Friedrich Merz bei „Farbe bekennen“ in der ARD: Kann er Kanzler?

„Ich habe biologisch noch einige Jahre vor mir.“ Das sind die letzten, seltsam unbeholfenen Worte, mit denen der frisch gekürte Kanzlerkandidat, auf sein Alter angesprochen, die Sendung „Farbe bekennen“ beschließt und die Zuschauer am Ende des vielleicht wichtigsten Tages seiner politischen Karriere in den Abendkrimi entlässt. Auf diesen Moment hat Merz lange gewartet und hingearbeitet. Mehr als zehn Jahre war er aus der Politik ausgeschieden, nachdem Angela Merkel ihn 2009 entmachtet hatte. Zweimal hat er sich erfolglos um den Bundesvorsitz seiner Partei beworben, 2018 und 2020. Und jetzt, da der Sauerländer seinem Lebenstraum so nahe ist, hätte er alles Erdenkliche sagen können.

Friedrich Merz - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Er hätte eine Vision entwerfen oder eine originelle Idee entwickeln können. Tim Walz, der Running Mate der amerikanischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, brauchte nur einen Satz – „thank you for bringing back the joy“ –, um sich ein unverwechselbares Profil zu geben. Merz hätte Freude, Stolz oder auch Erleichterung zeigen können. Denn sofern Söder bei seinem Schwur bleibt, sich ein ganzes langes Jahr zurückzuhalten, bliebe den Schwesterparteien eine Wiederholung des Debakels von 2021 erspart, als die Zwischenrufe von der bayerischen Seitenlinie Armin Laschet das Amt kosteten.

Er traut dem Frieden nicht

2021 darf sich nicht wiederholen, lautet seither das abendliche Stoßgebet der Union. Dass sich Merz im Gespräch mit dem Leiter des ARD-Hauptstadtstudios so vieles verkneift, man kennt ihn aus Bierzelten angriffslustiger, zeugt nicht nur von den Strapazen eines nervenaufreibenden Tages. Er sieht vor allem müde aus. Es nährt auch den Verdacht, dass womöglich selbst Merz dem Burgfrieden nicht recht traut. Denn als er und Söder wenige Stunden zuvor in der bayerischen Landesvertretung in Berlin ihre Entscheidung verkündeten, war von Aufbruchstimmung nicht viel zu spüren. Wortlos betraten die beiden die Bühne, kurz waren ihre Statements, am Ende folgte ein steifer Händedruck. Emphase sieht anders aus, die Angelegenheit war frostig wie die aufkommenden Herbststürme.

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Der Satz, der von diesem denkwürdigen Tag in Erinnerung bleiben wird, stammt deshalb auch nicht von Merz, sondern von seinem unterlegenen Rivalen: Dass er „fein damit“ sei, hatte Söder mittags gesagt, und sich damit einer Redewendung aus dem Englischen bedient, die jedoch nicht etwa Zustimmung bedeutet, sondern allenfalls ein Einlenken: Anders wäre es besser gewesen, but okay, I’m fine with it.

Kalkül des Machtpolitikers nicht aufgegangen

Der kleine, zielsicher platzierte Sprachkassiber zeugt von der Enttäuschung eines machtbewussten Politikers, dessen Kalkül nicht aufgegangen ist. Darauf angesprochen, wann die Entscheidung denn nun gefallen sei, womöglich erst unter dem Eindruck des in Düsseldorf vorpreschenden Hendrik Wüst, der tags zuvor seine Unterstützung für Merz verkündet und damit „Söder den Teppich unter den Füßen weggezogen hat“?, fragt Markus Preiß. Merz wiegelt ab. Er sei mit Söder seit Monaten intensiv im Gespräch gewesen. Im August habe man sich festgelegt, seit zwei Wochen hätten beide Bescheid gewusst.

Warum dann aber das Theater der vergangenen Wochen, will Preiß wissen: „Alles nur Kulissenzauber?“ Der Journalist fragt kenntnisreich und verbindlich, spart aber die unangenehmen Fragen nicht aus, wenn er etwa auf die mäßigen Umfragewerte von Merz zu sprechen kommt, insbesondere bei jungen Wählern und Frauen.

Zum politischen Programm fallen nur Stichworte: Das Bürgergeld will Merz reformieren, den Verbrennungsmotor wieder zulassen, über Atomenergie will er neu nachdenken und Europa in der Migrationsfrage entschiedener angehen, andernfalls werde Deutschland seine Grenzen sichern. Auch Koalitionsoptionen werden erörtert, zumal Söder ein Bündnis mit den Grünen für den Bund ausgeschlossen hat.

Steht mit Merz eine Groko ins Haus?

Merz macht die Türe wieder auf, wenn er listig erklärt: „Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Das geht nicht.“ Der künftige Wahlkämpfer hat sehr wohl vernommen, wie Wüst und sein Kollege Daniel Günther aus Schleswig-Holstein ihre schwarz-grünen Landesregierungen anpreisen. Merz hingegen favorisiert das hessische Modell, wenn er an Boris Rhein erinnert, der nach der Wahl in Wiesbaden zwei Koalitionspartner zur Auswahl hatte und schließlich den Grünen einen Korb gab, um sich mit den Sozialdemokraten zusammenzutun.

Steht Deutschland mit Merz am Ende wieder eine Groko ins Haus? „Es ist mir recht, wenn Herr Merz der Kanzlerkandidat der Union ist“, meldet sich Scholz sibyllinisch aus Kasachstan zu Wort. Wird Söder sich an sein Schweigegelübde halten? Welches Rezept hat Merz gegen die AfD? Und wie wird die Basis reagieren, sollte die CDU in Thüringen und Sachsen mit dem BSW koalieren? Nach fünfzehn Sendeminuten ist der Vorhang zu – und alle Fragen offen. Fortsetzung folgt.

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