Der Angeklagte hatte die Vergewaltigung seiner Frau offen in Internetforen angeboten. Er verlangte kein Geld von den Männern, machte aber Fotos und Videos. Neben dem Ehemann müssen sich damit 50 weitere Angeklagte vor Gericht verantworten, ihnen drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren.

Mitangeklagte wiesen Vorwürfe zurück

In den vergangenen Prozesstagen hatten mehrere der Mitangeklagten den Vorwurf der Vergewaltigung zurückgewiesen. Manche erklärten, dass sie den Eindruck gehabt hätten, die Frau stelle sich bloß schlafend. Ein anderer bezeichnete sich selbst als „Opfer“ von Dominique Pelicot und betonte, aus Angst vor ihm gehandelt zu haben.

Wieder ein anderer mutmaßte, dass ihm ebenfalls Drogen eingeflößt worden seien, da er sich an nichts mehr erinnern könne. Dominique Pelicot hingegen betonte mehrfach: „Sie haben alle Bescheid gewusst.“ Im September waren vor Gericht erstmals mehrere Fotos und Videos gezeigt worden, die Dominique Pelicot selbst von den Taten angefertigt hatte. Auf seiner Festplatte fand sich ein Ordner „Missbrauch“ mit zahlreichen Unterordnern, die mit den Pseudonymen der anderen Männer beschriftet waren.

Beim ersten Mal mussten die Zuschauerinnen und Zuschauer den Saal verlassen, Journalistinnen und Journalisten konnten bleiben. Später entschied der vorsitzende Richter, dass auch die Journalisten die Bilder nicht sehen sollten. Dagegen hatten die Anwälte sowohl von Gisele als auch von Dominique Pelicot protestiert.

Eher zufällig entdeckt

Der Missbrauch war entdeckt worden, nachdem Dominique Pelicot ins Visier der Justiz geraten war, weil er in einem Einkaufszentrum Frauen unter den Rock gefilmt hatte. Die Ermittler stießen bei Durchsuchungen dann auf die Fotos und Videos.

Als Nebenkläger treten auch zwei Söhne und die Tochter des Paares auf. Die Tochter hatte weinend den Gerichtssaal verlassen, als der vorsitzende Richter schilderte, dass der Beschuldigte auch Nacktfotos seiner eigenen Tochter gespeichert hatte. Ein Urteil wird im Dezember erwartet.

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