Leserbriefe vom 23. November 2023
Warum der Kontakt zur Erbenfamilie Cassirer nicht vor Ausstellung des Bildes hergestellt wurde: In seinem Text „Abgerechnet wird zum Schluss“ (F.A.Z. vom 10. November) verschweigt Hubertus Butin leider Informationen, die ihm von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) in ausführlichen Antworten zur Verfügung gestellt wurden.
Nach Erstellung eines ersten Provenienzdossiers 2019 war zwar wahrscheinlich (Indizien, wie der Autor selbst schreibt!), jedoch nicht nachweisbar, dass das Werk, das sich in der Nationalgalerie befindet, dasselbe war wie jenes, das auf der Auktion 1944 versteigert wurde. Vor diesem Hintergrund wurden erneut Forschungen betrieben, denn bei Fragen des Raubkunstverdachts und Restitutionen geht es auch darum, das richtige Werk zurückzugeben – die sogenannte Frage der Werkidentität. Diese Nachforschungen nahmen mehr Zeit in Anspruch als erwartet, auch weil nötige Unterlagen zeitweise durch ein Projekt gebunden waren und nicht zur Verfügung standen. Trotz des weiterhin nicht vorliegenden Nachweises der Werkidentität sollen nun, da alle bekannten Quellen geprüft wurden, die Erbenvertreter angesprochen werden, um eine faire und gerechte Lösung entsprechend der Washingtoner Prinzipien zu finden. Dass die SPK bereits 2002 ein Konvolut von 156 Werken an die Erben von Bruno Cassirer zurückgegeben hat und 2016 selbst auf die Familie zugegangen ist und nochmals 26 wertvolle Bücher an die Familie restituiert hat, ist für Herrn Butin nicht berichtenswert. Ebenso wenig erwähnt er, dass die Stiftung hier erneut von einer Restitution ausgeht und das Werk deshalb bereits nicht mehr in den kürzlich erschienenen Bestandskatalog aufgenommen wurde.
Dass eine Ansprache der Familie nach Abschluss der Nachforschungen zügiger hätte erfolgen können, ist eine berechtigte Kritik, der wir uns nicht verschließen; der Kontakt ist mittlerweile hergestellt. Eine ausgewogene Berichterstattung stellen wir uns aber anders vor.
Professor Dr. Hermann Parzinger, Präsident, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin
In seinem Leserbrief „Gründe für das Jein“ (F.A.Z. vom 16. November) versucht Botschafter a. D. Dr. Dietrich von Kyaw, die Stimmenthaltung der Bundesrepublik in der Abstimmung am 28. Oktober über eine UN-Resolution zum Geschehen in Gaza zu verteidigen, die die Hamas nicht nennt und ihren Terror nicht bezeichnet.
Staatssekretär Dr. Jürgen Sudhoff hat am 6. November, ebenfalls in einem Leserbrief an die F.A.Z., dieses Abstimmungsverhalten scharf kritisiert. Das Argument von Dr. Dietrich v. Kyaw lautet letztlich, ein deutsches Nein bei gleichzeitigem französischen Ja hätte die „krasse Spaltung“ (v. Kyaw) der europäischen Partner in der Gaza-Frage sichtbar gemacht; die Bundesregierung habe dies vermeiden wollen, um „Probleme nicht noch zu vergrößern, sondern den Zusammenhalt der Union weitmöglichst zu wahren“.
Dies freilich ist genau der Vorwurf, der gegen die Bundesregierung gerichtet wird, nämlich die Differenzen verschleiern und den unrichtigen Eindruck erwecken zu wollen, die Staaten der Europäischen Union verfolgten eine einheitliche Politik. Allerdings gab es bereits vor der Abstimmung eine mühsam ausgehandelte Position der EU, von der der UN-Resolutionsentwurf abwich, indem er die Hamas nicht benannte. Schlimmer ist noch, dass Frankreich von vornherein auf jegliche Anstrengungen verzichtete, in der UN-Generalversammlung ein gemeinsames Abstimmverhalten der EU-Staaten herbeizuführen, und seinen Partnern lediglich mitteilte, wie Frankreich abstimmen werde, ungeachtet der EU-Position. Die von Botschafter a. D. v. Kyaw befürchtete „Bankrotterklärung“ einer gemeinsamen EU-Außenpolitik lag also bereits auf dem Tisch.
Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Enthaltung kein Ansehen, kein Gewicht und erst recht keine Position verschafft, zwischen den Gegensätzen zu vermitteln. Sie hat sich den Platz zwischen den Stühlen ausgesucht, auf dem man freilich unsanft auf dem Parkett landet. Die UN-Resolution geht über den Hamas-Terror hinweg und macht die UN zum Komplizen, aber für das Verhalten der Bundesregierung gilt das Wort des Altmeisters der französischen Diplomatie: „Pire qu’un crime – une gaffe.“ Ein kapitaler Fehler. Friedrich Wolf, Essen
Der Leserbrief „Misere der Stromversorgung“ von Dr.-Ing. Frank Leschhorn in der F.A.Z. vom 16. November enthält zwei gravierende Fehler. Deshalb wäre es schön, wenn man diese richtigstellen könnte: Politisch hat Dr. Leschhorn natürlich recht. Aber leider macht er auch zwei Aussagen, die technisch unhaltbar sind. Zum einen ist es unmöglich, dass Windstrom das Netz verstopft (Ähnliches hatte die Grüne Göring-Eckhardt bereits über „Atomstrom“ behauptet).
Das Netz nimmt grundsätzlich in jedem beliebigen Zeitpunkt exakt so viel Strom auf, wie von den Verbrauchern angefordert wird. Wird mehr Strom produziert als angefordert, muss sich ein Abnehmer finden, der den Strom übernimmt (wie beispielsweise die Niederlande, die dafür ihre Kraftwerke herunterfahren müssen, was deren Wirtschaftlichkeit beeinträchtigt, weshalb unsere Nachbarn den Strom nur abnehmen, wenn wir ihnen einen angemessenen Ausgleich zahlen). Findet sich kein Abnehmer, müssen Windräder heruntergefahren werden.
Seitdem in Deutschland politisch gewollt Windstrom Vorrang hat, führt dessen Volatilität deshalb das gesamte Jahr über zu extremem Stress bei den Mitarbeitern der Lastverteiler. Zum anderen wird die Aussage, Kernkraftwerke seien unflexibel, auch durch noch so häufige Wiederholung nicht richtig. Dazu muss man sich nur die Betriebsdiagramme der deutschen Kernkraftwerke über die vergangenen zehn Jahre anschauen, um zu sehen, dass die meisten seitdem ständig Lastfolge fahren (eben wegen des Windstrom-Vorrangs).
Im Jahr 1984 war ich Teil der Inbetriebsetzungsmannschaft des Kernkraftwerks Krümmel. Damals konnten wir – das war Teil der normalen IBS-Überprüfungen – den Reaktor über die Umwälzregelung in Sekunden um 300 Megawatt runter- und wieder rauffahren. Besonders Kernkraftwerke mit Siedewasserreaktor sind bestens für Lastfolgebetrieb geeignet. Nur nutzt kein vernünftiger Stromversorger diese Möglichkeit, weil Kernkraftwerke wegen der geringen spezifischen Brennstoffkosten am wirtschaftlichsten im Grundlastbetrieb gefahren werden. Technisch ist aber Lastfolge absolut kein Problem. Knut G. Emmert, Frankfurt am Main
Zu „Wasserstoffnetz für 20 Milliarden Euro“ (F.A.Z. vom 15. November): Wenn man sieht, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die neuen Wasserstoffpläne der Presse vorstellt, mit Pappkarton und Zeigefinger, dann wird es einem bei dem Gedanken an die versprochene beschleunigte Digitalisierung in Deutschland angst und bange. Hans Schaefer, Bad Soden
Zweite SäuleZum Interview „Bei uns werden alle steuerlich entlastet“ mit Carsten Linnemann (F.A.Z. vom 21. November): Die als „zweite Säule der Alterssicherung“ will die CDU laut ihrem Generalsekretär stärken. Es gibt schon viele Tausend Arbeitnehmer, die privat mit Direktversicherungen oder über Betriebsrenten fürs Alter vorgesorgt haben. Dafür müssen sie als Rentner jetzt noch die Kassenbeiträge zahlen. So wird die „zweite Säule“ nicht gestärkt, sondern umgehauen. Die CDU war seinerzeit an der unsozialen nachträglichen Verbeitragung maßgeblich beteiligt. Berthold Merkle, Villingen-Schwenningen
Fahrtauglich?Zu „Wissings Stoppzeichen“ von Heike Göbel in der F.A.Z. vom 13. November: Das hat nichts mit Gängelei zu tun, sondern dient der Sicherheit unschuldiger Menschen. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft haben ältere Fahrer drei schwere Unfälle verursacht mit Personenschaden. Wenn ich auf dem Supermarktplatz ältere Verkehrsteilnehmer sehe, die anschließend einen Rollator aus dem Kofferraum holen, dann stockt mir der Atem. Ich bin selbst 69 und bin sofort bereit, eine entsprechende Überprüfung zu leisten. Was Frau Göbel hier toll findet, ist falsch verstandene Liberalität. Dieter Bröer, Ahlen