Nonnen in Ekstase: Ein Interview mit Florentina Holzinger

12 Jun 2024

Sie zählt zu den Stars der aktuellen Wiener Festwochen: Die österreichische Choreografin, Tänzerin und Performance-Künstlerin Florentina Holzinger. Im Gespräch über ihr neues Stück SANCTA geht es auch um die Gewalt von Musik, die Ambivalenz der Kunst und ihren Bezug zur katholischen Kirche.

Florentina Holzinger - Figure 1
Foto FM4

Von Christian Fuchs

Florentina Holzinger ist ein Phänomen. Wer sich für grenzüberschreitende, verstörende, aber gleichzeitig euphorisierende Kunst interessiert, verlässt ihre Inszenierungen eventuell als anderer Mensch. In Stücken wie „Tanz“, „A Divine Comedy“ oder „Ophelia’s Got Talent“ kollidieren Avantgarde-Theater und Extrem-Performance, Hochkultur und Trash, Feminismus und Ritual. Viel Kunstblut und Körperflüssigkeiten inklusive.

Wiener Festwochen17.5. - 23.6.2024

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Holzingers weibliches Ensemble, bestehend aus furchtlosen Tänzerinnen, Stuntfrauen und Body-Modification-Artists, stellt sich nackt surrealen Szenarien, die durchaus Bezüge zur dystopischen Wirklichkeit haben. In ihrer neuen Arbeit SANCTA, derzeit bei den Wiener Festwochen zu sehen, nähert sich die Wiener Choreografin, Tänzerin und Performance-Künstlerin dem Thema Religion. Im Gespräch dazu lacht Florentina Holzinger oft, derber und entwaffnender Humor ist auch fixer Bestandteil ihrer Stücke, was sie von Generationen aktionistischer Leidenskünstler unterscheidet.

Elsa Okazaki

Florentina Holzinger

Liebe Florentina, du suchst dir für deine sehr modernen Performances oft einen klassischen Ausgangspunkt. Das waren schon Werke von Igor Strawinsky, Dante Alighieri oder ein romantisches Ballett. Diesmal ist es Paul Hindemiths Oper „Sancta Susanna“, die dich inspiriert hat. Wie bist du auf diese Oper gestoßen und was hat dich daran fasziniert?

Ich bin sehr zufällig über diese Oper gestoßen, in Recherche für ein anderes Projekt. Da haben wir schon angefangen, mit Opernsängerinnen und Stunt-Performerinnen zu arbeiten, weil Opernsängerinnen für mich auch Stunt-Qualitäten haben. Und damals habe ich mich das erste Mal in Opern vergraben - und entwickelte sofort eine Affinität für dieses Genre der Nonnen-Oper. Die Hindemith-Oper hat auch den Vorteil, dass sie kürzer ist als stundenlange Wagner-Opern, ich konnte das in einem Stück durchschauen. Und hab festgestellt, dass das etwas ist, was ich und meine Performerinnen extrem gerne spielen würden. Als ich dann einen Anruf vom Opernhaus in Schwerin erhalten habe, war das die erste Oper, die mir eingefallen ist.

Florentina Holzinger - Figure 2
Foto FM4

Im Programm der Wiener Festwochen wird SANCTA so beschrieben, dass die Handlung um die Nonne Susanna und ihr sexuelles Begehren kreist, das dann in einer ekstatischen Verschmelzung mit Jesus am Kreuz kulminiert. Trifft das den Inhalt?

Das bringt den Inhalt der Oper ziemlich auf den Punkt. Was da musikalisch, aber auch szenisch passiert, ist so ein sich aufbauendes Begehren, in dem diese spirituelle und sexuelle Ekstase ins Extrem getrieben wird. Dahinter steht ein sehr klimaktischer Aufbau in allen Bereichen, wie ich ihn auch aus dem Tanz kenne (lacht). Die Hindemith-Oper endet ein bisschen offen, da kommt es zu einem großen Aufmarsch des gesamten Konvents. Bei uns brechen dann Nonnen hinter den Mauern hervor. Nonnen wurden ja oft eingemauert, zum Schutz vor ihrem eigenen Begehren, bei uns brechen sie wieder hervor.

Auch wenn sich die Gesellschaft jetzt im Westen mehr von Religion wegbewegt, warum beschäftigt uns diese Themen heute noch so sehr?

Ja, das ist eine wirklich gute Frage. Mir senden auch ständig Leute Links von irgendwelchen Nonnen-Sachen, Leute sprechen vom „Year of he Nun“ und ich sage, es ist immer „The Year of the Nun“, jedes Jahr wieder. Weil es um Themen geht, die einfach relevant sind und sehr universell. Und dann hat ja gerade der Umgang mit der Kirche auch so etwas extrem Campiges. Das fasziniert uns natürlich auch als Team an dieser Oper, dass dieses Nonnennarrativ irgendwie so extrem Camp wirkt. Gute Frage. Was denkst du?

Ich glaube, dass diese ganze katholische Symbolwelt weiterhin in uns steckt, auch wenn sich viele immer mehr abgestoßen fühlen. Zumindest bei uns in Österreich werden wir das nicht los.

Definitiv! Und insofern ist es für mich schon ein lang gehegter Wunsch, mich in irgendeiner Art und Weise daran explizit abzuarbeiten.

Nicole Marianna Wytyczak

Bleiben wir beim Expliziten. Als Filmfan und B-Movie-Liebhaber musste ich bei SANCTA vorab an das Genre der Nunsploitation-Filme denken. Das sind Softsex-Streifen aus den 70ern, die einerseits mit ihren Bildern von nackten und gequälten Nonnen natürlich extrem den Male Gaze bedienen. Andererseits waren diese Filme aber auch sehr blasphemisch und Kirchenkritisch. Sie stehen zwischen den Stühlen. Waren solche Werke im Vorfeld ein Thema für dich?

Florentina Holzinger - Figure 3
Foto FM4

Definitiv. Das ist sicher eine große Faszination in meinem Cast für diese Filme, wir machen schon sehr oft Nunsploitation-Filmabende (lacht). Da spielt ja auch diese Horrorebene rein, die Nonne ist ja sehr begehrt in diesem Genre. Und natürlich ikonische Filme wie „The Devils“ von Ken Russell, die sind definitiv Referenz für uns und für unsere Oper, auch Filme von Sorrentino und Leuten, die sich viel mit Kirche beschäftigen im Film.

Jetzt sind diese Nunsploitation-Filme aus den Siebzigern sexistisch, ekstatisch und aufklärerisch zugleich. Deine Stücke wie „Tanz“, A“ Divine Comedy“ oder jetzt „Sancta“ sind noch viel mehr parallel. Ist das für dich zentral, dass du nicht einer simplen ideologischen Ausrichtung folgst, stattdessen in ganz viele Richtungen gehst, verstörst und euphorisierst, auch in Fettnäpfchen trittst? Ist diese Gleichzeitigkeit ganz bewusst?

Andere Leute würden das so beschreiben, uns passiert das halt einfach so. Speziell beim Thema Kirche trifft das Profane ja auf das Sakrale. Ich glaube, wir haben uns noch nie so sehr in die Extreme zwischen High- und Low-Entertainment gewagt, wir hatten ziemlich viel Spaß daran beide Extreme voranzutreiben (lacht laut). Insofern ist es für uns wirklich ein interessantes Projekt - und natürlich sehr spezifisch im Umgang mit Musik. Zum ersten Mal ist bei einem Stück von uns ein riesiger Musiker:innen-Körper versammelt, allein die volle Hindemith-Besetzung sind so etwa 70 Leute im Orchester Graben. Spannend dabei festzustellen, wie gewaltsam Musik an und für sich sein kann, im speziellen Kirchenmusik. Und ich meine das jetzt natürlich im Negativen wie im sehr im positiven Sinne. Leute nennen unsere Arbeit ja öfter Überwältigungsstheater. Dieses Mal, glaube ich, kann ich das so unterschreiben (lacht).

Nicole Marianna Wytyczak

Die Kirche an sich ist ja spezialisiert auf Überwältigung. Und wenn du das jetzt noch mit deiner Kunst verbindet, wie hat sich das denn so bei den Proben angefühlt? Zum Beispiel wenn dieses Orchester auf deine Darstellerinnen trifft, was verschmilzt da - oder auch nicht?

Florentina Holzinger - Figure 4
Foto FM4

Der zweite Teil unserer Opernaufführung ist basierend auf Kirchenmusik, da spielen wir wirklich so ein bisschen die Pop-Klassiker der Kirchenmusik, Bach, Rachmaninoff, erweitert um unsere eigenen zeitgenössischen Komponisten, noch dazu mit einem 30-köpfigen Chor. Dieser Mix hat schon etwas sehr Krasses! Es fühlt sich so an, wie wenn man auf einer Welle surft. Ich als Surferin – na ja, nicht wirklich (schmunzelt) – kann das bestätigen, das ist schon sehr geil auf so einer Soundwelle surfen zu dürfen. Und ich hoffe natürlich, dass sich das auf ein Publikum überträgt. Aber da mache ich mir keine Sorgen, wenn da noch ein 70-köpfiges Orchester dazukommt. Das ist alles schon echt geil.

Ich komme noch mal zurück zu den Fettnäpfchen und der Ambivalenz. Ich habe das Gefühl, gesamtgesellschaftlich verschwinden Grauzonen, es gibt nur noch Schwarzweiß-Standpunkte, die Leute bekämpfen sich immer mehr. Wenn man man mit Künstler:innen spricht, aus allen möglichen Bereichen, dann ist die Ambivalenz aber ein kostbares Gut, siehst du das auch so ähnlich?

Ja, sehe ich schon so! Also wie gesagt, dass ist nicht etwas mit dem ich mich bewusst beschäftige, weder mit Ambivalenz noch Grauzonen (lacht). Andererseits geht es sogar bei uns im eigenen Team um Glaubensfragen. Wenn man da jetzt plötzlich mit so vielen Leuten vom Opernhaus konfrontiert ist, die einem auch ideologisch nicht zwangsläufig alle nahe sind, treffen dann wirklich alle möglichen Auffassungen aufeinander. Ich finde das cool. Viele Leute lesen unsere Show als kirchenkritisch, aber wir haben auch wirklich gläubige Leute dabei, im katholischen Sinn. Für mich ist es extrem wertvoll, Konversationen zu führen, Leute im dramaturgischen Team zu haben, die behaupten, dass sie gläubig sind. Sowas gibt es in der Kunstszene meist nicht, alle scheißen sich an von Glauben zu sprechen. Deshalb finde den Diskurs so wichtig.

Nicole Marianna Wytyczak

Florentina Holzinger - Figure 5
Foto FM4

Gehen wir zurück zur SANCTA, jetzt hast du eine Oper als Grundlage, aber wie geht es dann weiter? Ich habe das Gefühl, dir fliegen die Inspirationen ständig aus allen Richtungen zu…

Ich würde sagen, es gibt einige zentrale Elemente. Wir haben uns wirklich ein bisschen Zeit gelassen mit SANCTA, deswegen hat sich viel Material und Recherche angesammelt. Die riesige Glocke haben wir uns schon vor einem Jahr fast angeschafft, die habe ich in einer Gießerei in Tirol gefunden. Wir haben auch einen überdimensionierten Weihrauchschwenker. Und unser Ministrant ist niemand anderer als ein Industrieroboter.

Wenn du das alles beschreibst, denkt man sich auch: Die katholische Kirche erlaubt Dinge, die nicht jede Weltreligion erlauben würde. Nach einer ewigen Geschichte von Missbrauch, Unterdrückung oder Hexenverfolgungen scheint die Kirche zahmer geworden zu sein, da geht sich auch deine Oper aus. Die Kirche zieht die Kunst an und stößt sie ab, schon wieder haben wir es mit Ambivalenz zu tun.

Ja. Ich bin schon sehr gespannt darauf, mich mit Leuten zu unterhalten, die als Katholiken in SANCTA gehen, so viele werden es auch nicht sein (lacht). Uns war aber immer klar, dieses Thema werden wir nicht mit Samthandschuhen anfassen. Also erstens hat die Kirche wirklich so viel Dreck am Stecken, die müssen auch einstecken können. Zweitens findet wahrscheinlich sogar der Papst womöglich Monty Python lustig. Die Kirche wurde schon immer auf die Schippe genommen durch die Popkultur, da reihen wir uns in eine unglaublich lange Liste an anderen Künstler:innen ein, die das getan haben.

Nicole Marianna Wytyczak

Du hast den Weihrauchschwenker erwähnt. Menschen brauchen Rituale. Die Kirche hat die immer geliefert, wie fast jede andere Religion. Man könnte auch Analogien ziehen zwischen Schamanismus, Voodoo, performativen Industrialshows, Rockkonzerten und ekstatischen Raves. Aber deine Stücke gehen noch weiter, oder? Mit Hilfe von diesem Ritualaspekt errichtest du einen utopischen Raum für das Publikum, das ist doch sehr wichtig?

Ich will jetzt nicht so pathetisch klingen, weil natürlich wir als Post-Generation von Theatermacher:innen alles nicht ganz so ernst nehmen. Allerdings, natürlich ist für mich dieser Theaterraum etwas, dass einer Messe sehr nahe kommt. Da gibt es schon Gemeinsamkeiten. Das Ziel des Gestus des Priesters ist es, die Göttlichkeit in den Raum zu zeichnen, wurde mir gesagt. Und das ist ja, was Tanz auch will - oder ich als Choreografin. Ja, ich will nichts Geringeres.

Publiziert am 11.06.2024

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