EZB-Zinsentscheid: EZB tastet Leitzins nicht an

14 Dez 2023
Die Europäische Zentralbank verlängert die Zinspause und belässt den Leitzins bei 4,5%.

Publiziert heute um 14:20 UhrAktualisiert vor 1 Stunde

Die EZB ist im Kampf gegen die hohe Inflation aller Voraussicht nach auf dem Zinsgipfel angekommen.

Die EZB ist im Kampf gegen die hohe Inflation aller Voraussicht nach auf dem Zinsgipfel angekommen.

Bild: Boris Roessler/DPA/Keystone

Die EZB lässt angesichts abebbender Inflation und schwächelnder Konjunktur die Zinsen unverändert und kündigt ein allmähliches Zurückfahren ihrer Anleihenkäufe im kommenden Jahr an. Die Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag auf ihrer letzten geldpolitischen Sitzung im laufenden Jahr, den Leitzins bei 4,5% zu belassen. Der am Finanzmarkt massgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, bleibt weiter auf dem Rekordniveau von 4%. «Die zukünftigen Beschlüsse des EZB-Rats werden dafür sorgen, dass die Leitzinsen so lange wie erforderlich auf ein ausreichend restriktives Niveau festgelegt werden», erklärten Lagarde & Co.

Aus Sicht von Commerzbank-Volkswirt Jörg Krämer ist das Inflationsproblem noch lange nicht gelöst. «Hoffentlich belässt die EZB ihre Leitzinsen lange genug auf dem derzeitigen Niveau» kommentierte er den Zinsbeschluss. Die EZB dürfe nicht wegen ein paar überraschend niedriger Inflationsdaten einknicken, merkte er an. Für Ökonom Friedrich Heinemann vom Forschungsinstitut ZEW ist nun die weitere Inflationsentwicklung entscheidend. «Wenn es im Januar keinen deutlichen Rückschlag bei der Inflation gibt, dürfte sich der Weg für eine erste Zinssenkung im Frühjahr öffnen,» glaubt der Experte.

Am Finanzmarkt spriessen bereits die Zinssenkungsfantasien ins Kraut. Aus den Notierungen am Geldmarkt geht hervor, dass Investoren dort bereits auf eine erste Zinssenkung schon im März 2024 wetten. Ein Schritt nach unten im April ist sogar bereits zu 100% in den Kursen enthalten. In der jüngsten Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters waren 57% der befragten Volkswirte davon ausgegangen, dass die EZB 2024 mindestens einmal vor ihrer Juli-Zinssitzung die Zinsen senken wird.

Daten sollen EZB leiten

Die EZB will bei der Festlegung der richtigen Höhe und Dauer des restriktiven Zinsniveaus auch künftig datengestützt vorgehen. Zugleich kündigten die Währungshüter an, die Anleihenkäufe aus ihrem Pandemieprogramm PEPP im kommenden Jahr langsam auf Null zurückzufahren und so die Notenbankbilanz weiter zu verringern. So sollen die vollumfänglichen Reinvestitionen nur noch bis Ende des ersten Halbjahres 2024 fortgesetzt werden. Im zweiten Halbjahr soll dann das PEPP-Portfolio im Schnitt um monatlich 7,5 Mrd. € verringert und die Käufe zum Jahresende dann komplett eingestellt werden. Bislang sollten die Reinvestitionen noch vollumfänglioch bis mindestens Ende 2024 laufen.

Die Währungshüter hatten bereits auf ihrer geldpolitischen Sitzung im Oktober in Athen an den Schlüsselsätzen nicht gerüttelt. EZB-Chefin Lagarde hatte im November die Erwartung ausgesprochen, dass es bei den Sätzen voraussichtlich in den nächsten Quartalen keine Änderung geben werde. Ähnlich hatte sich auch Frankreichs Notenbank-Chef Francois Villeroy de Galhau geäussert.

Zinsstakkato zeigt Wirkung

Das Stakkato von zehn Zinsanhebungen seit Juli 2022 zeigt inzwischen deutlich Wirkung. Im Oktober schrumpfte die Kreditvergabe der Banken an Firmen sogar erstmals seit acht Jahren wieder. Die Inflation ist im November auf 2,4% zurückgegangen – das ist das niedrigste Niveau seit Juli 2021. Das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent rückt damit mehr und mehr in Reichweite. Bei der Zinsentscheidung dürften auch Konjunktursorgen eine Rolle gespielt haben. Von Juli bis September war die Wirtschaftsleistung im Euroraum im Vergleich zum Vorquartal um 0,1% geschrumpft. Und eine schnelle Besserung ist nicht in Sicht. Die EZB muss daher aufpassen, dass sie die Wirtschaftsaktivitäten nicht komplett abwürgt.

In den USA hielt die US-Notenbank Federal Reserve am Mittwochabend ebenfalls ihre Füsse still. Die Währungshüter um Fed-Chef Jerome Powell beschlossen den geldpolitischen Schlüsselsatz in der Spanne von 5,25 bis 5,5% zu belassen. Zugleich signalisierten sie in ihren Ausblick für 2024, dass die Zinsen nach unten gehen werden. Im Mittel geht die Fed davon aus, dass der Leitzins nächstes Jahr um 0,75 Prozentpunkte sinken wird. Das schürte Zinssenkungsspekulationen: An den Terminmärkten wird nun bereits für den März mit einer ersten Zinssenkung der Fed gerechnet. Insgesamt erwarten Händler, dass der US-Leitzins 2024 um mehr als einen Prozentpunkt gesenkt wird.

Ökonomenstimmen zum EZB-Zinsentscheid

Clemens Fuest, Ifo-Institut: «Die Inflation bewegt sich derzeit auf das Ziel von 2% zu. Deshalb ist es richtig, die Zinsen nicht weiter zu erhöhen. Es wäre aber noch zu früh, die Zinsen schon wieder zu senken, weil es nach wie vor Inflationsrisiken gibt. Das sind vor allem die derzeit kräftig steigenden Löhne, die insbesondere bei Dienstleistungen zu höheren Preisen führen.»

Friedrich Heinemann, Zew-Institut: «Die Börse feiert bereits Zinssenkungen, die es bislang nur in den Köpfen gibt. Der EZB kommt diese Zins-Euphorie ungelegen. Denn mit den Erwartungen sinkender Leitzinsen sind die längerfristigen Zinsen bei Hypotheken und Unternehmenskrediten bereits deutlich gefallen. Das ist aber geldpolitisch derzeit noch nicht gewollt. Es erscheint paradox, aber je früher die EZB-Beobachter Zinssenkungen erwarten, desto länger könnte es tatsächlich bis zum ersten Schritt nach unten dauern. Entscheidend für die weitere Meinungsbildung dürften die Januar-Inflationszahlen werden. Wenn es im Januar keinen deutlichen Rückschlag bei der Inflation gibt, dürfte sich der Weg für eine erste Zinssenkung im Frühjahr öffnen.»

Alexander Krüger, Hauck Aufhäuser Lampe: «Einen Flirt mit Zinssenkungen führt die EZB nicht. Warum auch, ein beständig preisstabiles Umfeld wird sich vorerst kaum einstellen. Mit ihrem datengestützten Ansatz wird die EZB die Lage zinsseitig weiter abwarten. Spielraum hierzu besteht, da Konjunktur und Schuldentragfähigkeit nicht einzubrechen drohen. Die Notwendigkeit einer streng restriktiven Geldpolitik dürfte demnächst aber zusehends hinterfragt werden. Das frühzeitigere Abschmelzen des PEPP macht eine Zinssenkung vor September wahrscheinlicher.»

Ulrich Kater, Dekabank: «Der völlig überraschende Schwenk der US-Notenbank Richtung baldiger Zinssenkungen setzt die EZB auf einmal unter enormen Druck, ihre Geldpolitik früher zu lockern als ihr lieb sein kann. Es wird eng für die Falken im EZB-Rat, die lieber noch eine weitere Beruhigung der Inflation abwarten wollen. Der Höhenflug der Leitzinsen ist wahrscheinlich schneller vorbei als viele Analysten geglaubt haben. Damit nehmen die Belastungen für Unternehmen, Finanzmärkte und insbesondere die Immobiliensektoren ab.»

Jörg Krämer, Commerzbank: «Hoffentlich belässt die EZB ihre Leitzinsen lange genug auf dem derzeitigen Niveau. Sie darf nicht wegen ein paar überraschend niedriger Inflationsdaten einknicken. Denn die Inflation sinkt vor allem deshalb, weil die massiven Preisanstiege bei Energie und Nahrungsmitteln sowie die Materialengpässe abebben. All das bremst zurzeit sogar die Preise für Dienstleistungen. Aber wegen der stark steigenden Löhne dürfte sich die Inflation später im kommenden Jahr eher bei drei als bei zwei Prozent einpendeln. Das Inflationsproblem ist noch lange nicht gelöst.»

AWP

Fehler gefunden?Jetzt melden.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche