Weitere Lockerung: EZB senkt Leitzinsen heuer zum zweiten Mal

12 Sep 2024

Weitere Lockerung

Die Europäische Zentralbank (EZB) senkt nach der geldpolitischen Wende im Juni abermals ihre Leitzinsen. Der für die Finanzmärkte maßgebliche Einlagesatz wurde um 0,25 Prozentpunkte nach unten gesetzt. Der Hauptrefinanzierungssatz und der Spitzenrefinanzierungssatz sanken um jeweils 0,6 Prozentpunkte. Das teilte die EZB am Donnerstag in Frankfurt mit. Die Entscheidung sei einstimmig gefallen. Wie es mit der Geldpolitik im Oktober weitergeht, ließ EZB-Chefin Christine Lagarde offen.

EZB - Figure 1
Foto ORF

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Der Einlagezins legt fest, zu welchem Zinsatz Banken bei der EZB kurzfristig überschüssige Gelder parken können. Er gewann zuletzt an Bedeutung und gilt laut EZB inzwischen als wichtigster Zinssatz. Mit der nun verkündeten Zinssetzung sinkt er auf 3,5 Prozent.

Wegen einer technischen Umstellung sanken die beiden weiteren Leitzinssätze, der Hauptrefinanzierungssatz und der Spitzenrefinanzierungssatz, stärker, um jeweils 0,6 Prozentpunkte. Damit liegt der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld von der EZB leihen können, bei nun 3,65 Prozent, der Zins zur kurzfristigen Beschaffung von Geld, der Spitzenrefinanzierungssatz, bei 3,9 Prozent.

Dass der Schritt nach unten größer ausfällt als beim Einlagesatz, ergibt sich aus bereits im Frühjahr beschlossenen Änderungen am operativen Rahmen der EZB. Damals hatte sie für Mitte September beschlossen, den Abstand zwischen dem Einlage- und dem Hauptrefinanzierungssatz zu verkleinern. Die EZB will damit Anreize zur Teilnahme an ihren wöchentlichen Kreditgeschäften schaffen und zugleich den Umfang von Marktzinsschwankungen begrenzen.

Finanzwelt reagiert positiv

Die zweite Zinssenkung in diesem Jahr stieß in der Finanzwelt und bei der Wirtschaft weitgehend auf ein positives Echo. Vertreter der Lobby der Banken, die mit höheren Zinsen mehr Geld verdienen, warnten aber – ebenso wie einige Ökonomen –, dass die Währungshüter ihre Geldpolitik nicht zu schnell weiter lockern dürften. Die europäischen Leitbörsen reagierten mit deutlichen Zuwächsen auf die Zinssenkung.

Die Banken im Euro-Raum verfügen noch über rund drei Billionen Euro an Überschussliquidität, die sie bei der EZB parken können. Mit der Zeit dürfte diese abnehmen, und die Banken könnten dazu übergehen, Geld verstärkt bei der EZB zu leihen. Der engere Zinskorridor soll der EZB dabei helfen, die Marktzinsen besser zu steuern.

Mit den Leitzinssenkungen wird zugleich die Aufnahme von Krediten für Unternehmen tendenziell günstiger, während Spareinlagen wie Tages- und Festgeld weniger abwerfen. Vor der Zinswende vom Juni hatte die Zentralbank in Frankfurt lange Zeit im Kampf gegen die Inflation die Zinsen hoch gehalten, um die Teuerung im Euro-Raum zu begrenzen.

Angesichts abnehmender Inflationsgefahr setzt die EZB ihre Zinssenkung vom Juni fort Inflation weiter gesunken

Sinkende Energiepreise drückten die Inflationsrate im August auf 2,2 Prozent, den niedrigsten Stand seit gut drei Jahren. Im Vormonat Juli war sie noch bei 2,6 Prozent gelegen. All das ist aber nichts verglichen mit den Rekordwerten von fast elf Prozent im Oktober 2022. Eine abgeschwächte Inflation und eine schwächelnde Wirtschaft in der Euro-Zone seien „das beste wirtschaftliche Umfeld für eine Zinssenkung“, sagte ING-Analyst Carsten Brzeski im Vorfeld.

Niedrigere Zinsen könnten in Ländern wie Österreich und Deutschland, wo die Konjunktur am Boden liegt, stimulierend auf die Wirtschaft wirken. Gleichzeitig verlangsamte sich das Lohnwachstum im Euro-Raum im zweiten Quartal dieses Jahres etwas. Die steigenden Gehälter waren eine Hauptsorge der EZB bei vergangenen Sitzungen gewesen.

EZB bekräftigt Zweiprozentziel

Die Fachleute der EZB gehen nun wie bereits in den Projektionen vom Juni davon aus, dass die Gesamtinflation im Euro-Raum dieses Jahr bei 2,5 Prozent landen und 2025 auf 2,2 Prozent sinken wird. 2026 sollen es 1,9 Prozent sein. Die EZB-Experten erwarten allerdings, dass die Inflation im letzten Teil des laufenden Jahres wieder ansteigen wird.

Das sei zum Teil darauf zurückzuführen, dass vorangegangene starke Rückgänge der Energiepreise aus den Jahresraten herausfallen: „Die Inflation dürfte dann im Laufe der zweiten Hälfte des nächsten Jahres in Richtung unseres Zielwerts von zwei Prozent zurückgehen.“

Ökonomen erwarten weniger Wachstum

Die Notenbank-Ökonomen erwarten zudem für dieses Jahr nur noch ein Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone von 0,8 Prozent. 2025 soll beim Bruttoinlandsprodukt ein Plus von 1,3 Prozent und 2026 von 1,5 Prozent herausspringen. Im Juni waren die EZB-Ökonomen noch von Werten von 0,9 Prozent für 2024, 1,4 Prozent für 2025 und 1,6 Prozent für 2026 ausgegangen.

Begründet wird die Abwärtskorrektur mit einem schwächeren Beitrag der Binnennachfrage. „Die Finanzierungsbedingungen bleiben restriktiv, und die Konjunktur ist nach wie vor gedämpft, worin sich der schwache private Konsum und die schwache Investitionstätigkeit widerspiegeln“, hieß es dazu.

Zinswende im Juni eingeleitet

Die EZB hatte im Juni die Zinswende eingeleitet und erstmals seit der Inflationswelle die Leitzinsen gesenkt. Zuvor hatte die Notenbank zehnmal in Folge die Zinsen nach oben geschraubt, um die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hoch geschossene Teuerung in den Griff zu bekommen.

Eine höhere Teuerung schmälert die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Zugleich will die Notenbank geringere Raten oder gar sinkende Verbraucherpreise (Deflation) vermeiden: Sie bergen die Gefahr, dass Firmen wie Konsumenten Anschaffungen verschieben, da sie noch niedrigere Preise erwarten.

Zukunft bleibt offen

Laut Lagarde wurde der Zinsbeschluss einstimmig gefasst. Wie es mit der Geldpolitik weitergeht und ob es bald eine weitere Zinssenkung geben wird, ließ die EZB-Chefin vor der nächsten Sitzung im Oktober aber offen. Die EZB sei aber nicht vorab festgelegt – weder in Bezug auf den Zeitpunkt noch auf den Umfang eines nächsten Zinsschritts. Das hänge von den Konjunkturdaten ab. „Wir entscheiden von Sitzung zu Sitzung“, so Lagarde.

In den Vereinigten Staaten wird für den 18. September mit der Zinswende gerechnet. Dort hält die Federal Reserve den geldpolitischen Schlüsselsatz derzeit noch in einer Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent.

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