„Das Holz bestimmt die Form“: Mira Nakashima, Tochter von ...

George

Mira Nakashima ist die Tochter von George Nakashima, dem legendären Woodworker. Wie sie das Atelier nach seinem Tod weiter führte und worum es in ihrem neuen Buch geht, erzählt sie im Interview.

Ein Donnerstag im Oktober, an der Ostküste ist es zehn Uhr morgens, und die Sonne scheint. Mira Nakashima, die Tochter von George Nakashima, ist 81 Jahre alt. Aber das glaubt man ihr nicht, wenn man sie sieht. Sie leitet die Werkstatt, die ihr Vater vor 80 Jahren in New Hope, Pennsylvania, gründete. Zum Gespräch über Zoom ist ­Mira Nakashima auf die Minute pünktlich, die Stimmung ist gut.

Mira Nakashima zu Hause in New Hope, Pennsylvania.

Manolo YlleraWoodwork in der zweiten Generation: Mira Nakashima im Interview

AD: George Nakashima war als Designer und Woodworker weltberühmt – welche Kindheitserinnerungen haben Sie an ihn, wie war er als Vater?

Mira Nakashima: Als kleines Mädchen bewunderte ich ihn sehr. Er war liebevoll und großzügig. Er hatte damals seine Werkstatt in unserem Haus. Ich war ihm immer irgendwie im Weg, aber er gab mir Dinge zum Spielen, setzte mich auf seine Schultern und trug mich herum. Als mein Vater älter wurde, änderte sich das Verhältnis etwas.


Wie meinen Sie das?

Ich war eine gute Schülerin und hatte feste Vorstellungen, auf welche Colleges ich später gehen wollte. Entweder Radcliffe oder Bryn Mawr. Aber mein Vater bestand da­rauf, dass ich in Harvard studiere.

Mira Nakashima musiziert, ihr Vater George hört zu. Un­datiertes Foto, aufgenommen um 1970 im Garten vor dem Atelier.

Picasa

Ein Lounge Chair mit Armstütze.

Martin Mulder


Das ist doch auch nicht schlecht.

Nein, es war sogar wunderbar, alles war interessant, die Lehrer und die Student:innen, ich liebte es. Eigentlich wollte ich in Sprachwissenschaften oder Musik ab­schlie­­ßen. Mein Vater sagte, Nein, du machst Architektur. Ich habe früh gelernt, seine Autorität nicht infrage zu stellen. So habe ich ihn auch in der Werkstatt erlebt, er wurde dort sehr respektiert.


Wie würden Sie seine Art zu arbeiten, seinen Stil beschreiben?

Was ihn von anderen Woodworkern unterschied, war, dass er ausgebildeter Architekt war. Er war sehr gut darin, die Möbel strukturell aufzubauen. Er dachte in Lasten und Kräften und wie er sie am besten ableiten könne, so wie es ein Architekt eben tut. Er konnte auch voraussehen, wie es sich auf die Stücke auswirkt, wenn man sie eine Zeit lang benutzt. Er hatte nicht nur eine hübsche Idee im Kopf.

George Nakashimas Arbeiten sind sehr eigenständig und prägnant. Verstand er sich selbst als Künstler?

Da hatte er relativ klare Ansichten. Im Westen werden die, die es in Architektur, Design oder Kunst zu etwas bringen wollen, dazu angehalten, ihr Ego zu entwickeln. Als mein Vater von seinem ersten Arbeitgeber Antonin Raymond 1937 nach Indien geschickt wurde, um in Puducherry im Ashram der Aurobindo-Sekte den Bau eines Wohnheims zu leiten, lernte er das genaue Gegenteil kennen. Die Aurobindo-Lehre besagt, dass Menschen schöne Dinge erschaffen, nicht weil sie sie selbst sind, sondern weil höhere Kräfte es ihnen erlauben. Die Idee begleitete meinen Vater sein Leben lang.

Das Besondere an Nakashima-Entwürfen ist, Holz wie ein Lebewesen wirken zu lassen. Auf dem Weg dorthin fällt viel Arbeit an – ein Blick in die Werkstatt.

Martien Mulder


Nach seinem Tod 1990 haben Sie sein Atelier weitergeführt. Welche Erfahrun­gen haben Sie dabei gemacht?

Als er starb, hatte er gerade seine erste große Retrospektive im American Craft Museum gehabt, dem heutigen Museum of Arts and Design in New York. Es war das erste Mal, dass man seine Stücke nicht als Möbel wahrnahm, sondern als Kunstwerke. Die Ausstellung war ein Riesenerfolg, und in unserem Buch standen auf einmal Aufträge für dreieinhalb Jahre. Außerdem hatte mein Vater kurz vor seinem Tod noch einhundert Baumstämme gekauft, die dabei waren, in unseren Schuppen zu trocknen. Wir wollten das nicht alles mit ihm sterben lassen.


Dann kam der große Abschwung, und Sie hatten statt zwölf Mitarbeiter:innen plötzlich nur noch sechs.

Sie haben recht, es war tatsächlich nicht immer einfach, besonders mit meiner Mutter. Sie weigerte sich, den Tod meines ­Vaters zu akzeptieren. Wenn es um die Arbeit in der Werkstatt ging, sagte sie, das macht George jetzt. Sie wollte auch nicht, dass ich meinen Namen unter die neuen Stücke setzte.


Das kann aber nicht der einzige Grund gewesen sein …

Nein, es hatte auch mit Vertrauen zu tun. Ich hatte zwanzig Jahre lang mit meinem Vater zusammengearbeitet, ohne nach außen sichtbar zu sein. Es gab viele Leute, die glaubten, er würde alles an seinen Stücken mit seinen eigenen Händen machen – und ich sei dazu nicht fähig. Mit den Mitarbeiter:innen war es auch schwierig. Einige sagten: Okay, er ist nicht mehr da, dann
ver­schwinde ich auch mal.

Skizzen von Nakashima: „Sectional Sofa“ und „Greenrock Ottoman“.

George Nakashima / George Nakashima Woodworkers SA, Ltd. New Hope, PA


Das war sicher nicht leicht für Sie …

Es gab da diesen einen Mann im Shop, Jerry Avril, den neuen Verkaufsleiter, seit der alte auch gegangen war. Eines Tages sahen wir uns an, und ich fragte ihn: Jerry, was sollen wir jetzt tun? Und Jerry sagte fröhlich: Ich denke, wir machen einfach weiter. Das war damals wichtig für mich.


Und jetzt haben Sie mehr Mitarbeiter als je zuvor …

Ja, aber die Werkstatt ist nicht größer geworden. Wir haben jetzt mehr Leute im Büro und auch immer mehr mit Authentifizierung zu tun, deshalb brauchen wir jemanden fürs Archiv. Und einer meiner Enkel arbeitet für uns, als Finisher und halbtags als Designer.

Sie haben gerade ein Buch herausgegeben, das „Process Book“. Worum geht es darin?

Unsere Kataloge waren schon immer ein Thema für sich. Mein Vater hatte lange Zeit nur Zeichnungen, die er zu einem Buch binden ließ, wenn er fand, er brauche mal wieder einen neuen. Dann gab es irgendwann einen mit Fotos, aber die waren in Schwarz-Weiß. Nach dem Tod meines Vaters machten wir einen Katalog mit farbigen Fotos und behielten den lange. Aber dann sagte eine Assistant-Designerin, das sei irreführend. Leute würden die Fotos sehen, zu uns kommen, mit dem Finger darauf deuten und sagen, das will ich auch. Dabei ist bei uns jedes Stück verschieden, ein neuer Prozess.

Die „Conoid Bench“.

George Nakashima / George Nakashima Woodworkers SA, Ltd. New Hope, PA

„Double Pedestal Desk“ von George Nakashima

George Nakashima / George Nakashima Woodworkers SA, Ltd. New Hope, PA


Was schlug Ihre Mitarbeiterin vor?

Sie sagte, wir sollten uns mehr auf die Arbeitsabläufe konzentrieren, zeigen, dass es dabei um mehr geht, als nur ein Stück Holz aus dem Regal zu nehmen und anzufangen, es zu bearbeiten. Das Holz selbst bestimmt die Form, wir suchen es lange aus, besprechen alles, legen Käufer:innen Entwürfe und Muster vor. Und am Ende sieht das Resultat trotzdem oft ganz anders aus, als wir dachten. Das überrascht uns selbst auch immer wieder.

Das „Process Book“ in seiner natürlichen Umgebung, Bestellung über nakashimawoodworkers.com, 35 Dollar.

Christian Giannelli
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