Überraschende Wende in Prozess: Gil Ofarim gesteht Vorwürfe ein ...
Für den sechsten Prozesstag gegen Gil Ofarim am Landgericht Leipzig waren am Dienstag abermals zahlreiche Zeugen geladen, unter ihnen auch die Sängerin und Schauspielerin Jeanette Biedermann und der Direktor des Hotels Westin Leipzig. Doch dann folgte plötzlich die spektakuläre Wende: Gil Ofarim, der während der vergangenen fünf Prozesstage geschwiegen hatte, kündigt eine persönliche Erklärung an. In einem kurzen Statement räumte er dann die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein, so wie sie von der Staatsanwaltschaft angeklagt worden waren. Zudem entschuldigte er sich bei dem Rezeptionisten des Hotels, Markus W., der in dem Verfahren als Nebenkläger auftrat, wie ein Sprecher des Landgerichts erklärte. W. habe die Entschuldigung akzeptiert.
Stefan Locke
Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.
Das Gericht stellte daraufhin das Verfahren, das noch bis weit in den Dezember hinein geplant war, vorläufig ein – mit der Auflage, binnen sechs Monaten 10.000 Euro zugunsten der Jüdischen Gemeinde Leipzig und des Trägervereins des Hauses der Wannseekonferenz zu zahlen. Sollte Gil Ofarim dem nachkommen, werde das Verfahren endgültig eingestellt.
„Alle Zweifel in dieser Sache endgültig beseitigt“Aufgrund von Zeugenaussagen, der Aufnahmen von Überwachungskameras des Hotels sowie eines extra angefertigten Gutachtens von Digitalforensikern der Hochschule Mittweida stehe nun fest, was sich am 4. Oktober 2021 in der Lobby des Hotels Westin zugetragen hat, so das Gericht. Das damalige Geschehen sei „von dem Angeklagten auch glaubhaft eingeräumt worden“. Damit seien „alle Zweifel und Spekulationen in dieser Sache endgültig beseitigt“.
Demnach ist Ofarim an jenem Tag in der Lobby nicht antisemitisch beleidigt worden. Vielmehr war der Sänger, der zuvor an einer Aufzeichnung beim MDR in Leipzig teilgenommen hatte, verärgert darüber, dass andere Gäste an der Rezeption vorgezogen wurden. Wie sich durch Zeugenaussagen herausstellte, hatte es sich dabei jedoch um Stammgäste gehandelt, deren Zimmerkarten vorbereitet gewesen waren. Alle anderen Gäste mussten warten, weil das Buchungssystem des Hotels ausgefallen war und die Mitarbeiter die Kunden deshalb per Hand eincheckten. Als Ofarim nach rund 20 Minuten an der Reihe war, beschwerte er sich aufgebracht über das Hotel und drohte W., seine Reichweite als Musiker in den sozialen Medien zu nutzen, um aller Welt zu berichten, was das für ein schlechtes Hotel sei. Daraufhin hatte ihm W. das Anmeldeformular wieder weggenommen und erklärt, dass Ofarim unter diesen Umständen nicht einchecken könne, es sei denn, er entschuldige sich. Ofarim verließ daraufhin das Hotel und nahm auf dem Bürgersteig vor dem Eingang jenes Video auf, das kurz darauf millionenfach geklickt wurde. Darin erklärte er, W. habe ihn nicht einchecken lassen, bevor er nicht seine Kette mit dem Davidstern wegpacke. Künstler und Politiker solidarisierten sich mit dem Musiker, es gab Spontandemonstrationen vor dem Hotel und weltweite Aufmerksamkeit für den Fall insbesondere in den sozialen Medien.
Allerdings waren schon kurz darauf Zweifel an Ofarims Darstellung aufgekommen. Keiner der Hotelgäste in der Lobby, die die Auseinandersetzung mitbekommen hatten, hat die Aufforderung gehört, der Musiker solle seinen Stern wegpacken. Ofarim hatte behauptet, jemand in der Lobby habe gerufen, er solle seinen Stern wegpacken, woraufhin der Rezeptionist das wiederholt habe. Auch hatte bis auf einen Gast niemand die Sternkette an Ofarim gesehen. Ein umfangreiches Gutachten, das die Überwachungsvideos vom Eingang, der Lobby und der Rezeption analysierte, kam außerdem zu dem Schluss, dass Ofarim die Kette in der fraglichen Situation gar nicht sichtbar getragen habe. Eine aufwendige Nachstellung mit Statisten, die sogar die von Ofarim dafür zur Verfügung gestellte Originalkette trugen, kam zu dem Ergebnis, dass sie von den Kameras erfasst worden wäre, wenn er sie denn sichtbar getragen hätte.
Die Staatsanwaltschaft hatte Ofarim deshalb unter anderem falsche Verdächtigung und Verleumdung vorgeworfen. Das Landgericht wiederum arbeitete den Vorfall bis zum Dienstag gewissenhaft auf. Mit dem Geständnis Ofarims sieht es nun auch den Rezeptionisten W. in der Sache „wirkungsvoller rehabilitiert“, als es „durch ein Urteil möglich gewesen wäre“. Zugleich habe man berücksichtigt, dass auch Ofarim selbst im Zusammenhang mit dem Geschehen erhebliche Nachteile erlitten habe. So hatte seine damalige Managerin als Zeugin ausgesagt, dass die Auftragslage ihres Klienten nach dem Vorfall praktisch auf Null gefallen sei. Das Gericht erklärte, dass Ofarim mit seiner Entschuldigung den guten Ruf des Rezeptionisten wiederhergestellt habe und auch seinen eigenen wiedererlangen könne. „Die Einstellung des Verfahrens ermöglicht ihm jetzt einen befreiten Neustart.“ Ofarims Verteidigung erklärte am Dienstag lediglich, dass die Beweislage „schwierig“ gewesen sei und sich kein Ende des Prozesses abgezeichnet habe. Die Unschuldsvermutung bleibe von der Verfahrenseinstellung jedoch unberührt.