Geständnis statt Gefängnis: Warum hat Gil Ofarim die Vorwürfe ...

Der Münchner Anwalt Alexander Stevens hatte vor Gericht das ganz große Besteck ausgepackt: Er verglich das Schicksal seines Mandanten Gil Ofarim beim Prozessauftakt vor dem Landgericht Leipzig Anfang November mit MeToo-Fällen und der biblischen ­Geschichte über eine junge Frau, die fälschlicherweise wegen Ehebruchs angeklagt wurde, weil sie sich gegen sexuelle Übergriffe gewehrt hatte.

Am Dienstag musste Stevens erklären, warum Ofarim die gegen ihn erhobenen Vorwürfe plötzlich doch eingestanden hatte. Dabei zog er gleich wieder in Zweifel, was sein Mandant selbst eingeräumt hatte: dass er einem Mitarbeiter des ­Hotels The Westin Leipzig in einem viralen Instagram-Video unberechtigterweise Antisemitismus vorgeworfen hatte. Stevens sagte „t-online“ danach, dass mit der gefundenen juristischen Wahrheit nicht zwingend die tatsächliche gefunden worden sei: „Gerade die Angst vor einer ungerechtfertigten Verurteilung kann ein maßgebliches Motiv für die Unterwerfung einer Verfahrenseinstellung sein.“

Dabei hatte das Gericht das Verfahren gegen Ofarim am Dienstag auch mit der Begründung vorläufig eingestellt, dass der Hotelmanager durch das Geständnis wirkungsvoller rehabilitiert worden sei, als es durch ein Urteil möglich gewesen wäre. Alle Zweifel seien endgültig beseitigt worden. Ofarim hatte 2021 fälschlicherweise behauptet, der Hotelmanager habe ihn auf­gefordert, seine Davidstern-Kette abzunehmen, damit er einchecken könne. Deswegen muss er jetzt insgesamt 10.000 Euro an die Jüdische Gemeinde Leipzig und an den Trägerverein des Hauses der Wannseekonferenz zahlen – und Schmerzensgeld an den Hotelmanager. Wie viel? Darüber sei auf beidseitigen Wunsch absolutes Stillschweigen vereinbart worden, sagt Stevens am Mittwoch der F.A.Z.

„Aus vielen Gründen für alle Beteiligten besser“

Wie kam es zu der Vereinbarung? Das Gericht habe im Anschluss an den vergangenen Verhandlungstermin die Verfahrensbeteiligten gebeten, gemeinsam zu prüfen, ob es eine andere Art der Verfahrensbeilegung gebe als ein Urteil, sagt Stevens. Und Staatsanwaltschaft und Gericht hätten sich bereit gezeigt, das Verfahren einzustellen – wenn Ofarim gestehe. Sonst hätte laut Stevens die Gefahr bestanden, dass der Prozess „nicht gerade glimpflich“ ausgegangen wäre. „Eine Gefängnisstrafe wäre möglich gewesen.“

Ofarim und seine Anwälte hätten deswegen ganz genau abgewogen, wie der Prozess gelaufen war und noch hätte laufen können. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass es „aus vielen Gründen für alle Beteiligten besser wäre, das zu Ende zu bringen“. Stevens behauptet, dass er für die Verteidigung noch „Trümpfe im Ärmel“ gehabt habe – sonst hätte die Gegenseite seiner Meinung nach einer Einstellung des Verfahrens auch gar nicht zugestimmt. „Ein kurzer Prozess wäre das nicht geworden“, sagt Stevens. Er habe kürzlich ­Zugang zu einem Ordner mit internen Ermittlungen bekommen, der „eine wahre Wundertüte“ für die Verteidigung gewesen sei. Allerdings gelte bei dem Vorwurf der Verleumdung oder der üblen Nach­rede faktisch eine Beweislastumkehr – der Angeklagte müsse beweisen, dass er unschuldig sei und nicht umgekehrt. „Das wird Gil Ofarim niemals gelingen.“ Er selbst könne nicht beurteilen, ob Ofarim am Dienstag die Wahrheit gesagt habe, oder es nur ein „prozesstaktisches Geständnis“ gewesen sei, sagt Stevens.

Unterläuft er mit solchen Äußerungen nicht die Vereinbarung mit dem Gericht, mit der auch der Hotelmanager rehabilitiert werden soll? Nein, das sei nur „ein allgemeiner Erklärungsversuch, warum Leute sich zu einem Geständnis auch genötigt sehen können“, sagt Stevens. Aus juristischer Sicht sei die Einstellung des Verfahrens jedenfalls „ein voller Erfolg“. Ofarim sei nicht vorbestraft. „Es ist, als hätte es dieses Verfahren nie gegeben.“

Noch offen, wer Kosten des Verfahrens trägt

Zahlt Ofarim innerhalb eines halben Jahres die 10.000 Euro, wird das Verfahren endgültig eingestellt. Erst dann wird laut einem Gerichtssprecher entschieden, wer die Kosten des Verfahrens trägt. Das Westin Hotel Leipzig reagierte am Mittwoch nicht auf eine Anfrage, ob man vorhabe, gegen Ofarim noch zivilrechtlich vor­zugehen. Während der beschuldigte Mitarbeiter das als Nebenkläger im Zuge der Vereinbarung mit Ofarim wahrscheinlich ausgeschlossen hat, war das Hotel laut dem Gerichtssprecher „in keiner Weise Verfahrensbeteiligter“.

Der Vorsitzende Richter sagte, dass Ofarim mit der Entschuldigung auch seinen eigenen guten Ruf wiedererlangen könne. Die Reaktionen auf das Geständnis waren allerdings vernichtend. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, sagte, dass Ofarim dem „Judenhass Vorschub geleistet“ habe. Der Zentralrat der Juden verurteilte, dass Ofarim auch die jüdische Gemeinde belogen habe. Damit habe er „all denen, die tatsächlich von Antisemitismus betroffen sind, großen Schaden zugefügt“.

Dabei hätte auch der Zentralrat der ­Juden Grund, sich zu entschuldigen – er hatte 2021 scharf kritisiert, „dass eine deutliche Entschuldigung des Hotels gegenüber Gil Ofarim bisher ausgeblieben“ sei. Damals hatte allerdings kaum jemand Zweifel an den Vorwürfen gehabt. Selbst der damalige SPD-Außenminister Heiko Maas zeigte sich „fassungslos“ wegen des Falls und sagte: „Leipzig ist kein Einzelfall.“ Das stimmt aus heutiger Sicht immer noch – wenn man es darauf bezieht, dass Empörungswellen im Internet oft über Menschen hereinbrechen, bevor die Suche nach der Wahrheit abgeschlossen ist. Oder überhaupt begonnen hat.

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