Ein Schlag für Kreditnehmer und ein Risiko für die Konjunktur: Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöhte im Kampf gegen die Inflation den Leitzins am Donnerstag um weitere 0,25 Prozentpunkte. Und schon steht die nächste Frage im Raum: Wie geht sie nun im Herbst vor?
Einen Tag, nachdem die US-Notenbank Fed den geldpolitischen Schlüsselzins wie erwartet um einen viertel Prozentpunkt auf die neue Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent gehoben hatte und die Aktien weltweit am Donnerstag auf ein 15-Monats-Hoch gestiegen waren, blickte die Welt gespannt Richtung Frankfurt, wie denn nun die dortige Europäische Zentralbank (EZB) vorgehen würde. Und auch sie entsprach den Erwartungen, wie nun am Nachmittag bekannt wurde. Die europäischen Währungshüter hoben im Kampf gegen die von ihnen wesentlich mitverursachte Inflation den Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB besorgen können, ebenso um 0,25 Prozentpunkte auf nunmehr 4,25 Prozent an. So hoch war der Leitzins zuletzt zu Beginn der weltweiten Finanzkrise Anfang Oktober 2008.
Es ist dies bereits die neunte Anhebung in Folge, seit die EZB im Sommer 2022 auf einen steilen Straffungskurs umgeschwenkt ist. Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, steigt damit von 3,50 Prozent auf 3,75 Prozent.
Für Kreditnehmer ist dies eine weitere schlechte Nachricht, da sich Geldaufnahme entsprechend und sofort verteuern wird. Für Sparer wäre die Nachricht grundsätzlich eine gute, würden die Banken die höheren Sparzinsen mit gleicher Geschwindigkeit weitergeben, was allerdings nicht der Fall ist. Und über allem steht nun noch mehr die Frage im Raum, wie sehr die höheren Zinsen die Konjunktur weiter schwächen werden – der Preis für den Kampf gegen die zuvor entglittene Inflation. Die Konjunktur im Euroraum hat sich inzwischen ohnehin schon merklich eingetrübt. Und die jüngsten Konjunkturbarometer und Kreditvergabe-Daten weisen auf eine weitere Abschwächung hin
Wie macht die EZB weiter?War der jetzige Zinsschritt erwartet worden, so versucht der Markt nun zu verstehen, wie die EZB weitermachen will. Deren Chefin Christine Lagarde beschränkte sich gestern auf die Aussage, einen flexiblen Zinskurs steuern zu wollen. Im September könne es eine Erhöhung geben oder auch eine Pause, sagte sie auf der Pressekonferenz nach der Zinssitzung. Eine Senkung sei jedoch ausgeschlossen. Ansonsten sei nichts „definitiv“, vielmehr werde sich der EZB-Rat von der Datenlage leiten lassen. Die gesamte Führungsriege der EZB sei fest entschlossen, die Inflation in den Griff zu bekommen.
Zwar ist die Inflation inzwischen von 6,1 Prozent im Mai auf 5,5 Prozent im Juni gesunken, was weit unterhalb der Höchststände des Vorjahres liegt. Sie ist damit aber immer noch mehr als doppelt so hoch wie das Stabilitätsziel der Notenbank von zwei Prozent. Zudem ist die Kerninflation, in der die schwankungsreichen Preise für Energie und Lebensmittel ausgeklammert bleiben, im Juni auf 5,5 Prozent gestiegen von 5,3 Prozent im Mai.
Mutmaßungen der Experten„Eine harte Landung der Wirtschaft mit deutlichen Einkommensverlusten zeichnet sich zwar noch nicht ab, aber die Konjunktur ist erkennbar angeschlagen“, sagte gestern Michael Heise, Chefvolkswirt bei HQ Trust, zu Reuters: „Daher dürfte im September eine Zinspause eingelegt werden.“
„Die EZB hat im Kampf gegen die Inflation wirkungsvoll Zähne gezeigt, die Inflationsrate hat sich gegenüber ihrem Höchststand etwa halbiert. Aus Risikomanagementperspektive spricht nach so starken Zinsanhebungen vieles dafür, jetzt zunächst die realwirtschaftlichen Effekte abzuwarten und eine Pause einzulegen, um die Auswirkungen der Zinserhöhungen valide bewerten zu können“, meint Moritz Schularick, Präsident des deutschen Instituts für Weltwirtschaft (IFW): „Die Effekte der Zinserhöhungen sind inzwischen deutlich sichtbar: Der Immobilienmarkt ist eingebrochen, und die Firmenkreditvergabe ist deutlich gefallen. Die Wolken am Konjunkturhimmel verdunkeln sich.“
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank, sekundiert: Man sei „in einem geldpolitischen Unschärfebereich, in dem man eine ganze Zeit abwarten muss, ob die bisherige Dosis an Zinserhöhungen ausreicht, um die Inflation auch langfristig auszutreiben.“
Powell ließ sich nicht in die Karten blickenAuch in den USA wird über die weitere Zinspolitik der dortigen Fed gerätselt. Am Mittwoch hatte sich Fed-Chef Jerome Powell diesbezüglich nicht in die Karten schauen lassen: „Wir müssen bereit sein, die Zinsen weiter anzuheben, wenn wir das für angemessen halten“, sagte er auf der Pressekonferenz nach dem US-Zinsentscheid vom Mittwoch. Es sei jedoch nicht die Zeit, eine Prognose zum weiteren Kurs abzugeben. Eine gerade von Aktienanlegern herbeigesehnte Lockerung in diesem Jahr ist für ihn aber noch kein Thema: „Ich glaube nicht, dass es dieses Jahr Senkungen gibt“, sagte er. Es sei zudem weiterhin wahrscheinlich, dass die Zinsserie der Fed die US-Konjunktur nicht abwürge und somit eine weiche Landung möglich sei. Die zuständige Fachabteilung der Fed prognostiziere keine US-Rezession mehr. Es sei somit durchaus realistisch, dass die Inflation zum Ziel zurückkehre, ohne dass große Arbeitsplatzverluste entstünden. (ag./est)