Spiel eins nach Trainer-Beben: Kane lässt Tuchel und die Bayern ...
Geklärte Verhältnisse, eine neue Geschäftsgrundlage für den Trainer? Thomas Tuchel, der nach dem Saisonende den FC Bayern verlassen wird, hob am Tag vor dem Heimspiel gegen RB Leipzig nach zuvor drei Niederlagen seine „Freiheit in den Entscheidungen“ hervor, eine „Freiheit, wie man agiert“, gepaart mit der Möglichkeit, „ein bisschen rücksichtsloser zu sein“.
War also die vom Vorstandsvorsitzenden Jan-Christian Dreesen am Mittwoch verkündete Trennung krampflösend beim manchmal allzu empfindlichen Fußballlehrer und seinen zuletzt nahezu verhuscht anmutenden Fußballstars, oder steckte der deutsche Dauermeister weiter fest in seinem Formtief? Diese und andere Fragen rund um eine vertrackte Beziehungsgeschichte harrten vor dem Topduell mit RB Leipzig stimmiger Antworten, die nur auf dem Platz gegeben werden konnten.
Alle wissen jetzt, woran sie sind – und doch weiß noch niemand, ob sich die Partner nicht doch vielleicht eher trennen werden als am Mittwoch verkündet. Der hart erkämpfte und schließlich auch herausgespielte 2:1-Sieg des Tabellenzweiten über die Sachsen durch die Saisontore 26 und 27 ihres überragenden Angreifers Harry Kane (56. Minute, 90.+1.) linderte das Leid der Münchner fürs Erste, auch wenn der Abstand zu den mit acht Punkten Abstand führenden Leverkusenern weiter groß bleibt. Die enttäuschten Leipziger dagegen, für die Sesko das 1:1 schoss (70.), verharren auf Rang fünf und waren ob der Dramaturgie des Spiels am Ende ziemlich traurig.
Harry Kane lässt München jubelnOb der Erfolg ein Brustlöser gewesen sei, wurde Tuchel nach dem Spiel beim Sender Sky gefragt. „Werden wir sehen“, sagte er, „wenn wir Taten folgen lassen. Der späte, wichtige Sieg tut den Spielern gut. Wir müssen jetzt nachlegen und nachlegen.“ Der Münchner Kapitän Manuel Neuer hielt fest, dass „die bessere Mannschaft gewonnen“ habe: „Klar hört sich das nach Bayern-Dusel an, aber ich glaube, dass es einfach verdient war.“ Er übte als Anführer der Mannschaft Selbstkritik nach einer Woche, in der vor allem Trainer Tuchel im Blickpunkt stand. „Es ist auch unsere Verantwortung, wenn ein guter Trainer entlassen wird. Da muss jeder Einzelne ein schlechtes Gewissen haben.“ Auch der Ur-Bayer Thomas Müller wies darauf hin, dass „man sieht, dass das Tischtuch nicht völlig zerschnitten ist“.
Dem Trainer der Münchner fehlten gleich sieben verletzte und ein gesperrter Spieler (Upamecano) für das Duell mit dem ähnlich ambitionierten Tabellenfünften, der zuletzt im nationalen Supercup (3:0) und in der Liga (3:1) zweimal deutlich in München gewonnen hatte. Was Tuchel in den ersten 45 Minuten mit den 75.000 Zuschauern in der ausverkauften Bayern-Arena zu sehen bekam, war nur ausnahmsweise prickelnd. Genauer gesagt in zwei Szenen, in denen der für den angeschlagenen Gulacsi (Bauchmuskelzerrung) ins Tor zurückgekehrte Janis Blaswich den Spielverderber gab. Zunächst bei Harry Kanes Kopfball (5.) nach Raphael Gurreiros punktgenauer Flanke, den der Leipziger Keeper gegen den Pfosten lenkte, und dann bei Leroy Sanés Sololauf, als Blaswich den Winkel des Schützen in spe immer mehr verkürzte, ehe er sich schließlich den Ball angelte (34.).
Der Rest war eher zähe Kost, aufgelockert durch einen Fallrückzieher Kanes (42.), der Blaswich vor keine Probleme stellte. Die Bayern bestimmten ein Spiel, dem die letzte Wucht und Entschlossenheit ebenso fehlte wie ein zündender Gedanke, der das beiderseits nicht allzu flotte Spiel hätte ins Rollen bringen können. Die Leipziger beschränkten sich auf solide Defensivarbeit, ohne ein einziges Mal offensiv zu glänzen.
Das bis dahin beiderseits krampfhafte Bemühen mündete in eine zweite Hälfte, in der beide Mannschaften zielstrebiger und ansehnlicher anmuteten. Zunächst schalteten die 45 Minuten lang passiven Sachsen in den Attackemodus und besaßen binnen weniger Augenblicke gleich drei Torgelegenheiten durch Haidaras Distanzschuss und Simakans Direktabnahme nach Raums Eckball (53.) sowie Xavis Distanzschuss, den Neuer wie Haidaras Versuch parierte (55.). Der Nationaltorwart fing danach sogar Seskos Heber, als er das Eins-gegen-Eins-Duell gewann (61.).
Dann aber zeigte der Bundesliga-Schützenkönig Harry Kane allen, wie man Tore ebenso cool und präzise schießt. Eine unfreiwillige Vorlage des Leipzigers Xaver Schlager aus einem Zweikampf mit Jamal Musiala wertete der Engländer mit einem Linksschuss in rechte Toreck zum Münchner Führungstreffer um. Ein Treffer, der dem nun hin und her wogenden Spiel guttat. Beide Teams befreiten sich minütlich mehr aus ihrem qualitativen Stillstand. Auch die Leipziger, die durch Benjamin Seskos Flachschuss, den Leon Goretzka noch abfälschte, den Ausgleich schafften.
Es ging weiter hin und her, und mit etwas mehr Präzision hätte Kane zum zweiten Mal treffen können. Sein Kopfball indes war eine Spur zu hoch angesetzt (80.). Machte aber nichts, da Kane in der Nachspielzeit Versäumtes nachholte und mit einem sehenswerten Volleyschuss das Spiel auf die Seite des endlich mal wieder von den Fans gefeierten FC Bayern München zog.