Formel-1-Trainings in der Analyse: Barcelona steht vor Vierkampf ...

Steht die Formel 1 in Barcelona vor dem endgültigen Umbruch? Theorien über Red Bulls Gegenschlag verpuffen. Plötzlich kämpfen vier Teams. McLaren Nummer eins?

Formel-1 - Figure 1
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Markus Steinrisser21.06.2024, 23:32 UhrAnalyse

Markus Steinrisser

Formel 1 Ressort

Seit 2018 im F1-Team. Der Mann fürs Textliche. Nichts ist schöner als Action auf- und abseits der Strecke, fusioniert zum großen Feature.MEHR

Max Verstappen wird Lando Norris 2024 einfach nicht los, Foto: LAT Images

Beginnt allen Ernstes jetzt die Vierkampf-Ära der Formel 1? Nichts ist es jedenfalls in Barcelona mit der Wiederherstellung von Red Bulls Dominanz. Max Verstappen hatte bei der Rückkehr auf die klassischen europäischen Rundkurse auf einfachere Zustände gehofft, doch stattdessen beendete er den Spanien-Freitag hinter Lewis Hamilton, Carlos Sainz und Lando Norris - Red Bull lag also hinter Mercedes, Ferrari und McLaren.

Die anhaltende Red-Bull-Schwäche verlangt in der Trainings-Analyse von Motorsport-Magazin.com nach einem genaueren Blick. Sind an deren Ende aber erst einmal alle Ungewissheiten aufgerollt, steht beim Spanien-GP keineswegs wie so oft in der Vergangenheit im Renn-Trimm Max Verstappen als Favorit da. Es deutet sich tatsächlich ein Richtungswechsel an. Nur ein Team geht am Freitag glücklich ins Bett, und Red Bull ist es sicher nicht.

Lewis Hamilton, Mann für Trainings: Mercedes untermauert Durchbruch-Anspruch

In Wahrheit ist auch Pacesetter Lewis Hamilton nicht der Glücklichste. Er, Sainz und Norris stehen vor allem dank guter Balance im Qualifying-Trimm und dank Runden ohne Verkehr ganz oben in den Zeitentabellen. Bei ihren Verfolgern gehen die Klagen los. Mercedes-Teamchef Toto Wolff deutete am Abend gleich auf eine mögliche Mercedes-Doppelführung.

George Russell hatte sich vor La Caixa von einem langsamen Haas aus der Ruhe bringen lassen, es am Einlenkpunkt übertrieben und mit einem Quersteher die Reifen gegrillt. Die hier als Soft antretenden C3-Pirellis halten zwar eine Push-Runde ohne echtes Management durch - aber keinen Meter mehr. Überhitzen sie einmal, ist der Performance-Peak zerstört.

Auch Max Verstappen hatte seinen Verkehr, eine Zehntel ging in Kurve sieben verloren. Zieht man die ab, fehlt aber noch eine weitere, um Anschluss an das Spitzentrio herzustellen. Diese Zeit liegt in nur zwei Kurven begraben. Red Bull ist top durch schnelle Kurven, in langgezogenen langsamen jedoch zu vergessen.

Red Bull, Ferrari, Mercedes: Wo ist die Barcelona-Balance am schlechtesten?

Über diese Frage scheinen sie sich am Freitag streiten zu wollen. Die Bedingungen provozierten Setup-Probleme geradezu. Hohe Temperaturen, böiger Wind, und ein in den letzten Monaten deutlich an Rauheit zunehmender Asphalt (der laut Pirelli jetzt an Intensität sich schon dem brutalen Asphalt von Bahrain annähert) machten allen Probleme.

Das Red-Bull-Problem ist aber isoliert. In den langgezogenen Kurven vier und fünf verlor Verstappen drei Zehntel, weil die Frontpartie nicht reagieren will. Einfache Mathematik: Eine Zehntel Verkehr, drei Zehntel Handling - das geht vier Zehntel schneller, und wäre eineinhalb Zehntel schneller als Hamiltons Bestzeit. Damit ist Verstappen erst einmal Pole-Anwärter Nummer eins.

Der RB20 untersteuert in die Kurve hinein. Was Verstappen nicht mag, er muss früher verlangsamen. Erst am Ausgang kommt das Heck, dann zu plötzlich. Anders als in den letzten Rennen sieht Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko dahinter kein vielschichtiges Setup-Defizit und hat eine einfache Lösung: "Wir hätten für Max den Heckflügel wechseln müssen, dann hätte die Balance besser gepasst." Den größeren Flügel zu montieren hätte aber 20 Minuten gedauert. Zeit, die Red Bull nicht verschenken wollte.

Verstappen Pole-Favorit? Auch Ferrari & Mercedes wollen mehr können

Auch bei Ferrari gab es ein ähnliches Dilemma. Nicht bei Carlos Sainz, der war im Qualifying-Trimm zufrieden. Charles Leclerc jedoch hatte in FP1 mit alten Teilen einen Vergleichstest gefahren, nur Sainz hatte alle Komponenten des jüngsten Ferrari-Updates - Seitenkästen, Unterboden, Heckflügel. Damit geriet Leclerc in Setup-Verzug, und erst nach der Qualifying-Simulation in FP2 verstand man wo.

Was leider für Leclerc ein langwieriges Umbauen der Aufhängung bedeutete. Deshalb fiel sein Longrun danach sehr kurz aus: "Von den paar Runden, die wir hatten, gibt es noch einiges zu verbessern. Aber wir haben eine klare Vision von dem, was wir mit dem Auto machen wollen, um es besser zu machen."

Und schließlich war auch Mercedes nicht glücklich. "Beide Fahrer waren eigentlich nicht ganz so happy, und man sieht auch auf den Onboards, es geht in alle Richtungen", analysierte Teamchef Toto Wolff im ORF. "Es ist viel mit dem Auto zu ändern, damit es besser fährt." Wolff und Marko schieben sich zusätzlich gegenseitig die "Wir haben beim Motor noch nicht alles gezeigt"-Karte zu. Verstappen hat also im Qualifying-Trimm das offensichtlichste Potenzial, doch die Konkurrenz schläft nicht. Und ohnehin gibt es über das Qualifying hinaus für alle drei ein ungleich größeres Problem.

McLaren führt im Renn-Trimm von Barcelona alle Reifen-Wertungen an

Gar nicht erwähnt wurde in dieser Analyse bisher McLaren. Weil der drittplatzierte Lando Norris keine Balanceprobleme beizusteuern hatte. Sein McLaren scheint das am Freitag am besten aussortierte Auto zu sein. Und das verdeutlicht sich nicht unbedingt auf eine Runde, wo die Konkurrenz noch nachlegen können will. Wirklich gefährlich wird es im Renn-Trimm.

Generell führt McLaren mit allen drei Reifenmischungen die Longrun-Tabellen an. Allerdings sind die etwas verzerrt. Die Mehrheit fokussierte sich auf den Soft, denn der hat einen potenziellen Zeitenvorteil von bis zu 1,2 Sekunden pro Runde auf den Medium. Auch mit vollen Tanks. Das bedeutet riesiges Potenzial zu Stint-Beginn. Selbst wenn der Soft schneller abbaut, ist eine Zweistopp-Strategie mit Soft-Medium-Kombinationen zu erwarten.

Die Teams versuchten herauszufinden, wie vorsichtig man in den Soft-Stint starten muss, um hintenraus genug übrig zu haben, um möglichst lange damit sinnvoll zu fahren. Oscar Piastri startete seinen Longrun aggressiv, und brach deutlich ein. Die Nummer zwei in der Soft-Tabelle, Max Verstappen, ist nicht wirklich vergleichbar. Verstappen war zuerst auf Medium gefahren, hatte erst am Schluss auf Soft gewechselt. Damit waren seine Tanks bei diesem kurzen Sprint schon leerer als die der Konkurrenz davor.

Leclerc, Sainz, Russell und Norris trennten im Rundenschnitt nur 0,114 Sekunden. Im Renntrimm ist das vernachlässigbar. Nicht aber Norris' auffällig flache Zeitenentwicklung. Er begann anders als Teamkollege Piastri mit 1:20,153 sehr vorsichtig, und konnte so bis zum Schluss mit 1:20,248 die Pace souverän kontrollieren. Hauptgegner Sainz baute sichtbar ab. Das macht Norris effektiv zum Gewinner der Soft-Tabelle.

Auf dem Medium führt Norris die Tabelle auch wirklich an, aber hier ist das Bild wieder verzerrt. Diesmal ist es der McLaren, der mit leereren Tanks fuhr, während Red Bull die Hauptarbeit auf Medium verrichtete. Auf Medium glänzte auch Verstappen mit kontrollierten Zeiten. Helmut Marko stellt also aus gutem Grund danach fest: "Ich sehe noch immer McLaren als Hauptgegner." Mit Ferrari und Mercedes bedrohlich im Hintergrund.

Bei diesen vier bleibt es. Egal, was Pierre Gasly mit einem kurzen Aufflackern und Platz vier in den Qualifying-Simulationen andeuten möchte. Im Renn-Trimm sieht der Alpine aber immerhin inzwischen wie ein gutes, vielleicht das beste, Mittelfeld-Auto aus. Esteban Ocon führt auf Soft klar das Verfolgerfeld an. Die zuletzt starken Racing Bulls hadern damit, das jüngste Update auf Schiene zu bekommen. Und Aston Martin scheint drauf und dran, ins Nirgendwo abzustürzen.

© Motorsport-Magazin

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