Frankreich-Wahl: Karten vor zweiter Runde neu gemischt

3 Tage vor

Frankreich-Wahl

In Frankreich liegen die Rechtspopulisten nach der ersten Runde der Parlamentswahl zwar klar voran, vor der Stichwahl am Sonntag könnten die Karten aber neu gemischt werden. Rund 500 der 577 Sitze gibt es am 7. Juli noch zu ergattern. Vielerorts stehen Stichwahlen mit drei, vereinzelt gar vier Kandidatinnen und Kandidaten im Raum. Doch auch der Rückzug vieler Kandidaten aus taktischen Gründen wird erwartet.

Online seit heute, 16.25 Uhr (Update: 17.19 Uhr)

Fix vergeben sind bisher nur 76 Mandate – davon gingen 37 an Marine Le Pens rechtspopulistischen Rassemblement National (RN). 32 Mandate konnte sich das Linksbündnis Nouveau Front populaire (NFP) sichern. Das Mitte-Lager Ensemble von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kommt nach der ersten Wahlrunde auf gerade einmal zwei Direktmandate.

Zur Erklärung: In Frankreich gilt das Mehrheitswahlrecht. Für den Mandatsgewinn ist im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit im Wahlkreis nötig – aber auch 25 Prozent der Stimmen der insgesamt Wahlberechtigten. Gelingt das nicht, dürfen im zweiten Wahlgang die beiden Erstplatzierten der ersten Runde antreten – plus weitere Kandidatinnen und Kandidaten, die mehr als 12,5 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten auf sich vereinen konnten.

Zahlreiche Kandidaten zogen sich bereits zurück

501 Mandate sind noch umkämpft: In 190 Wahlkreisen kommt es zur Stichwahl zwischen zwei Kandidaten. Wegen der hohen Wahlbeteiligung von 67 Prozent qualifizierten sich in 306 Wahlkreisen je drei Kandidaten für die zweite Runde – was mit Blick auf vergangene Wahlen äußerst ungewöhnlich ist. Trielle gab es 2022 beispielsweise nur in sieben Wahlkreisen. In fünf weiteren Wahlkreisen könnte es heuer sogar zum Rennen zwischen vier Kandidaten kommen – ein Novum.

Die große Frage ist nun, wie viele Kandidaten und Kandidatinnen sich vor der Stichwahl zurückziehen, um den Sieg eines RN-Politikers zu verhindern. Zahlreiche Mitstreiter kündigten „Le Monde“ zufolge bereits den Rückzug der Kandidatur an, weshalb es am Sonntag tatsächlich weit weniger Dreikämpfe geben dürfte. Weitere Rückzüge dürften folgen. Die Kandidaten müssen sich bis Dienstag um 18.00 Uhr erklären. Der RN hofft, am Sonntag die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung zu holen und so an die Regierung zu kommen. Macron und das linke Lager versuchen, das mit einer gemeinsamen Front zu verhindern. Für die „Absolute“ sind 289 von 577 Sitzen nötig.

Heitz (ORF) zur Front gegen Le Pen

Nach dem Sieg des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) in der ersten Wahlrunde in Frankreich hofft Marine Le Pen auf die absolute Parlamentsmehrheit. Ob das gelingt, ist offen. Die Front gegen rechts sei stärker als zunächst erwartet, so ORF-Korrespondentin Leonie Heitz.

Macron droht Cohabitation

Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Sollte der RN die absolute Mehrheit erreichen, hätte das schwerwiegende Folgen. Macron wäre de facto gezwungen, den 28 Jahre alten Parteichef Jordan Bardella zum Premierminister zu machen.

Es gäbe dann eine Cohabitation. Macrons Macht würde deutlich schrumpfen, der Premier würde wichtiger. In einem solchen Szenario hätte Macron Schwierigkeiten, seine Linien international durchzusetzen. Das wiederum könnte der früheren RN-Parteichefin Le Pen den Weg ebnen, 2027 Präsidentin zu werden.

Front gegen RN? Uneinigkeit bei Macron-Lager

Le Pen sagte am Sonntagabend, sie hoffe, dass Bardella nun Premierminister werde. Der RN trat nicht offiziell im Bündnis an, unterstützte aber von den konservativen Les Republicains (Republikaner) abtrünnige Kandidaten. Macrons Mitte-Lager zeigte sich indes uneinig über die Strategie vor der entscheidenden Stichwahl. Das Mitte-Lager Macrons landete mit 20 Prozent der Stimmen auf Platz drei hinter dem Linksbündnis mit 28 Prozent. Der RN und seine Verbündeten kamen in der ersten Runde der Parlamentswahl auf gut 33 Prozent.

Wirtschaftsminister Bruno Le Maire rief am Montag dazu auf, der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI/Unbeugsames Frankreich), die federführend zum Linksblock NFP gehört, auch dann keine Stimme zu geben, wenn damit der Sieg eines RN-Kandidaten in einem Wahlkreis verhindert werden könnte. „Für mich ist La France Insoumise eine Gefahr für die Nation, so wie der Rassemblement National eine Gefahr für die Republik ist“, sagte er dem Sender France Inter. Er warf der Partei Antisemitismus und Gewalt vor.

Grünen-Chefin Marine Tondelier reagierte mit Entsetzen auf Le Maires Wahlempfehlung. „Das ist feige und der historischen Tragweite nicht angemessen“, sagte sie unter Tränen dem Sender France Inter. Im Gegensatz zu Le Maire rief Macron noch am Wahlabend zu einem „breiten, demokratischen und republikanischen Bündnis“ gegen den RN auf. Er forderte per Pressemitteilung, in der zweiten Wahl nur Kandidaten zu unterstützen, die „klar republikanisch und demokratisch“ sind.

Macron-Lager: Rückzug aus 60 Wahlkreisen angekündigt

Sein Premierminister Gabriel Attal kündigte den Rückzug von Kandidaten des Regierungslagers in 60 Wahlkreisen in der zweiten Wahlrunde an. Das solle den Sieg rechtspopulistischer Kandidaten verhindern, sagte er Sonntagabend in Paris. Attal warnte eindringlich vor einem Sieg sowohl der Rechten als auch des Linksbündnisses NFP.

Macron ist bis 2027 als französischer Präsident gewählt und hat weitreichende Kompetenzen vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik. Durch den absehbaren Verlust seiner Mehrheit in der Nationalversammlung dürfte er aber die Kontrolle über die innenpolitische Tagesordnung weitgehend verlieren – also etwa über Wirtschaftspolitik, Sicherheit, Einwanderung und Finanzen. Macron hatte nach der Niederlage seiner Partei bei der Europawahl Anfang Juni überraschend vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche