Zum Tod des englischen Malers Frank Auerbach

Seine Porträts nannte er lieber Köpfe, denn zentimeterdick schuf der Maler Frank Auerbach eher skulpturale Farb­reliefs als etwas zweidimensional Flaches. Er „baute“ Gesichter schichtig auf, knetete die Farbe regelrecht durch, verzerrte die Konturen und ließ Wangen schon einmal zickzackförmig in den Raum ragen, riss Oberflächen expressiv auf oder durchkreuzte sie brutal mit antinaturalistischen Pinselstrichen. Welcher Maler außer ihm (und vielleicht noch Lucian Freud) hätte die Ausdauer besessen, an einem keinesfalls großformatigen Bild bis zu ein Jahr zu malen oder besser: zu laborieren? Im lateinischen „labor“ steckt das Wort „Arbeit“, aber auch stets ein „Ringen um“, war doch Malerei für ihn Kampf, Ungenügen und sehr häufig auch: völliger Neubeginn. Kein einmal gefundenes Muster wiederholte sich bei ihm, immer wieder wurden Malschichten abgekratzt, neu aufgebaut, wurde dem dort unendlich langsam entstehenden ­Figürlichen, dem er zeitlebens treu blieb, erneut aggressiv zu Leibe gerückt. Die ­Figur galt ihm als widerständiger Gegenstand, an dem er sich abarbeitete. Dass dieser in Öl „verewigte“ Selbstzweifel bis zu fünf Liter Farbe je Gemälde verschlang – gerne in schmerzenden Kon­trasten wie Gelb und Blau gegeneinandergesetzt –, war bei ihm keine Künstlerlegende. Doch woher stammt dieses siebzig Jahre andauernde Leiden am Bild?

Frank Auerbach - Figure 1
Foto FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Frank Auerbach, der seit 1947 die englische Staatsbürgerschaft besaß, darf als bedeutendster Maler Englands gelten. Geboren aber wurde er 1931 in Berlin. 1939 kam er als Flüchtlingskind aus Nazideutschland nach London, die Eltern wurden beide deportiert und von den Nationalsozialisten in Auschwitz getötet. Er war eines von sechs Kindern, die von der englischen Schriftstellerin Iris Origo gerettet wurden, was eine spukhafte Fernwirkung hatte: Jahrzehnte später widmete W. G. Sebald, ebenfalls nach England exilierter Schriftsteller, Auerbach ein Kapitel in seinem Buch „Die Ausgewanderten“, in dem der Künstler wenig verbrämt als „Frank Aurach“ firmierte, was Sebald später in „Max Ferber“ umwandelte. Dass Auerbach jedes Malen eines lebendigen Gesichts zugleich erleichtertes Überleben und belastendes Erinnern bedeuten konnte, scheint nachvollziehbar.

Frank Auerbach, „Head of David Landau“ (l.) und „Catherine Lampert Seated“, bei einer Auktion in London im Oktober 2024Picture Allliance

Von 1948 bis 1955 studierte er an St. Martin’s und am Royal College of Art in London, doch blieben Verkäufe oder Ausstellungserfolge noch lange aus – ­Auerbach galt lediglich als Geheimtipp, als Künstler-Künstler. Zwei Jahrzehnte lang konnte er nicht von seiner Arbeit leben, sondern musste sich als Rahmenbauer und Zeichenlehrer verdingen. Vom fünfundfünfzigsten Lebensjahr an änderte sich dies schlagartig. Auerbachs erste retrospektive Ausstellung fand 1978 in der Hayward Gallery statt, 1986 wurde er auf der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Zuletzt wurden Anfang des Jahres Auerbachs „Charcoal Heads“ (auf Deutsch „Köpfe in Kohle“, erneut also die Tendenz zum Dreidimensionalen im Medium der Flatness) in London mit großer Begeisterung aufgenommen (F.A.Z. vom 13. Februar), da er auch in der unermüdlichen zeichnerischen und collagierenden Schichtung und Vernichtung von Kohle und Kreide auf Papier die Plastizität seiner Gemälde zu erreichen vermochte – ein Bergarbeiter des Kohlestifts im Flöz des Herrn. Der zudem noch den Gesichtern Narben und Nähte einschrieb, sodass die Porträts auf den Blättern wie geflickt wirken. Die von ihm sehr geschätzte Technik der Radierung setzte er kurzerhand mit einem Dartpfeil anstelle der Radiernadel um.

Erst in diesem Jahr konnte Auerbach das siebzigjährige Jubiläum seines Ateliers im Londoner Stadtbezirk Camden feiern, das er 1954, noch während seiner Studienzeit, von seinem Malerfreund Leon Kossoff übernommen hatte. Es dürfte ­damit das am längsten durchgängig von einem Künstler genutzte Atelier der Welt sein; das am eifrigsten frequentierte war es in jedem Fall, da der ungeheuer arbeitsame Maler nicht übertrieb, wenn er von sich behauptete, 364 Tage des Jahres im Studio zu verbringen. Am Montag ist Frank Auerbach nun im Alter von 93 Jahren in seinem Haus in London friedlich gestorben.

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