Deutsche Bahn: Das digitale Schlusslicht in Europa

2 Tage vor
Europa
Deutsche Bahn Deutschland, das digitale Schlusslicht Europas

Vorständin Daniela Gerd tom Markotten will die Bahn durch Digitalisierung deutlich nach vorne bringen. Doch beim Ausbau der entscheidenden Technologie ist Deutschland abgeschlagen. Wie kann das sein?

Als Digital-Vorständin der Deutschen Bahn hat es Daniela Gerd tom Markotten nicht leicht. Während ihre Managerkollegen der Öffentlichkeit Erfolge (manchmal auch Misserfolge) vor riesigen Baustellen oder blank polierten Schnellzügen vorzeigen (manche sagen: kaschieren), bleiben die Leistungen der Digitalsparte oft verborgen – das Schicksal eines Querschnittsressorts, zumal sich Nullen und Einsen kaum für Fotos eignen.

Die tatsächliche Wirkung für die DB aber schmälert das kaum. „Gerade die Digitalisierung ist für die Bahn der Hebel, um pünktlicher zu werden und mehr Züge auf die Schiene zu bringen“, sagt Gerd tom Markotten in der neuen Folge des WirtschaftsWoche-Chefgesprächs. Die Deutsche Bahn wolle nicht nur das nachhaltigste, „sondern auch modernste Verkehrsmittel“ sein. Die Ex-Managerin von Mercedes hat vor allem ein Großprojekt im Blick: den Ausbau der digitalen Signaltechnik, allen voran ETCS.

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Seit Jahren stehen die vier Buchstaben der digitalen Leit- und Sicherungstechnik European Train Control Systems bei der Bahn für die so ersehnte Qualitätswende auf der Schiene. Die Hoffnung: eine größere Auslastung der Anlagen, ein effizienter Zugbetrieb und weniger Störungen im Ablauf. Das Problem: Trotz großer Ankündigungen, stockt der digitale Ausbau massiv. Deutschland ist ETCS-Schlusslicht in Europa. Wie kann das sein?

Trotz kleinerer Verbesserungen hat die Bahn die große Modernisierung bislang verpasst. Die Abläufe im Konzern erinnern an die Ära von Fax und Festnetztelefon. Holzschnittartig läuft der Betrieb nämlich so: Fahrdienstleister melden dem Zugführer per Funk, wann er bremsen soll. Ampelanlagen signalisieren, ob ein Abschnitt belegt ist oder der Zug bereits in den Bahnhof einfahren darf. Das ist aufwändig und dauert. Weil Bahnen zudem nur sehr langsam zum Stehen kommen, beträgt der Sicherheitsabstand zwischen den Zügen auch schon mal mehrere Kilometer. 

Genau dieser Abstand soll durch die Digitaltechnik verringert werden: Sensoren, so genannte Balisen, die auf dem Gleis angebracht werden, können die Fahrzeuge verorten, Geschwindigkeit und anderes ablesen und die Daten an andere Züge übermitteln. So wissen Zugführer früher, was zu tun ist, der Abstand zwischen den Zügen wird geringer, auf dem Gleis können gleichzeitig mehr Züge unterwegs sein.

35 Prozent mehr Kapazität

Experten sprechen wegen höherer Datenströme auch von ETCS in Level 2. In Level 3 kommunizieren die Züge miteinander und fahren praktisch autonom – eine Technologie, die gerade erst erprobt wird. Doch schon von Level 2 verspricht sich die Bahn Kapazitätssteigerungen von bis zu 35 Prozent.

Die bisherige Umsetzung klingt angesichts der Potentiale bescheiden: Man wolle „erste Strecken“ und Fahrzeuge festlegen und umrüsten, damit Kunden davon profitieren, sagt die Digitalmanagerin tom Markotten im Podcast.

Insgesamt nicht einmal fünf Prozent, oder weniger als 1000 von 32.000 Schienenkilometern, wurden im deutschen Netz umgerüstet – viel weniger als in vielen anderen europäischen Ländern. Die Gründe dafür sieht der Branchenberater Raphael Cavalcanti von Nova Mobility in der Prioritätensetzung. „In der Schweiz, den Niederlanden oder Italien sind die Vorteile der Digitalisierung seit Jahren ein No-Brainer“, sagt der Bahnexperte. Hierzulande hingegen sei die Skepsis gegenüber der Technik lange groß gewesen. „Viele schauten ins Ausland und ließen die anderen erst einmal machen“, beschreibt Cavalcanti die Haltung der Deutschen.

Wie so oft in der Eisenbahnbranche sehen Experten das Problem vor allem in der Koordination zwischen der Infrastruktur, den Fahrzeugen und dem Betrieb durch das Personal. In Zweifel kostet jede Umstellung Milliarden und nützt für sich allein nichts. „Die Vorteile der Digitalisierung ergeben sich nur, wenn alle drei Bereiche synchron ausgebaut werden“, betont auch die Bahnvorständin Gerd tom Markotten.

Für den Ausbau nötig sind deshalb nicht zuletzt klare staatliche Vorgaben, finanzielle Anschubfinanzierungen und Pilotprojekte. In den Ländern, wo es geklappt hat, läuft es genauso: Dort ist die ETCS-Technologie bei Bauprojekten auf der Schiene oft von Beginn mitgedacht worden. Zudem sind die Schweizer SBB oder die belgischen Staatsbahnen seit Jahren eher gewillt, die Umrüstung der Fahrzeuge mitzufinanzieren. Staatliche Förderungen und klare Vereinbarungen mit dem Sektor sorgen dafür, dass Verkehrsbetreiber von Anfang an digital-fähige Bahnen bestellen und diese nicht im Nachhinein aufwändig umrüsten müssen.

Bund nimmt Geld in die Hand

Ein solches Regime fehlt in Deutschland. Erst vor wenigen Wochen hat sich die Bundesregierung dazu angenähert, eine mögliche Koordinierungsstelle und Fördergelder durch das neue Bundesschienenwegeausbaugesetz, kurz BSWAG, bereitzustellen. „Gerade durch die Kombination aus Sanierung und Digitalisierung schaffen wir schnellstmöglich dringend benötigte Kapazitäten im Netz“, versprach Volker Wissing, nachdem sich Bund und Länder Mitte Mai auf das laut Minister „größte Sanierungs- und Modernisierungsprogramm der letzten Jahrzehnte“ geeinigt hatten.

Tatsächlich nimmt der Bund zumindest in Bezug auf die Schienennetze durchaus Geld in die Hand. Als Teil eines „Starterpakets“ investiert das Ministerium bis 2030 etwa 4,3 Milliarden Euro in drei Modellprojekte: den Korridor Skandinavien – Mittelmeer, den Digitale Knoten Stuttgart und die Schnellfahrstrecke Köln – Rhein/Main. Die Erkenntnisse sollen dann „in den Rollout der Digitalen Schiene Deutschland“ und „auf das gesamte deutsche Streckennetz“ einfließen, schreibt das Ministerium. Ein Plan, der laut seiner eigenen Studie bis 2040 rund 28 Milliarden Euro kosten dürfte.

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